Asyl-Showdown im Kreis Görlitz erst einmal vertagt
Nervosität beim Zugang zum Tagungsort. Letztlich konnte der Großteil der um Einlass begehrenden Zugang zum Sonderkreistag finden. Foto: Matthias Wehnert
Der Kreistag kam am Dienstag zu einer Sondersitzung zur Unterbringung von Asylbewerbern zusammen. Die Stimmung war gereizt, eine Abstimmungsüberraschung blieb jedoch aus.
Mit Landrat Dr. Stephan Meyer (am Pult) und Tino Chrupalla (vorne sitzend) duellierten sich zwei Politiker mit geballter Treue zu ihrer jeweiligen Parteipolitik im Bund. Foto: Matthias Wehnert
Görlitz / Hirschfelde / Boxberg. Ist ein Thema überhaupt lokal oder doch Bundespolitik? Diese Frage wird oft heißt diskutiert, wenn wir Redakteure der Nachbarausgaben von Niederschlesischem und Oberlausitzer Kurier zu Konferenzen zusammengeschaltet sind. Genau die gleichen Fragen stellt zunehmend allerdings auch die Lokalpolitik. Das Klima im Verteilungskampf wird rauer, wenn der von oben vorgegebene Sinn zweifelhafter wird.
Die Unterbringung von Asylbewerbern ist für die Landkreise eine Pflicht, doch wo endet in der letzten Kette des politischen Gliedes die Nibelungentreue nach oben? Die AfD-nahe Junge Freiheit hatte vor der von der AfD eingeforderten Kreistagssondersitzung im Zeichen der Einrichtung von Asylheimen in Hirschfelde/Rosenthal und Boxberg bereits getitelt: „In Görlitz erzwingt die AfD den Asyl-Showdown“.
Doch diese Strategie war am Ende zu dick aufgetragen oder falsch orchestriert. Erstens: Nach dem Getöse im Vorfeld der unter hohen Sicherheitsbestimmungen durchgeführten Sitzung hielt sich der Auflauf im Rahmen. Neben vorwiegend betroffenen Hirschfeldern sowie Antifa-Jungvolk mit Angststörungen (vorwiegend mit FFP2-Maske) blieb die Mobilisierung unter Wutbürgern letztlich überschaubar. Zweitens: AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla fiel mit seiner Ouvertüre gleich mit der Tür ins Haus, Landrat Dr. Stephan Meyer ohne Umweg zum Kampf gegen die Asylpolitik von Bund und Land zu zwingen. Beide gifteten sich also erst einmal an, die Bühne zu missbrauchen oder Rechte am Mikrofon beschneiden zu wollen. Das brachte den Konflikt zugleich klar auf den Punkt. Laut AfD-Antrag sollte der Kreistag nicht nur die Ungeeignetheit der vorgesehen Standorte feststellen, sondern zugleich ebenso, dass man auch keine Möglichkeit für andere Standorte mehr sehe. Eine bundespolitische Kampfansage vor dem Hintergrund, dass der AfD-Bundessprecher auch Kreistagsabgeordneter ist. Während Chrupalla also mit dem Kreis Görlitz stellvertretend mit dem Kopf durch die Wand wollte, streichelte Kontrahent Stephan Meyer als Statthalter des Willens aus Dresden die Wand quasi liebevoll. Dem Rest blieb damit im Grunde nur noch die Option Parteidisziplin.
Dabei hatte der Kreistagsabgeordnete, Jurist und Hochschullehrer der Hochschule Zittau/Görlitz, Prof. Hansjörg Huber, der 2018 Alternative zu Bundesverfassungsrichter Stephan Harbarth war, im Plenum eine besonnen vorgetragene juristisch goldene Brücke gebaut. Seine Ausführungen zum Recht auf Asyl, lösten unter Scharfmachern im Publikum erst einmal deutliches Murren aus, ehe Huber aus Artikel 16a (2) 1 des Grundgesetzes schlussfolgerte, dass die deutsche Asylpolitik an der mangelnden Courage scheitere, anzuerkennen, dass Deutschland nur von sicheren Drittstaaten umgeben sei und sich in dieser Breite einem Asylandrang gar nicht stellen bräuchte. Es gäbe also schlüssige Gründe, sich Berliner Vorgaben zu verweigern und dies auch juristisch auszutragen. Der Landrat ließ sich an dieser Stelle dazu hinreißen das Wort des Hochschullehrers als „Unsinn“ zu bezeichnen.
Neben dieser Entgleisung wurde die weitere Debatte weitgehend an den Verhältnissen vor Ort vorbei eher nach moralischen Maßstäben ausgetragen. Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jens Hentschel-Thöricht wies sicher zurecht darauf hin, dass die Vermeidung eines Lagerkollers bei der Beachtung der Menschenwürde wichtig sei, eine Gottesebenbildlichkeit biete aber keinen Raum für einen Rassedünkel, den er Kritikern damit scheinbar per se attestierte. Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker schlug in eben diese Kerbe, als er im Zeichen des demografischen Wandels an AfD und Publikum zugewandt sagte: „Liebe ’Volksdeutsche’, wir allein werden es nicht mehr rocken.“ Man sei auf Zuwanderung angewiesen. Mit dem despektierlichen Begriff ’Volksdeutsche’ fing er sich den Konter ein: „Sie liken im Netz auch lieber Veranstaltungen mit dem Motto ’Deutschland verrecke’“.
Und so brachte abschließend auch die Fragestunde für das Auditorium keine wirklichen Erkenntnisse zu geplanten Standorten, sondern dokumentierte allgemeines politisches Lagerdenken und das tief zerrissene Band zwischen Menschen in abgehängten Regionen und denen, die in einer völlig anderen politisch gesättigten Wirklichkeit leben. Der Showdown ist damit im Grunde nur verschoben. Der AfD-Antrag scheiterte mit 24 zu 38 Stimmen bei fünf Enthaltungen.
Die Planungen für Boxberg und Rosenthal sowie nun auch für Görlitz können also weiter voranschreiten. Landrat Meyer räumte ein, dass es ein Fehler gewesen sei, sich nicht zur Bürgerversammlung in Rosenthal gestellt zu haben und räumte damit indirekt die Richtigkeit des Kommentars im Niederschlesischen Kurier vom 1. April „Wie sich der Kreis ein Upahl schafft“ ein. Meyer beteuerte nun, die Standorte in Boxberg und Hirschfelde/Rosenthal würden maximal zwei Jahre genutzt, zudem werde man sich bemühen hier nur Familien zu beherbergen. Gleichwohl habe man keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Asylanten. Dem Abstimmungswillen des Kreistages nach werden die relevanten Fragen nun erst einmal in zahlreiche Ausschüsse verwiesen. Die angenommene Beschlussvorlage des Kreises betont zum Beispiel das Bemühen, Ausreisepflichtige in die Heimatländer zurückzuführen. Vielleicht der brisanteste Satz, denn er scheitert Jahr um Jahr aufs Neue. Und nun kommt auch noch die Hürde eines Versprechens einer maximal zweijährigen Nutzung hinzu. Wir können die Formulierungen für Versammlungen im Jahre 2025 vielleicht heute schon ausformulieren.
Etwas praxisorientierter gerierte sich da der ebenso angenommen bzw. in die Ausschüsse verwiesene Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, SPD und KJiK, der eine Unterbringung von Frauen und Familien im ländlichen Raum befürwortet, während einzelne Migranten in zentralen Unterkünften in Städten untergebracht werden sollten. Das hieße faktisch jedoch auch, fast alleinig die Städte zu belasten.