Alternativen für eine „entzauberte Welt“
Bischof Wolfgang Ipolt bei der Begrüßung seiner evangelisch-lutherischen „Amtsschwester“ Theresa Rinecker, Generalsuperintendentin im Kirchensprengel Görlitz. Foto: Matthias Wehnert
Während die Stadt Görlitz aus Kostengründen ihren Neujahrsempfang abgesagt hatte, bleibt es in der Kurie beim traditionellen Defilee zum Jahresbeginn. Bischof Wolfgang Ipolt fand glänzende Worte, die in der ’Theorie’ überzeugen.
Görlitz. Der bischöftliche Neujahrsempfang geht natürlich neben der Kathedrale weniger in die Breite der Akteure; das katholische Bistum bemüht sich hingegen jedoch stets darum, gehobene Honoratioren einzuladen und damit zur Verantwortungsreflexion unter Entscheidern anzuregen. Genau das hat natürlich Vor- wie Nachteile. Während etwa Landrat Dr. Stephan Meyer (CDU) anstandsbewusst wie traditionell Demut in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte und bekannte, nach dem Empfang im vergangenen Jahr hätte ihm eine Schwester thematisch passend ein Buch als Geschenk zugeschickt, durfte Sachsens neuer Landtagspräsident Alexander Dierks vor der Bundestagswahl betont politisch sprechen, womit wir bei den Nachteilen dieser Darbietungsform sind. Katholische Kirche und CDU werden gegenseitig sicher eher weniger kritisch, wenn als Pressesprecher im Bistum der kommende Mann der Görlitzer CDU, Johann Wagner, als Initimus Michael Kretschmers eine wichtige Schnittstelle bildet.
Der Autor dieser Zeilen hatte gar erwogen, auch selbst zu canceln und 2025 die Einladung auszuschlagen, nachdem mit Stadtrat Jakob Garten ein Kandidat anderer politischer Couleur bei der Kirchenvorstandswahl in der Pfarrgemeinde Heiliger Wenzel antreten wollte und mit dem Segen der Kurie juristisch ausgeschlossen wurde. Garten legte als Rechtsanwalt im Vatikan Widerspruch ein – die Sache ist anhängig und quasi der Tiefpunkt im Görlitzer Kirchenjahr 2024, der nonchalant weiter übergangen wird.
Wer muss also wie agieren, damit es der Politik nicht unangenehm wird, gleichzeitig das Bistum aber auch finanziell nicht gefährdet ist? Die Görlitzer Diözese ist die mit Abstand kleinste Deutschlands und dies im finanzschwächsten Gebiet der Republik. Und so hält als Generalvikar und damit Leiter des „Apparats“ Markus Kurzweil die wichtigsten Fäden in der Hand. Zum Auftakt des Empfangs erinnerte er daran, dass 2025 ein Heiliges Jahr im 25-Jahres-Rhythmus ist.
Nur alle 25 Jahre wird die Heilige Pforte im Petersdom in Rom geöffnet – dieses Jahr unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“, dem in Görlitz das Verb „werden“ angehängt wurde. Daneben jähre sich zum 60. Mal der Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“, der eine Wiederannäherung nach Krieg und Vertreibung überhaupt erst möglich machte. Das Bistum Görlitz ist als deutsches Reststück der Breslauer Kirchenprovinz hierbei wie keine zweite betroffen. Aber „in einer gefallenen Welt“ bräuchten Christen ohnehin niemals verzagen.
Als quasi Görlitzer Pendant zu Wolfgang Ipolt stellte die evangelisch-lutherische Amtsschwester, Generalsuperintendentin Theresa Rinecker, die Herrnhuter Jahreslosung ’Prüft alles und behaltet das Gute’ in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen und meinte: „Klar, das machen wir doch ständig, denkt man da.“ Das Prüfen spüre die Kirche ihrerseits aber auch schmerzlich, woraus man die Austrittsflucht des Kirchenvolks lesen darf und ursächlich auch wieder beim Schmusekurs mit den Strukturen des Zeitgeistes statt ewiger Wahrheiten sein dürfte. Im 2. Tessachlonicherbrief fordere Paulus, dass die Unordentlichen zurechtgewiesen werden, aber hier ging Rinecker nicht in die Tiefe, so dass die Unordentlichen quasi unbestimmt und interpretationsbedürftig blieben. Paulus hatte das Evangelium selbst ins heutige Thessaloniki gebracht und haderte mit der „Umsetzung“. Aber auch die Generalsuperintendentin erinnerte an ein besonders Jubiläum – dem des Einzuges der Reformation in Görlitz vor 500 Jahren.
