Baumumstürze: Privatbahnen funken SOS
Foto: Archiv
Region. Kaum hatten die Meteorologen Sturmtief „Fabienne“ angekündigt, schrillten bei mehreren Bahnverkehrsunternehmen in der Region zwischen Dresden und Görlitz einmal mehr die Alarmglocken. Die Länderbahn gar stellte am vergangenen Sonntagabend den kompletten Betrieb auf ihrem Streckennetz in Ostsachsen ein. Aus Sicherheitsgründen, wie Unternehmenssprecher Jörg Puchmüller in einer eilig verfassten Medieninformation schrieb. Zu groß war unter anderem die Befürchtung, dass wie im Vorjahr umstürzende Bäume Schäden an einzelnen Schienenfahrzeugen verursachen könnten. Obwohl diesmal alles glimpflich abgelaufen ist, vermag in erster Linie die Städtebahn Sachsen (SBS) ein Lied davon singen. In der Vergangenheit kam es des Öfteren zu Zusammenstößen auf offener Strecke. Mittlerweile belaufe sich die Schadensquote seit der Betriebsaufnahme im Dezember 2010 auf etwa zwei Millionen Euro, ließ das in Dresden ansässige Unternehmen vor Kurzem verlauten. „Aufgrund der Zusammenstöße mit den Bäumen im Gleis sind aktuell fünf der sechzehn eingesetzten Fahrzeuge der SBS in der schweren Instandhaltung und fehlen somit für das Platzangebot“, erklärte der Geschäftsführer der Städtebahn Torsten Sewerin. „Die Reparaturen werden Monate dauern, da die Schäden so erheblich sind, dass die Züge komplett demontiert werden müssen. Da wir gegenüber dem Eisenbahnbundesamt die Sicherheit der Fahrzeuge im Eisenbahnbetrieb nachweisen müssen, sind bei derart schweren Schäden gutachterliche Nachweise erforderlich. Die Kapazitäten zugelassener Gutachter aber auch zertifizierter Werkstätten sind in Deutschland erheblich eingeschränkt. Das verzögert die Reparaturdauer.“ Neben der Personalproblematik von fehlenden Lokführern bei allen deutschen Eisenbahnunternehmen werde zunehmend der Fahrzeugmangel durch Kollisionen bundesweit dafür sorgen, dass nicht mehr ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stehen. Dies vor allem auf Strecken, die von der Deutschen Bahn nicht mehr bedient werden. „Dafür müssen wir auch noch jährlich zehn Millionen Euro Infrastrukturkosten bezahlen“, fügte Torsten Sewerin hinzu. Vor diesem Hintergrund stellt sich für ihn die Frage, wofür das Geld verwendet wird. „Jedenfalls nicht für die Wartung und den Rückschnitt hiesiger Strecken“, gibt er sich die Antwort gleich selbst. „Hier werden die Ausgaben und Kapazitäten der DB Netz AG massiv zurückgefahren. Ein Sicherheitsrisiko für Fahrgäste und Personal.“
Die Deutsche Bahn indes sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. „Zu den Vorwürfen der Städtebahn Sachsen wollen wir gerne erneut und wiederholt deutlich konstatieren: Wir sind mit allen Beteiligten seit Monaten im intensiven Austausch und Dialog“, betonte Konzernsprecherin Erika Poschke-Frost auf Anfrage. Die Deutsche Bahn sei von den Auswirkungen des Klimawandels so stark betroffen wie wohl kein anderes großes Unternehmen in Deutschland. In diesem Zusammenhang verwies sie auf eine Untersuchung des Potsdam-Institutes für Klimafolgenforschung (PIK). Demnach ist künftig auch in Zeiten eines Jahres vermehrt mit Sturmereignissen zu rechnen, in denen die Bäume mehr Laub tragen und somit eine veränderte Angriffsfläche bieten. „Zusammen mit Starkregen etwa können selbst gesunde Bäume auf durchweichten Böden von Stürmen zu Fall gebracht werden.“ Die Deutsche Bahn bereite sich mit einer Ausweitung des heute schon umfassenden Vegetationsmanagements auf eine solche Entwicklung vor. Zuletzt hatten am 4. August infolge eines Unwetters zwei umgestürzte Eichen dafür gesorgt, dass der Bahnverkehr zwischen Pulsnitz und Kamenz zwischenzeitlich zum Erliegen kam. Auf dem Streckenabschnitt war ein Triebwagen der Städtebahn mit einem der Bäume kollidiert. Dabei wurde er aus den Schienen gehoben. Die Strecke musste anschließend für rund vier Stunden gesperrt werden. Personen wurden bei dem Vorfall glücklicherweise nicht verletzt. „Die Eichen standen deutlich außerhalb der für die Vegetationspflege identifizierten Sechs-Meter-Zone“, stellte Erika Poschke-Frost klar. Gleichzeitig gab sie zu bedenken, dass ein präventiver Kahlschlag gesunder Bäume außerhalb dieser definierten Rückschnittszone rechtlich unzulässig und vom Unternehmen nicht durchsetzbar sei. Ab Oktober sollen laut dem „Aktionsplan Vegetation“ weitere Baumbestände entlang der bundesweit begutachteten Strecken zurückgeschnitten werden.
