4 x großer Bahnhof für die Waldorfschule Görlitz
175 m Schule präsentieren Schulleiter Lutz Ackermann (l.), Vorstandsmitglied und Mathelehrer Dietmar Grünwald sowie Anja Fiedler (Pressebeaufragte, Mathe) Foto: Till Scholtz-Knobloch
Die Schüler der Freien Waldorfschule „Jacob Böhme“ lernen zwar bereits seit 2020 im alten Güterbahnhof. Doch erst jetzt, im Juni 2022, vergewissert man sich nach Corona der eigenen Riesenschritte und stellt sich umfassend der Öffentlichkeit vor. Drei Feste und eine Ausstellung geben dazu Gelegenheit.
Ein Schulgarten ist fester Bestandteil. „Erträge werden von Schülern sogar weiterverarbeitet und z.B. Marmelade hergestellt“, berichtet Lutz Ackermann. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Görlitz. Schulleiter und Geschäftsführer Lutz Ackermann ist kein Mann des Pathos. Man sieht ihm jedoch seine Genugtuung über das Aufbauwerk einer der ungewöhnlichsten Schulen Deutschlands an. Wo einst Vieh, Möbel oder Baumaterial umgeschlagen wurde, dürfen heute auf 175 m Länge Schüler den Weg ins Leben wagen und mit der Waldorfpädagogik eine weitgehend freie Selbstfindung im freien Lernen praktizieren. „Wir sind vielleicht die längste Schule“, sagt er nach einigen Ausführungen fast beiläufig auf der Laderampe an der Gleisseite, die mit einem schmucken Geländer Schüler vom Bahngelände trennt und über die auf der Rückseite Schüler einen Großteil der Räume für Unter-, Mittel- und Oberstufe, Fachkabinette, Werkstätten oder die Mensa erreichen können.
Ein noch unfertiges Gebäude des Arelas soll noch zum Hort ausgebaut werden.
Foto: Till Scholtz-Knobloch
Für die Öffentlichkeit wird dies alles am besten bei der Eröffnung des gesamten Areals des großzügig angelegten Brautwiesenbogens am 17. Juni zu sehen sein, deren Blickfang der langgestreckte alte Güterbahnhof mit der Schule ist. Die Schule selbst trägt hierzu unter anderem mit dem Chor, ihren „Eurythmie“-Kindern oder Mitmachangeboten wie Malen, Tanzen oder Filzen sowie ihrer Mensaverpflegung bei. Im Fokus steht natürlich jedoch der Blick hinter die vielen Kulissen der Schule, in der Schüler eben nicht wie vielerorts „abgefertigt“ werden“. In frühen Klassen fehlen Stuhlreihen, denn hier bilden Schüler einmal hier, einmal dort, Kreise oder agieren eigenständig an ihren Aufgaben.
Unterricht findet größtenteils in sogenannten Epochen mit dem Klassenlehrer statt. Insgesamt ist der Unterricht bildhaft, womit die Kinder grundlegende Dinge besser verstehen und erleben. In der Oberstufe gibt es dann nur noch Fachunterricht. Die Schüler übernehmen hierbei aber Eigenverantwortung für ihr Lernen und beschäftigen sich insbesondere mit den Natur- und Geisteswissenschaften in Begleitung von Lehrern.
Vorstandsmitglied und Mathelehrer Dietmar Grünwald empfiehlt Besuchern am 17. Juni vor allem, das Essen aus der Mensa zu probieren. „Unser Koch ist ein Rückkehrer, der mit regionalen Produkten unheimlich vielseitig ist – ein echter Glücksfall“. Dennoch gebe es auch internationale Küche. Kinder lernen auch mit ihm. Übrigens gibt es nur an einem Tag der Woche Fleisch, so dass vegetarische Kost dominiert.
Neben diesem großen Tag feiert die Schule jedoch auch noch ihr 10-jähriges Bestehen am 25. Juni. Die Geschichte der Freien Waldorfschule Görlitz „Jacob Böhme“ begann im August 2011 als Elternschulgründungsinitiative in Zodel. „Auf der Suche nach dem endgültigen Standort für die stetig wachsende Schule zog die Industriebrache des ehemaligen Güterbahnhofs das Interesse auf sich“, heißt es in einem im Februar mit der Stadt Görlitz herausgegebenen Flyer „Brautwiesenbogen – vom Güterbahnhof zur Freien Waldorfschule Görlitz”. 2018 konnte die Schulgemeinschaft das Grundstück von der Deutschen Bahn AG erwerben.
Mit dem Zeugnistag 2020 nahmen die Schüler dann auch symbolisch Beschlag von ihrem neuen Lernort, indem sie ihren Stuhl vom alten Übergangsstandort Konsulstraße zu Fuß zur neuen Schule brachten. Nach den Beschränkungen durch die Coronapolitik kann sich die Schule jedoch erst jetzt mit einem Schulfest am 25. Juni auch bei den Eltern für ihr Engagement beim Umzug bedanken. Dies wird noch einmal vertieft, wenn tags darauf, am 26. Juni, ab 10.00 Uhr, bei der Hofgemeinschaft Lindenhof in Pfaffendorf, mit der man eng verbunden ist, Rückschau gehalten wird. Zudem blickt man zum Dritten noch auf eine 20-jährige Tradition der Waldorfpädagogik in der Stadt an sich. Am 24. Juni wird dieses Jubiläum mit einem Sommerfest von 15.00 bis 18.00 Uhr beim Waldorfkindergarten in der Kastanienallee 16 gefeiert, der organisatorisch jedoch gänzlich eigenständig ist.
Und dass die Schule auch der Öffentlichkeit an sich etwas anzubieten hat, beweist sie im Bewusstsein ihres Namenspatrons mit der Eröffnung der Ausstellung „Textbilder zu Jacob Böhme – Titelkupfer zu Michael Andreae 1628-1720“ im Foyer. Vom 15. Juni bis 15. Juli sowie vom 1. bis 30. September wird die Ausstellung jeweils Mittwoch bis Freitag von 16.30 bis 19.00 Uhr und nach Vereinbarung an Wochenenden durch die Aufsicht von Eltern zugänglich sein. Sie zeigt 20 Grafiken und Schriften von Böhme und entstand im Zusammenspiel mit der Internationalen Jacob-Böhme-Gesellschaft.
Erstmals erreichen Schüler der ersten Klassen nun auch ihren Abschluss in der Waldorfschule. Da der erste Zug von 2011 nach den Ferien durch die im Güterbahnhof mögliche Klassengröße von 24 ersetzt wird, steigt die Schülerzahl bei 26 Lehrern, 2 Hausmeistern, 2 Sekretärinnen und 3 Köchen nun von 198 auf 212 – all das jedoch weiterhin in einer familiären Atmosphäre, die es in dieser Form nur in einer der 237 Waldorfschulen in Deutschland geben kann.