Am Ende ist bei allen die Trauer die gleiche
René Gottschling pflegt mit Mitstreitern vom Verein zur Klärung von Schicksalen Vermisster und Gefallener (VKSVG) das Sowjetische Ehrenmal in Niesky. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Die Generation der überlebenden Weltkriegssoldaten stirbt aus, doch damit ist die Zeitgeschichte nicht zwangsläufig beendet. René Gottschling aus Niesky sieht sich ganz persönlich involviert und organisiert die Pflege der sowjetischen Kriegsgräberanlage in Niesky. Nach der Öffnung russischer Archive erklärt sich jetzt auch das Schicksal mancher Soldaten. Neue Opfertafeln sind nun in Arbeit.
Am 5. September trafen sich alle Beteiligten zu einer Ortsbegehung am sowjetischen Ehrenmal. Foto: René Gottschling
Niesky. Der Nieskyer René Gottschling gehört zu einer Generation, die unmittelbar eigentlich nichts mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hat. Doch eines hat ihn nicht losgelassen. Seine 1941 geborene Mutter hatte einen Bruder. „Dieser war als 18-Jähriger der erste Gefallene aus Kollm des Zweiten Weltkrieges. Das hat in der Familie lange eine Sprachlosigkeit nach sich gezogen und ist auch mir sehr nahe gegangen. Man spürt dadurch, dass das ganze Zeitgeschichte ist, die noch immer unser eigenes Handeln beeinflusst“, meint er.
Für René Gottschling bedeutete dies, dass er – als das Internet vor etwa 15 Jahren richtig Fahrt aufnahm – online zu recherchieren begann. Im Endeffekt ging es gar nicht allein um den gefallenen Onkel, von dem er erst mit etwa 40 Jahren beiläufig beim Blättern in einem Familienalbum erfuhr, sondern um das Schicksal einer ganzen Generation. „Das ist letztlich auch völlig unabhängig von den beteiligten Völkern und den Umständen, die diese in den Krieg geführten haben. Am Ende ist die Trauer die gleiche“, betont Gottschling und beantwortet damit im Grunde bereits die Frage, wieso er sich in Niesky auch um die Anlage für die Toten der Roten Armee kümmert. Letztlich hatte diese unter allen Alliierten nach dem Vernichtungskrieg im Osten 1945 entsprechend die geringsten Skrupel beim Vordringen tief ins Reich. Auch die Jahre erzwungener Waffenbrüderschaft in der DDR haben das Ansehen der Russen im Osten Deutschlands mehrheitlich letztlich nicht gefördert. Über die Internetre-cherchen stieß er unter anderem auf den Verein zur Klärung von Schicksalen Vermisster und Gefallener (VKSVG), dem er sich anschloss. Der VKSVG, der in Deutschland, Österreich und den Niederlanden über Gruppen verfügt, geht systematisch bei der Erforschung von Kriegsschauplätzen vor und konzentriert sich derzeit besonders auf die Steiermark, wo die Erde ebenso wie die an der Neiße von Rotarmisten übersät ist.
„In unserer Gegend gab es beim Vorstoß der sowjetischen Truppen zwei Linien; an der Neiße und am Schwarzen Schöps. Dass die russische Armeeführung dabei unerbittlich vorging, sieht man allein daran, dass am Langen Haag in Niesky 172 deutsche Kriegsgräber bestehen, am Kurzen Haag hingegen etwa 1.200 russischer Soldaten, von denen mit 385 nur eine Minderheit bislang namentlich sicher eruierbar ist. Oft ohne entsprechende Ausrüstung hat man die jungen Männer in den Kämpfen verheißt, da das oberste Ziel war, als erster Berlin zu erreichen und die Hauptstadt in den Besitz der Roten Armee zu bringen“, gibt Gottschling historisch zu bedenken.
