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... wo das Reich und die Bundesrepublik sein Ende hat

... wo das Reich und die Bundesrepublik sein Ende hat

So sieht der neue Zipfelbund aus. Foto: Europastadt GmbH

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Paddlern auf der Lausitzer Neiße wird genau angezeigt, wo sie den östlichsten Punkt der Bundesrepublik Deutschland passieren. Foto: Till Scholtz-Knobloch

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Von 1871 bis 1920 markierte dieser Stein an der Ecke Gartenstraße/Lassowberg im Zentrum von Spremberg den geografischen Mittelpunkt des Deutschen Reiches.

Foto: Till Scholtz-Knobloch

Görlitz / Schwerin / Spremberg / Deschka. Mit dem sogenannten „Zipfelpakt“ besiegelten List auf Sylt, Görlitz, Oberstdorf und Selfkant 1999 den Zipfelbund, einen Zusammenschluss der äußersten geografischen Orte der Bundesrepublik. Seither nehmen die Zipfelgemeinden regelmäßig an den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit teil, die 2024 in Schwerin stattfinden. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums wurde in diesem Jahr nicht nur eine neue Version des Zipfelpasses aufgelegt, sondern auch ein Relaunch der Internetseite vorgenommen.

Seit der Gründung 1999 in Wiesbaden sind die Zipfelorte ein fester Bestandteil der Einheitsfeierlichkeiten und präsentieren sich auf der Ländermeile mit den 16 Bundesländern. Ein jährlicher Höhepunkt ist auch die Verleihung des mit 4.000 Euro dotierten Zipfelpreises für Vereine und Initiativen mit sozialen Belangen.

Initiative im Selfkant

Matthias Schneider, ehemaliger Görlitzer Kulturmanager und hiesiger ’Vater des Zipfelbundes’, erinnert sich: „Die Begeisterung und der Medienrummel um die Unterzeichnung des Zipfelpakts zeigten uns schon damals, dass wir etwas ganz Besonderes geschaffen hatten. Der Zipfelbund steht heute für die nachhaltige Verbindung der äußersten Punkte Deutschlands – geografisch wie kulturell.“ Der damalige Referent von Oberbürgermeister Rolf Karbaum berichtete der Redaktion, dass die Idee 1998/99 im Selfkant – dem westlichsten Punkt der Republik – entwickelt wurde und ein Bericht der Aachener Zeitung damals auf seinem Schreibtisch gelandet sei. Der Selfkant nutzte damit als Initiator gewissermaßen die Möglichkeit, sich mit touristischen Hotspots zu verbinden. Daraus lässt sich wohl ableiten, dass Görlitz angesichts seiner Bausubstanz lieber ins Boot geholt wurde als Deschka, wo ja faktisch der östlichste Punkt der Bundesrepublik liegt. Hingegen hatte die eher unbedeutende Gemeinde Selfkant ihrer Kreisstadt Heinsberg ja nicht den Vortritt gelassen. Der damalige Obersdorfer Bürgermeister sei aber vom Anliegen so angetan gewesen, dass es schnell genügend Rückendeckung gab und sich die Idee etablieren konnte. „Der Zipfelpass, den Besucher in jedem Zipfelort abstempeln lassen können, ist mittlerweile ein begehrtes Souvenir. Wer innerhalb von vier Jahren alle vier Zipfel besucht, wird mit einem Überraschungspaket mit regionalen Spezialitäten aus den Zipfelgemeinden belohnt“, erläutert Franziska Glaubitz, PR- und Social Media-Managerin der Europastadt GmbH. Um die Idee haben sich selbst wieder Kuriositäten gebildet, etwa eine Motorradgruppe, die innerhalb von 31 Stunden alle vier Gipfelorte ansteuerte und ihr Zipfelbuch mit Stempeln füllen ließ. Zu den berühmtesten Zipfelpassinhabern zählen Jürgen von der Lippe, Sven Hannawald, Gerhard Schröder, Claus Kleber und Stefanie Hertel.

Die Feierlichkeiten vom 3. Oktober in Schwerin – also nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe – beinhalteten neben schon traditionellen Alphornklängen und anderen musikalische Darbietungen Informationsstände in der Graf-Schack-Allee am Schweriner Burgsee.

Matthias Schneider ist dazu eingeladen und betont noch einmal, dass der Zipfelbund vor allem seit seiner Gründung exponiert in der „Ländermeile“ der 16 Bundesländer dabei ist, die ansonsten nur von Ständen der Staatsorgane flankiert wird. In Schwerin stehe man nun sogar gleich neben dem Bundesrat. Als Vehikel der Vermarktung sei die Sache also aufgegangen, betont der 69-jährige – nach eigenem Bekunden – ’Unruheständler’ Matthias Schneider, den es von Potsdam schon allein deswegen immer wieder nach Görlitz zieht, da hier Schwager und Schwägerin leben.

... wo das Reich sein Ende hat

Das Wissen um die Zipfelbundorte hat durch manche Quizshow im TV mittlerweile Karriere gemacht und ist so Allgemeinwissen geworden. Weniger bekannt ist mittlerweile hingegen, dass nur Selfkant und Oberstorf auch historische Zipfelpunkte Deutschlands sind. Im Deutschen Kaiserreich dürfte hingegen der bekannteste Zipfelort im heute in Litauen gelegenen ostpreußischen Ort Nimmersatt bestanden haben. Denn ein jedes Schulkind kannte damals den Spruch: „Im Norden da liegt Nimmersatt, wo das Reich sein Ende hat“. Der damals östlichste Punkt lag hingegen 675 Kilometer nordöstlich Görlitz’ im Dorf Schilleningken im Kirchspiel Schirwindt. Der dortige Grenzfluss Scheschuppe als Nebenfluss der Memel ist an dieser Stelle ähnlich breit wie die Neiße bei Deschka. Auch das Landsschaftsbild könnte in seiner Ähnlichkeit fast verwechselt werden. Nur verschwanden Schilleningken wie Schirwindt in der heute russischen Oblast (Bezirk) Königsberg (Kaliningrad), die nun eine russische Exklave an der Ostsee bildet. Das Dickicht eines Truppenübungsplatzes und eines bis heute nur marginal aufgesiedelten Landstrichs regiert.

Von der Mitte zum Rand

Die exorbitanten deutschen Gebietsverluste nach dem 1. und 2. Weltkrieg haben den Mittelpunkt Deutschlands in das Grenzgebiet zwischen Thüringen und Hessen verlagert und Görlitz von der Mitte zum abgehängten Rand gemacht. Und so ist es gewissermaßen ein Treppenwitz der Geschichte, dass Görlitz als heutiger östlicher Zipfelort mit einer Lage von nur 66 Kilometer südöstlich von Spremberg ein Nachbar dieses historischen Mittelpunkt Deutschlands von 1871 bis 1920 innerhalb der Lausitz ist! Der Geograf Heinrich Matzat hatte Spremberg als solches Messergebnis 1872 veröffentlicht. 1914 gab es gar eine Verfügung des Chefs der Preußischen Landesaufnahme, von Betrab, dass der Mittelpunkt des Deutschen Reiches auf die Gemarkung Spremberg falle. Zwar wurde der Spremberger Gedenkstein 1946 zerstört, sein Original 1988 aber bei Straßenbauarbeiten geborgen. Da eine Rekonstruktion des im Heimatmuseum ausgestellten Stücks zu fragil ausgefallen wäre, wurde am 19. Januar 1991 wenige Meter vom Originalstandort eine Kopie aufgestellt.

Till Scholtz-Knobloch / 05.10.2024

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