Am unbekannten Ende der B6 im Nordwesten
Deutschlands älteste Museumseisenbahn und ein Landhandel in Asendorf. Dazwischen befährt gerade ein Traktor die B6 in den Weiten Niedersachsens. Foto: Till Scholtz-Knobloch
B6. Einen Großteil meines Lebens habe ich an der B6 verbracht. Nicht in Görlitz, sondern in Niedersachsen, wo ich aufwuchs. Und dieses Stück gefühlte Heimat B6 blieb dann ganz beiläufig ebenso in Görlitz Beziehungspunkt im Alltag.
Wer in Görlitz von der Autobahn abfährt, bewegt sich bekanntlich gleich auf den ersten Metern auf ihr – ganz egal, ob dieses Stück nun als ihr Anfang oder ihr Ende verstanden wird. An ihrer anderen Seite ist es nicht weniger unscheinbar. Eine Ampel stoppt den B6-Verlauf seit 2023 hinter Loxstedt jäh am Bremerhavener Stadtrand, womit die B6 hier immerhin noch einmal für 300 Meter bremisches Landesgebiet erreicht.
Unterwegs in Hildesheim ist der romanische Dom Zeugnis früher Geschichte. Foto: Wilhelm Scholtz-Knobloch
Sie verlor in Norddeutschland sogar ihren historischen Endpunkt im nördlich von Bremerhaven gelegenen Cuxhaven, während Görlitz heute eigentlich auch nur Ausgangspunkt in einer gekappten Verbindung ist. Denn als Reichsstraße 6 erreichte die Fernstraße bis 1945 über Hirschberg (Jelenia Gora) und Schweidnitz (Swidnica) erst hinter Breslau bei Groß Wartenberg (Sycow) die deutsch-polnische Grenze.
In Cuxhaven ist an ihrem früheren westlichen Endpunkt heute eine Gedenktafel angebracht, die nebst eines schlesischen Wappens die Aufschrift trägt: „Hier begann die ehemalige Reichsstraße 6, jetzt Bundesstraße 6, nach Breslau 864 km/Görlitz 683 km“.
Aber auch ein komplettes Befahren von Görlitz bis Bremen funktioniert durch verschiedene Umwidmungen unterwegs heute ebenso nicht mehr. Insbesondere in Sachsen-Anhalt geht es heute beschleunigt über den zur Autobahn aufgewerteten Verlauf. Ab der alten innerdeutschen Grenze am Harzrand bei Vienenburg bleibt sie bis Bremen jedoch – Goslar, Hildesheim und Hannover tangierend – ein beständiges Band.
Auch hinter Hannover schwingt sie sich durch neue Ortsumfahrungen und Ausbau in Passagen auf, Autobahn zu werden. Ihr Charakter als Bundesstraße bleibt aber hinter Nienburg/Weser ab Marklohe für 60 Kilometer noch einmal stabil. Es gibt Vermutungen, dass Marklohe der zentrale Versammlungsort „Marklo“ der vorchristlichen Altsachsen war, also quasi die Ur-Hauptstadt der Sachsen.
Und so zeichnet der gesamte Verlauf der B6 zufällig auch die Wanderung des Namens Sachsen über die Jahrhunderte nach Osten nach. Ein Prozess, der sich dadurch versinnbildlich, dass Endpunkt Görlitz 1945 als nun einsames schlesisches Reststück auch noch an Sachsen fiel.
Auf dem weiteren Weg bis Bremen ist ein außerordentlich ländlicher Charakter festzustellen, in dem Streuhöfe und zersiedelte Strukturen schwer örtliche Zentren erkennen lassen. Vor Syke, wo Rudi Carell lebte, ist einzig Asendorf mit knapp 3.000 Einwohnern so etwas wie ein echter Ort.
Direkt neben der Bundesstraße befindet sich der Bahnhof der ersten Museumsdampfeisenbahn Deutschlands überhaupt, die 1966 ihren Betrieb aufnahm. Dem aufmerksamen Autofahrer fällt auf diesem Abschnitt auch das Kuriosum auf, dass praktisch alle der vielen Tankstellen Freie Tankstellen oder solche kleiner Marken sind. Zahlreiche Landmaschinenhandel verraten: Im Grunde ist in dieser Gegend alles aus Strukturen der Landwirtschaft hervorgegangen.