Abschied und eine neue Lebensmitte in Niesky
Krystian Burczek (am Mikrophon) hat dem Holzkonsum wieder Leben eingehaucht. Zum Auftakt gibt es eine Ausstellung, die auch ganz viel mit seiner Lebensgeschichte zu tun hat. Foto: Klaudia Kandzia
„Stillgeschwiegen – Die Vertriebenen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und DDR“, lautet der Titel der ersten Ausstellung im sanierten Holzkonsum in Niesky. Dieser soll auch eine neue kulturelle Lebensmitte werden.
Niesky. Vertriebene in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR durften sich anders als solche im Westen Deutschlands weder in eigenen Organisationen zusammenschließen, noch zum eigenen oder kollektiven Schicksal bekennen. Die Tabuisierung war total, ihr Schicksal blieb Privatsache. Daran, dass 4,3 Millionen Vertriebene im Osten Deutschlands damals 1/4 der Gesamtbevölkerung ausmachten, erinnerte Oberbürgermeisterin Kathrin Uhlemann zur Ausstellungseröffnung. Heute muss man wohl sagen: Nicht nur in Niesky kann sich die absolute Mehrheit aller Familien auf Wurzeln im ehemaligen Ostdeutschland oder dem Sudetenland in Tschechien berufen, denn die Vertriebenen blieben ja nicht isoliert unter sich!
Dennoch: „Es war kein Thema für die Gesellschaft. Meine Mutter hat auf der Stadt in Rotenburg gearbeitet, da waren Flüchtlinge nicht erwünscht, das war nur unter uns und den Eltern Gesprächsthema“, sagt Carmen Bötig aus Rothenburg. Sie reiste mit ihrer Freundin Birgit Balzer nach Niesky. Seit den frühen 90er-Jahren sammelt sie Familienerinnerungen aus den Heimatgebieten und von der Flucht ihrer Angehörigen. „Meine Eltern sind beide 1945 aus Schlesien geflohen, auch meine Großeltern. Mein Vater kommt von Liebichau (Lubiechow) bei Mallmitz (Malomice) und meine Mutter von Leippa (Lipna), bis 1945 Kreis Rothenburg. Beide sind im Januar, Anfang Februar bis nach Hoyerswerda geflüchtet und von dort aus sind sie nach Kriegsende 1945 wieder zurückgegangen bis der Beschluss kam: ‚Alle Schlesier raus!‘“, sagt sie und zeigt ein Bild des väterlichen Familienhauses in Liebichau. Im August 1945 seien sie noch einmal über die Neiße gegangen und landeten in Lodenau nördlich von Rothenburg. Die alte Heimat ihrer Mutter – Leippa – war nur acht Kilometer von der neuen entfernt und doch unerreichbar geblieben. „Bei meinem Vater war das noch eine nähere Bindung, denn in seinem Heimatort gab es die Liebichauer Freunde. Diese hatten im Ort einen Gedenkstein für die alten Liebichauer und Mallmitzer, die dort noch beerdigt worden sind, gesetzt.“
Dr. Jens Baumann, Tilmann Havenstein und Marc-Pawel Halatsch, Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen, vor den Ausstellungstafeln im Holzkonsum Niesky. Foto: Till Scholtz-Knobloch
„Der Stein steht heute noch, zu dem kann man noch hinfahren“, sagt die pensionierte Grundschullehrerin Carmen Bötig. Hocherfreut erspäte sie unter den Besuchern ihren einstigen Schüler, den 16-jährigen Gustav. Er kam mit seiner Großmutter zur Ausstellungseröffnung, weil die Geschichte der Vertreibung „in meiner Familie deutlich zu spüren ist. Die Großeltern waren beide Flüchtlinge und ihre Geschichte bewegt mich“, sagt er.
Den generationsübergreifenden Austausch hatte sich Pfarrer Krystian Burczek mit der Ausstellung erhofft. Er verließ seine oberschlesische Heimat Himmelwitz (Jemielnica) vor 30 Jahren freiwillig. Der damalige Bischof der Apostolischen Administratur Görlitz, Bernhard Huhn, bat den Oppelner Bischof Alfons Nossol, einen Priester zur Aushilfe in die katholische Diaspora zu entsenden. Weil Burczek zu Hause Deutsch sprach, hatte er sich dafür gemeldet. „Ich habe Görlitz gewählt, weil es nicht so weit von der Heimat ist“, sagt er. Sehr schnell konnte er feststellen, es gab in dem Reststück des Bistums Breslau auf deutscher Seite kulturell und mental Gemeinsamkeiten zu seiner Heimat. „Ich bin Schlesier, mein Name klingt polnisch, manche denken, ich sei Pole, manchmal habe ich gelitten. Doch das Schlesische ist eine Substanz des Zusammenseins und über allem steht die Heilige Hedwig, die Schutzpatronin des Bistums der Stadt Görlitz und der Verständigung ist“, erklärt Burczek, der 20 Jahre in Niesky Pfarrer war und seit zwei Jahren als Gefängnisseelsorger in Cottbus und Görlitz tätig ist.
Aus Niesky ist der Geistliche aber nicht ganz weg, er kaufte dort den historischen Lebensmittelladen in der Konrad-Wachsmann-Straße 32, den sogenannten Holzkonsum. Das Gebäude stammt, wie viele weitere Holzbauten der Moderne in Niesky von der Firma Christoph & Unmack .
Auf der Fassade des teilsanierten Gebäudes ist noch „Lebensmitte“ zu lesen, wo einst „Lebensmittel“ stand. Für Burczek ein Wink mit dem Zaunpfahl, er ließ dies nicht überstreichen, denn er möchte dieses Gebäude als eine Lebensmitte der Nieskyer etablieren. Er hofft, dass die Ausstellung „Stillgeschwiegen“ zu Austausch und Nachdenken beiträgt und nicht, wie in Stefan Heyms Geschichte vom Buch der sieben Siegel endet. Aus diesem zitierte Dr. Jens Baumann, Beauftragter für Vertriebene und Aussiedlerfragen im Freistaat Sachsen, bei der Eröffnung: „Der Mensch verweht selbst die Lehren des Lebens, die Buchseiten, in denen es darum geht, wie vermeiden wir Kriege und menschliche Tragödien“, sagte er.
Die Ausstellung kann man hier bis zum 29. September besichtigen, sofern man sich Schlüssel dafür im Museum Niesky, Telefon (03588) 22 397 93 oder (03588) 25 600 besorgt, E-Mail: wachsmannhaus@stadt-niesky.de. Parallel wird man vor der Wahl hier aber häufig auf den CDU-Landtagskandidaten Tilmann Havenstein treffen, der den Holzkonsum als Dialogstandort für seinen Wahlkampf nutzen darf. Das dürfte Kathrin Uhlemann am Tag der ersten Ausstellung hier sicher nicht begeistert haben, denn das Thema klebt damit auch in Niesky deutlich erkennbar an der Union.
Johann Wagner von der Jungen Union wandte auf diese Feststellung der Redaktion bei der Eröffnung jedoch ein: „Wenn zwei Drittel der Erstwähler rechts der CDU wählen, dann ist das Thema des Schließens historischer Tabus sehr wichtig.“ Das Bedürfnis nach Heimat in jeder Form sei stärker als es gemeinhin angenommen werde.