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Baronesse, Stalin und leckere Würstchen

Baronesse, Stalin und leckere Würstchen

Bernhard Blickle (im Vordergrund) schaut optimistisch vom Balkon der renovierungsbedürftigen Lingner-Villa auf die Weißenberger Straße in Reichenbach. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Seit einigen Jahren gibt es in Reichenbach einiges Unbehagen, seit die Marxistisch-Leninistische Partei (MLPD) im Erbschaftsobjekt Lingner-Villa ein Bildungszentrum einrichten will. Doch mit welcher Idee und welcher Schlagkraft gehen die Kommunisten hier ans Werk? Der Niederschlesische Kurier durfte mal reinschauen und plaudern.

 

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Louisa Baronesse von Freytag Löringhoff greift zur Klampfe und spielt zum Mitsingen „Bella Ciao“. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Reichenbach. Eigentlich wünscht man sich ja, dass an alten, historischen Gebäuden, an denen der Zahn der Zeit nagt, etwas passiert und diese frischen Glanz bekommen. Doch seit auf dem Gelände der so genannten Lingner-Villa an der Ecke Weißenberger Straße/Oberer Weg in Reichenbach Kolonnen pinselschwingender Aktivisten auftauchten, mehrte sich Unbehagen. Wurden doch im Rahmen der Renovierungsaktion auch Faltblätter der MLPD verteilt und Unterschriftenlisten zur Unterstützung der Partei bei der Bundestagswahl 2021 ausgelegt. Da sich deren Wahlkreiskandidat im Landkreis Görlitz, Bernhard Blickle, wie alle Konkurrenten großer und kleiner Parteien zur Wahl im Niederschlesischen Kurier vorstellen durfte, kam es zu einem Kontakt mit der Redaktion und letztlich einer Einladung ins Haus. Die Möglichkeit des Besuchs ergab sich bereits nach der Görlitzer MLPD-Abschlussveranstaltung des Wahlkampfes Ende September beim Gartenfest. Das klingt ein wenig nach Tag der Offenen Tür und vielen Gästen, doch etwas früh stehe ich allein mit einem wartenden Araber, der schon einmal den Grill vorbereitet, im Vorgarten. Auch Blickles Ehefrau trifft bald ein und schaut immer wieder zur Uhr. Die gespannte Ruhe zwischen den MLPD-Werbefahnen – Typ Beachflag – unterbrechen Lautsprechertöne. Während Blickles Gattin bereits in der Villa etwas vorbereitet, dröhnt vom Reichenbacher Marktplatz, wo eine Gesundheitsveranstaltung mit Kulturprogramm stattfindet, auf einmal die DDR-Hymne herüber. Die beliebte Ostalgie-Comedy-Show gibt dort gerade ihr Stelldichein. Doch der anbratende junge Grillmeister bleibt ungerührt – vermutlich kennt er diese Hymne gar nicht mehr. Im Kleinbus und begleitenden Autos rücken bald die Feiernden an. Es bleibt beim kleinen Insiderkreis, der sich im wesentlichen als nahezu kompletter Vorstand des Landesverbandes der Zwergpartei entpuppt.
 

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Im Umfeld der Lingner-Villa (links) gab es zur Bundestagswahl viele MLPD-Plakate an der S 111. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Aus dem Auto springt auch die 27-jährige MLPD-Kandidatin im thüringischen Gotha und begrüßt mich mit „Hi, ich bin Louisa“. Beim Googeln erfahre ich später ihren vollen Namen: Louisa Baronesse von Freytag Löringhoff. Zur Begrüßung in Reichenbach greift sie sogleich zur Zupfgeige und alle singen gemeinsam das italienische Partisanenlied Bella Ciao. Ehe die Würstchen auf den Rost kommen, führt mich Bernhard Blickle zunächst jedoch durch die Villa – mit Maske. ’Gegnerschaft zum Großkapital schließt also doch nicht die Pharma-Riesen ein’, denke ich mir.

Aber Blickle schafft mit seinem sonnigen Gemüt angenehme Atmosphäre. Schwierig seien für ihn die Neunzigerjahre gewesen, als er mit schwäbischem Dialekt und dazu als bekennender Kommunist in Dresden Fuß zu fassen suchte. Gelungen sei ihm dies letztlich durch seine Arbeit mit autistischen Kindern als Heilerziehungspfleger im Universitätsklinikum. Der Smalltalk fällt leicht, denn Blickle ist gradlinig und spricht auf viele Stichworte interessiert an. Dennoch muss natürlich auch die Frage sein, wie er es mit Stalin hält, denn seine Partei sieht sich als Bewahrer eines Kommunismus, der in den 50er Jahren vom rechten Weg abgekommen sei. Die DKP wurden also links überholt. Natürlich müssten auch Stalins Schatten aufgearbeitet werden, doch in der DDR habe sich „das Kleinbürgertum der Partei bemächtigt“ und die Ideale der Revolution verraten, sagt er.

