Als die Weigersdorfer nach Texas aufbrachen
„Pas moje jehnjata!“ (Weide meine Lämmer!) steht zwar erst nach Jan Kilian an der Schule neben dem Pfarrhaus Weigersdorf, könnte aber wie für ihn gemacht begriffen werden. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Zum 150. Auswanderungsjubiläum wurde diese Gedenktafel am Pfarrhaus in Weigersdorf angebracht. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Jan Kilian hat nicht allein in Weigersdorf Spuren hinterlassen. Er hat sowohl den Glauben, als auch die kulturelle Identität der Sorben/Wenden tief geprägt und letztlich einen Bogen nach Texas in die Neue Welt geschlagen.
Weigersdorf. Geboren am 22. März 1811 in Döhlen bei Hochkirch, verlor Jan Kilian früh seine Eltern. Nach dem Tod seines Vaters übernahm Kilians Onkel die Verwaltung des Familienhofs und unterstützte ihn, seine Ausbildung fortzuführen. Nach seinem Studium der Theologie in Leipzig führte ihn seine Leidenschaft für die seelsorgerischen Belange der Sorben zunächst als Hilfsprediger zurück in seine Heimat. In Kotitz und später in Weigersdorf wurde er zu einer tragenden Figur der Altlutheraner-Bewegung, die inmitten der preußischen Kirchenpolitik vielen Sorben Halt gab.
Die Historikerin Trudla Malinkowa, die jahrelang zu Jan Kilian und den sorbischen Auswanderern geforscht hat, beschreibt ihn in ihrem Werk „Ufer der Hoffnung“ als jemanden, der unbeugsam an seinem Glauben festhielt und gleichzeitig seinen Landsleuten eine Stimme gab. Seine Arbeit als sorbischer Pfarrer reichte dabei weit über die Grenzen der Lausitz hinaus. Er übersetzte unermüdlich religiöse Texte ins Sorbische und schrieb Dutzende Kirchenlieder, die selbst heute noch in der Lausitz gesungen werden. „Zwei seiner Kirchenlieder fehlen bis heute auf keiner sorbischen Beerdigung“, berichtete Malinkowa 2015 in einem überregional beachteten Interview in der „Welt“.
Diese Musik ist nicht nur Teil des Gottesdienstes geworden, sondern symbolisiert so für viele Sorben bzw. Wenden das Bewusstsein, dass Kilian ein wichtiges Stück Heimat und Identität in einer Zeit formte, in der diese Werte gefährdet waren. Als Kilian 1848 Pfarrer der neu entstandenen altlutherischen Gemeinde in Weigersdorf wurde, festigte er dort nicht nur die Glaubensgemeinschaft, sondern schuf eine Art Rückzugsort, der den Sorben half, ihrer religiösen Überzeugung treu zu bleiben, trotz der Einheitskirche in Preußen, die die Altlutheraner oft an den Rand drängte.
2021 hatten Marion und Alfred Richter eine Chronik über die Weigersdorfer Kirchengeschichte vorgelegt. Foto: B. Donke
Für Malinkowa stellt sich Kilians Geschichte so eng mit den Erfahrungen der Sorben verbunden dar: „Er vereinte das Beste der sorbischen Kultur mit dem lutherischen Glauben. Das hat ihn zu einer einzigartigen Persönlichkeit gemacht“, betonte sie im bereits genannten Interview.
Doch die Zeitläufte drängten Kilian bald zur Auswanderung. Zusammen mit 600 sorbischen Auswanderern, viele aus Orten wie Dauban, Jahmen und auch Weigersdorf, aber auch aus Gröditz, Groß Saubernitz, Klitten, Malschwitz und Rackel, brach Kilian 1854 nach Nordamerika auf. Viele Sorben wollten nicht nur wirtschaftlicher Not entfliehen, sondern suchten die Freiheit, ihren Glauben in einer neuen Heimat ungestört zu leben. Kilian sei so für viele Sorben zu einem ‚sorbischen Moses‘ geworden, der sie in die Freiheit führte. Die Überfahrt auf dem Schiff Ben Nevis war dabei alles andere als ein einfacher Weg in ein neues Leben: Auf der langen Reise brach eine Choleraepidemie aus, der 81 Auswanderer zum Opfer fielen. „Das war eine große Katastrophe, und die Überlebenden berichteten später immer wieder, wie Kilian sie in dieser dunklen Zeit mit dem Glauben und mit seiner inneren Stärke unterstützte“, berichtete Trudla Malinkowa.