Die Losung „Prüft alles und behaltet das Gute“ griff übrigens auch Landrat Meyer auf: „Das geht Konservativen runter wie Öl“. Seiner Demutshaltung schloss sich Landtagspräsident Dierks insofern als, als dass dieser die Eidesformel „So wahr mir Gott helfe“ als ebensolchen Ausdruck von Demut im politischen Tun bezeichnete, was wieder Konjunktur haben müsse. Welche Rolle könne aber in einer säkularen Zeit Kirche noch spielen? Dies fragte Wolfgang Ipolt selbst, nachdem er betonte, er lasse ja jedes Jahr Anteil an einem wichtigen Gedanken nehmen, der bei der Führung des Bistums wichtig sei. Die Säkularisation reiche weit über den Reichsdeputationshauptschluss 1803 hinaus, als geistliche Landesherrschaften zugunsten von Fürsten aufgehoben wurden.
Heutige Welt der Alternativen
Im Jahre 1500 sei es praktisch unmöglich gewesen, nicht an Gott zu glauben, „während es im Jahre 2000 vielen von uns nicht nur leichtfällt, sondern geradezu unumgänglich vorkommt?“ Wie seien Alternativen denkbar geworden? Einst hätten Menschen in einer sozusagen „verzauberten“ Welt gelebt, „in der es immer fraglos Gott oder auch Götter, Geister und Dämonen gab.
„Nicht immer glaubte ein Bauer des Mittelalters sicher an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs oder an den Gott, den Christen den Vater Jesu Christi nennen. Aber er glaubte an jemanden, der dafür einsteht, dass das Gute den Sieg davonträgt und die zahleichen Kräfte des Bösen und der Finsternis in Schach hält, wenn man ihn darum bittet.“ Heutige Säkularität oder gar Atheismus seien undenkbar gewesen. Die „Entzauberung“ der Welt sei weit vorangeschritten. Zum Gespräch mit Gott sei aber jeder Mensch eingeladen, denn er existiere nur, „weil er – von Gott aus Liebe geschaffen – immer aus Liebe erhalten wird.“
In diesem Wissen habe eine Kirche keine Zukunft, die sich in den Schmollwinkel zurückziehe und nicht „innerlich und ehrlich akzeptiere, dass sie in einer Minderheitenposition ist.“ Vielmehr schlug der Bischof quasi drei Säulen für eine schöpferische Minderheit vor. Nach dem letzten Konzil, das die Kirche als quasi stellvertretendes Pilgervolk der Geschichte definierte, gelte es, ein Weggefährte auch für die zu sein, die nicht ihr Mitglied sind.
Eine weitere Säule: „Wenn der Glaube an Gott eine Option unter vielen ist (...) dann muss es auch Orte und Gelegenheiten geben, wo man diese Option kennenlernen kann.“ Liturgie, aber eben auch sakrale Musik und Kunst seien Anknüpfungspunkte und oft „Erstberührungen mit dem Evangelium“, sieht der Bischof Antworten im Bewusstsein der eigenen Minderheitenrolle.
Unter Berufung auf den Papst sei Kirche in seiner dritten Facette aber auch ein Feldlazarett. Kirche solle dort anwesend und opferbereit sein, wo Menschen physisch, sozial, psychisch und geistig verletzt werden und versuchen, ihre Wunden zu verbinden und zu heilen. Nur – Beispiel Jakob Garten – was, wenn Kirche ihrerseits auch selbst einmal Schöpfer eines Gedemütigten ist? Dabei hatte Wolfgang Ipolt doch eigentlich ausgeführt, es gehe „auch um Prävention der geistigen und moralischen Krankheiten der Gesellschaft und – im Bilde gesprochen – um eine Stärkung des Immunsystems.“