Als er und einige Mitstreiter sich der Pflege der russischen Kriegsgräberanlage annahmen, habe dies bei einigen in Niesky die Annahme ausgelöst, wo man sich um Soldaten kümmere, da müssten womöglich Rechte am Werk sein. „Aber eigentlich sind alle, die dabei sind wie ich davon ergriffen, dass die Zeitgeschichte doch noch so nahe ist. Dass wir eben nicht auf die Nationalität der Opfer schauen, hat uns Anerkennung auch bei der Stadt gebracht“, sagt er. Elan sei vor einigen Jahren durch deutsche Spätaussiedler aus Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion eingezogen, die durch ihre Herkunft natürlich eine besondere Verbindung gerade zu Gräbern der Rotarmisten hatten. Leider seien diese mittlerweile jedoch ihre eigenen Wege gegangen.
Doch neuerliche Bewegung ist mittlerweile durch andere historische Horizonte eingetreten. Nachdem in Russland die Archive zum Zweiten Weltkrieg geöffnet wurden, ist das Interesse der russischen Heimatforscher groß. Seit 2015 wird akribisch daran gearbeitet, die Kriegsgräberlisten in den betroffenen Regionen aufzuarbeiten und den Gefallenen einen Namen auf der Kriegsgräberstätte zu geben. Die Stadt Niesky hatte von Seiten der Russischen Föderation 2016 dazu Post bekommen. Darin wurde informiert, das man daran arbeite, die circa 800 fehlenden Namen von den rund 1.200 gefallenen Soldaten in Niesky zu ergänzen.
Da der russische Ehrenhain am kurzen Haag in die Jahre gekommen ist, muss im Zuge der Erweiterung von Namenstafeln ohnehin eine Instandsetzung erfolgen. Dazu hat die Stadt Niesky einen Fördermittelantrag in fünfstelliger Höhe bei der für Kriegsgräberanlagen verantwortlichen Landesdirektion Chemnitz gestellt und hierzu auch einen positiven Bewilligungsbescheid erhalten.
Die Firmen Bau Krautz aus Klitten, die Firma Maler Vetter aus Niesky und der Steinmetzbetrieb Reichel aus Görlitz erhielten den Auftrag für die Umsetzung der Sanierungsarbeiten. Und diese konnten in den letzten Tagen nun erfolgreich abgeschlossen werden.
Für den Steinmetzbetrieb Reichel beginnt allerdings erst dieser Tage die Aufgabe, zwei neue Granittafen in gleicher Bauart der bereits vorhandenen herzustellen. Die Hinzufügung von zwei Mal 60 Namen wäre damit möglich. Zur Bauabsprache trafen sich am 5. September Kollegin Fürll von der Denkmalschutzbehörde, Anja Nowotny und Kay-Uwe Börstler von der Stadt Niesky, René Gottschling für den VKSVG e.V. sowie Ralf und Roland Reichel vom ausführenden Steinmetzbetrieb.
Nach Abschluss der Beratung und Einvernehmen werden die zwei neuen Granitplatten mit einer von Höhe 1.300 mm und einer Breite von 1.000 mm installiert, auf denen vorerst, von russischer Seite 18 bestätigte Namen eingraviert werden. Auf den beiden neuen Platten könnten damit noch über 100 Namen Platz finden, zu erforschen gibt es gleichwohl eben noch viele Hunderte, so dass ggf. weitere Tafeln nötig wären.
Die beiden neuen Tafeln werden links und rechts der Treppe aufgestellt. Schritt für Schritt sollen, in Absprache mit den russischen Behörden, in den nächsten Jahren also weitere Namen und Tafeln ergänzt werden. Voraussetzung dafür sind positive Fördermittelbescheide vom Freistaat Sachsen, denn für die Kriegstoten ist das jeweilige Bundesland verantwortlich, das Zuweisungen von der Bundesregierung für den Erhalt der Kriegsgräberstätten bekommt. „Der VKSVG, der über Jahre hinweg u.a. diese Anlage pflegt, wird auch weiterhin der Stadt Niesky zur Seite stehen“, versichert René Gottschling dem Niederschlesischen Kurier.