Nach ihrer Ankunft in Texas gründeten die sorbischen Siedler unter Kilians Leitung die Gemeinde Serbin, die nur wenige Kilometer von Austin entfernt liegt. Dort führten sie zunächst ein karges, aber von tiefer Glaubenstreue geprägtes Leben. Jan Kilian wurde für die Menschen in Serbin zur zentralen Figur, zum Brückenbauer zwischen alter und neuer Heimat. Über 30 Jahre war er Pfarrer in Serbin und hielt sogar bis 1921 Gottesdienste auf Sorbisch ab. Die Kirche der Missouri Synode in Texas wuchs unter seiner Führung. Und auch heute ist Serbin noch immer ein Symbol für das Erbe Kilians und der sorbischen Kultur in den USA. In vielen Familien der Gegend leben die Erinnerungen an ihn fort, und auch wenn die heutige Generation weitgehend anglisiert ist, bleibt der Stolz auf die sorbischen Wurzeln lebendig. Serbin wie Weigersdorf, wo auf dem altlutheranischen Friedhof heute auch die in späteren Zeiten germanisierten Namen deutlich dominieren, haben damit die Gemeinsamkeit, dass sie in erster Linie eine Geschichte haben, die jedoch vom Verlust einer Sprache begleitet wurde.
Das Bewusstsein um die Herkunft hat immer wieder Nachfahren der sorbischen Siedler in Texas in die Oberlausitz geführt. In Weigersdorf, das in der Geschichte Kilians eine herausragende Rolle spielt, wird die Erinnerung an ihn besonders aufrechterhalten. Sie spielt etwa in der 2021 von den Eheleuten Marion und Alfred Richter vorgelegte Chronik zur Weigersdorfer Kirchengeschichte eine wichtige Rolle. Wissenschaftlich und überregional hat Trudla Malinkowa mit ihrer eingangs genannten Veröffentlichung „Ufer der Hoffnung“ auch über die Region hinaus gestrahlt. Sie war 1992 das erste Mal nach Texas gereist, um das dortige Erbe der Sorben zu erforschen.
Für die Heimatstube Hohendubrau wird sie am 15. November, 18.30 Uhr, im Gemeindesaal der Evangelischen Kirchgemeinde Gebelzig über das Jubiläum „170 Jahre Auswanderung unter Pfarrer Jan Kilian“ aus ihrem Buch lesen. Dabei wird natürlich die 1854 unter dem damaligen Weigersdorfer Pfarrer geführte, etwa 600-köpfige sorbische Auswanderungsgruppe die zentrale Rolle spielen. Im benachbarten Weigersdorf selber wurde 2004 zur 150-jährigen Wiederkehr der Auswanderung von 1854 eine Gedenktafel angebracht. Am historischen Schulhaus nebenan kündet das Bibelzitat „Pas moje jednata“ Joh. 21,15 (Weide meine Lämmer) noch immer von einem Selbstverständnis, das Jan Kilian für seine im Herrn geführten Schutzbefohlenen zunächst in Weigersdorf beherzigte und dies in Texas vollendete.
Kommentare zum Artikel "Als die Weigersdorfer nach Texas aufbrachen"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Danke für den interessanten historischen Kontext und wie gläubige Christen und ein wahrer Hirte durch schwierige Zeiten im Glauben Halt finden!
Leider ist das heute in Deutschland nicht mehr oft zu finden!
Klaus Sydow, Siegbach in Mittelhessen
Ich war schon in Weigersdorf - zur Hochzeit meines Sohnes!