Rückendeckung bekommen die Städtebahn Sachsen und andere gebeutelte private Verkehrsunternehmen indes vom Verkehrsverbund VVO. „Es ist schon absurd, dass die Staatsregierung uns mehr Mittel für den Zugverkehr zur Verfügung stellt und die bundeseigene Infrastrukturgesellschaft dann dafür sorgt, dass der Verkehr nicht rollen kann“, beklagte Geschäftsführer Burkhard Ehlen bereits im März dieses Jahres. Gut in Erinnerung ist ihm ein Versprechen der DB Netz AG in Erinnerung geblieben, künftig die Vegetationskontrolle im Müglitztal zu verbessern. Dort ließ sich nach Sturm „Friederike“ eine Bahnstrecke mehrere Tage lang nicht befahren. „Bisher ist davon leider nichts zu merken“, merkte der VVO-Chef zum damaligen Zeitpunkt an. Allein in den 15 Monaten zuvor seien im Gebiet des Verkehrsverbundes über 20 Triebwagen mit Bäumen zusammengestoßen. Der verursachte Schaden gehe inzwischen in die Millionenhöhe. „Neben den Kosten für die Bahngesellschaften bedeutet das auch Ausfälle und weniger Platz in den Zügen, die noch fahren“, konstatierte Burkhard Ehlen. Besonders häufig betroffen davon seien Abschnitte in der Lausitz und das, obwohl allein der VVO eigenen Angaben zufolge pro Jahr 19 Millionen Euro dafür ausgibt, dass die Infrastruktur dieser Netze in einem guten Zustand ist und die Züge der Bahngesellschaften so fahren können, „wie wir sie beauftragen“. Hingegen wird dem Ver-kehrsverbund ZVON zufolge in dessen Einzugsgebiet eine Streckenpflege mit hohem Aufwand betrieben, wie Sprecherin Sandra Trebesius mitteilte. Nach Auskunft der DB Netz AG sei ein noch höherer Aufwand kaum möglich. Das liege mitunter daran, dass das Unternehmen nicht Eigentümer aller an die Bahntrassen angrenzender Flächen sei.
Inzwischen hat sich das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) eingeschaltet und erste sogenannte Schwerpunktprüfungen in der Lausitz durchgeführt – so unter anderem an der Strecke Kamenz – Arnsdorf. „Erkennbare erforderliche Sofortmaßnahmen haben sich dabei nicht ergeben“, meinte Sprecherin Heike Schmidt. In Bezug auf die Strecken, die vom Trilex der Länderbahn befahren werden, fügte sie hinzu: „Diese werden ebenso Gegenstand der Vor-Ort-Untersuchung sein.“ Das Bundesamt stellte gleichfalls klar: „Bislang sind uns keine Anhaltspunkte dafür bekanntgeworden, dass der Grünschnitt grundsätzlich vernachlässigt würde.“
Auch die Politik hat ein Auge auf die Entwicklung entlang der ostsächsischen Bahnlinien. „Wir als Linke bemängeln dieses und ähnliche Probleme schon lange“, sagte der Landtagsabgeordnete Marco Böhme, der gleichzeitig Sprecher für Klimaschutz, Energie und Mobilität seiner Partei ist. Er sieht die Zweckverbände und die Staatsregierung in der Pflicht, auf die DB Netz AG stärker einzuwirken, die Strecken sicher befahrbar zu halten. „Immerhin zahlt der Freistaat unter anderem dafür über 500 Millionen Euro an Rationalisierungsmitteln an die Zweckverbände, die wiederum einen Großteil an die DB Netze für Streckengebühren entrichten.“ Seitens der Liberalen hieß es, dass diese den Ärger der Städtebahn absolut nachvollziehen können. „Ich gehe davon aus, dass VVO und ZVON eine Lösung für die nicht erbrachten Verkehrsleistungen der Städtebahn finden, da diese für den Fahrzeugausfall nicht verantwortlich ist“, schrieb Sachsens FDP-General Torsten Herbst dem Oberlausitzer Kurier. Gleichzeitig plädierte er für eine stärkere Aufsicht und Qualitäts-kontrolle durch das Eisenbahn-Bundesamt.
Ungeachtet dessen erhöht Torsten Sewerin den Druck auf die Entscheidungsträger: „Wenn sich die Infrastrukturzustände auf den von uns befahrenen Strecken nicht zeitnah erheblich verbessern, werden wir den Verkehr auch auf den Strecken zwischen Dresden und Kamenz sowie nach Königsbrück einstellen müssen und zwar so lange, bis in gleicher Art und Weise wie nach Altenberg die Bäume entfernt wurden.“ Seit einer Fällungsaktion entlang des Streckenabschnittes im Osterzgebirge im Januar 2018 habe es keine Kollision mit einem Baum mehr gegeben. Zuvor sei diese Bahnlinie im Verkehrsbedienungsgebiet der SBS der Unfallschwerpunkt Nummer eins gewesen.
Mittlerweile scheint sich dieser in die Lausitz verlagert zu haben. Dort war am Freitag vergangener Woche, als eine Gewitterfront durchzog, bei Pulsnitz übrigens schon wieder ein Triebwagen der SBS in umgestürzte Bäume gekracht.