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1977 aus-, 2006 in Görlitz eingebürgert

1977 aus-, 2006 in Görlitz eingebürgert

Bertram Oertel feierte am 16. Februar 2025 seinen 80. Geburtstag in kleinem Kreis. (Foto: Till Scholtz-Knobloch)

Görlitz. Am 16. Februar 2025 beging Bertram Oertel seinen 80. Geburtstag im kleinen Kreis. Aufgewachsen im westsächsischen Meerane, studierte er in Leipzig Theologie und Soziologie. Er berichtet, seine Klassenlehrerin in der Grundschule habe damals geschrieben: „Bertram hat einen starken Gerechtigkeitssinn, er verträgt keine – seiner Meinung nach – Ungerechtigkeiten und streitet für Gerechtigkeit.“

So habe er auch in Leipzig, als die Universitätskirche gegen den Protest der Bevölkerung abgerissen wurde, zu den ersten und auch den letzten Protestierern, die direkt aus der Kirche in U-Haft überstellt wurden, gehört. Aus dem braven Studenten wurde also ein Widerständler gegen das SED-Regime. „Ich habe mehrfach ’gesiebte Luft’ geschnuppert“, sagt er auf seine gelassene Art im Rückblick.

Weihnachten 1977 sei er ausgebürgert worden. In Köln ließ er sich als Immobilienmakler nieder – „erfolgreich“, wie er betont. Aber statt einer gerechten Bundesrepublik habe er auch im neuen Gesellschaftsumfeld viele Ungerechtigkeiten und Probleme erlebt. Er gründete 1985 eine eigene kleine Protestpartei, die sich aber nach der Wiedervereinigung auflöste.

„Als im Februar 1991 der Irakkrieg ausbrach wurde der Karneval in Köln am 8. Februar 1991 abgesagt“, erinnert er sich. Dem folgte aber eine Idee. Bertram Oertel mietete eine große Kölner Eckkneipe und lud über 50 Parteifreunde für den 9. Februar zu seiner Geburtstagsfeier ein. Da die Kneipe zu klein wurde, zog die Kapelle mit einer Polonaise über die Straße, wobei sich weit über 500 Kölner spontan anschlossen und auf diese Weise bis weit nach Mitternacht ihren abgesagten Karneval gleich mitfeierten.

1990 gründete Bertram Oertel dann in Ost-Berlin eine Immobilienfirma und siedelte 1992 auch nach Berlin um, ohne jedoch seine Kölner Wohnung aufzugeben, die er heute noch unterhält. „Meine Berliner Firma entwickelte sich rasch, ich habe etliche Immobilien auf Kredit zugekauft. Aber die große Bankenkrise 2008 erwischte dann auch meine Hausbank.“ Viele Finanzierungen wurden gekündigt und das Immobiliengeschäft brach ein. Statt sich, wie seine Mitgesellschafter, aus dem Land und der Verantwortung zu stehlen, habe er Verantwortung für die Abwicklung entstandener Verluste übernommen, betont er bereits mit Blick auf die anbrechende Görlitzer Zeit.

In diese belebte Zeit sei eine Einladung von Freunden nach Görlitz gekommen, wo er sich 2006 niederließ. Mit seinem damaligen Namensvetter Andreas Oertel kam er in Kontakt und stieg in das Verlagsgeschäft ein. Hier entwickelte er neue Produkte wie einen Freizeit- und Saunakalender, neue Gutscheinkalender für die Oberlausitz und er machte sich einen Namen mit Beiträgen für das Stadtbild-Magazin und verteilte dies. „Durch Zufall lernte ich junge Musiker der Ska-Band ’Message of Jah’ kennen und die wählten mich auch noch zu ihrem Manager“, schmunzelt der Jubilar. Mit dieser Band nahm Bertram Oertel an diversen Wettbewerben teil. Die Band siegte sogar beim Festival des Deutschen Liedes im lettischen Riga.

„Das kulturelle Leben in Görlitz empfand ich aber als etwas lau“, sagt er. Mit Altstadtwirten gründete er 2009 das neue Kneipenfestival „Görlitz rockt“, das sich binnen weniger Jahre zum größten Kneipenfest Sachsens und darüber hinaus entwickelte. Auch richtete er mit der zwischenzeitlich gegründeten Firma incaming media GmbH etliche Veranstaltungen auf der Freilichtbühne im Stadtgarten aus.

Mit Produkten des Stadtbild-Verlags besuchte er nun jedes Jahr die größte Tourismusmesse der Welt, die ITB in Berlin, um gratis für die Stadt und das Kneipenfestival zu werben. Als es zwischen den Altstadtwirten und dem damaligen Kulturserviceleiter Wiehler zum großen Krach wegen des Bierausschanks zum Altstadtfest durch den Kulturservice kam, schlichtete Bertram Oertel den Streit mit dem Vorschlag, einen Altstadtbeirat zu gründen, in dem Vertreter aller Seiten über die Verteilung der Stände entschieden.

„Mit Corona brach fast das gesamte öffentliche Leben ein, so auch das Kneipenfest und die Verbreitung der beliebten Gutscheinkalender“, hält er fest. Auch das habe dazu beigetragen, dass er sich allmählich aus dem Verlagsleben zurückgezogen habe. Aber ruhig ist er damit dennoch noch. Am Rande des Vortrages von Winfried Stöcker im Jugendstilkaufhaus berichtet er der Redaktion, dass er derzeit ein neues Medium für die gesamte Oberlausitz entwickle. Aber darüber will er heute noch nicht weiter sprechen.

Till Scholtz-Knobloch / 21.02.2025

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