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz urteilt etwa: „Die MLPD bekennt sich nach wie vor zu den Lehren von Marx, Engels, Stalin und Mao Tse-tung. Sie verbindet nach eigener Aussage den Kampf um die Forderungen der Arbeiter- und Volksbewegungen mit dem Ziel der internationalen sozialistischen Revolution.“ Eckpunkte ihrer Überzeugung seien Revolution, Diktatur des Proletariats und Kommunismus. Das eigene Bündnis laut Parteiprogramm umfasst (Kapitel H) „eine systematische Umerziehung zu einer proletarischen Denkweise.“ So fragte der Görlitzer Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel (AfD) beim sächsischen Innenminister Roland Wöller auch an, welche Kenntnisse dieser von den Aktivitäten der MLPD in Reichenbach habe. Der Minister antwortete lapidar, dass er nichts darüber wisse. Dabei wäre einfach gewesen, sich aus erster Hand zu informieren, macht doch die MLPD keinerlei Geheimnis aus ihrem Tun in der Villa: „In Reichenbach entsteht ein Begegnungshaus. Dieses wird – übrigens schon seit über zehn Jahren – mit viel Liebe und Eigeninitiative von Aktivisten der MLPD in Subbotniks (...) aufgebaut“, verkündet die Partei offiziell über ihr Organ „Die Rote Fahne-News.“ Und weiter merkt sie süffisant an: „Was bleibt also von der ’Zentrale der MLPD’ in Reichenbach und der Empörung? Nichts anderes als ein Musterbeispiel für gute Nachbarschaft, selbstlosen Einsatz und vertrauensvolle Kleinarbeit im

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Bernhard Blicke zeigte stolz die historische Substanz der MLPD-Villa. Foto: T. Scholtz-Knobloch

einen Fall und antikommunistische Aufregung im anderen Fall.“ Wippel zog die Schlussfolgerungen: „Während regierungskritische Bürger permanent verdächtigt werden, zuckt das Innenministerium bei einer totalitären Stalin-Fan-Sekte nur mit den Schultern. Das zeigt, wie unter Roland Wöller die Maßstäbe entgleiten. Das ist verantwortungslos und demokratiegefährdend.“ 


Vom Klassenkampf der MLPD mit „Zentralkomitee“ in Gelsenkirchen merkt man unter dem Festzelt bei Hanuta und Bratwurst allerdings erst einmal nichts. Die Partei mit 22.745 Erst- und 17.994 Zweitstimmen (beides 0,0 Prozent) bei der Bundestagswahl scheint auch so recht selbst noch nicht zu wissen, wie es ’bildungspolitisch’ in Reichenbach weitergeht.

In der Villa mit über 50 Fenstern, über die der Denkmalschutz wacht, ließen sich von der Örtlichkeit her problemlos Seminare mit Übernachtungen ausrichten. Doch auf Nachfrage bekennen mehrere Parteimitglieder, der Standort sei für die internationalistische Zusammenarbeit im Dreiländereck ideal, doch konkrete Ansprechpartner in Polen und Tschechien habe man noch nicht. Es liegt nahe, dass noch nicht einmal konkret gesucht wurde. Das Projekt scheint darauf angelegt zu sein, in vielen kleinen Eigenleistungen baulich Ordnung zu schaffen und dann einfach mal zu sehen, was sich entwickelt. Die Revolution macht dabei also erst einmal Pause...

Till Scholtz-Knobloch / 15.02.2022

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Kommentare zum Artikel "Baronesse, Stalin und leckere Würstchen"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Hubert Bauer schrieb am

    Wieso so süffisant antikommunistisch im Ton Herr Scholtz-Knoblauch?

    Gerade in einer strukturschwachen Region, wie der Lausitz, sollte sich Sympathie finden lassen, wenn eine bundesdeutsch aktive Partei, wie die MLPD Hand anlegt für touristisch nutzbare Objekte. Angesichts von 50.000 Wählerstimmen für die AFD, bei gerade mal 100 Zweitstimmen für die MLPD werden intelligente Menschen wenig Revolutionsbefürchungen haben. Gerade in der AFD-Hochburg Görlitz, in der ein AFD-Parteivorsitzender mühelos Erststimmensieger wird, sollten sich demokratische Menschen über jede Contraaktivität im politisch linken Spektrum freuen.

    Selbst wenn die MLPD-Aktivität bislang nur im Renovieren denkmalgeschützter Baumasse besteht, so zeigt es doch, dass diese Partei im Unterschied anderer politischer Mitbewerber den Kopf nicht in den Sand steckt!

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