Wie politisch darf Theater sein?
Der jüdische Buchverkäufer Schlomo Herzl (l.) und sein Freund Lobkowitz (M.) wohnen in einem Männerwohnheim in der Blutgasse in Wien. Dann taucht der junge Adolf Hitler auf und bringt alles durcheinander. (Foto: DSVTh)
Herr Heilmann, die Doppelpremiere von „Mein Kampf“ ist absolviert. Wie waren die ersten Termine für Sie als Regisseur?
Ganz toll! Es lief wunderbar. Die Darsteller haben die Doppelpremiere super gemeistert. Und wie sie dann noch mal zusammengekommen sind im Ensemblespiel als Bewohner des Wohnheims, in dem die Geschichte spielt, war toll.
Interessant ist, dass die Darsteller sowohl als Puppenspieler als auch als Schauspieler auf der Bühne glänzen.
Genau, ergänzt wird das Ensemble durch Veronika Thieme als Gast. Es ist interessant, wie alle bestehen.
Wie ist die Resonanz vonseiten des Publikums bei den beiden Premieren Ende September gewesen?
Fulminant. Bei der Premiere am 20. September 2024 war viel Fachpublikum dabei, befreundete Regisseure zum Beispiel. Das hatte eine andere Energie als bei der Premiere am 21. September, als mehr Abonnenten anwesend waren. Es schadet auf jeden Fall nicht, wenn man für das Stück eine gewisse Seherfahrung im Theater mitbringt. Am Samstag war die Reaktion des Publikums zunächst stiller.
Aber einige Zuschauer bei der Premiere haben bereits in der Pause intensiv über das Stück diskutiert.
Ja, das stimmt. Und das ist auch genau das, was ich mit dem Erwachsenentheater erreichen möchte. Dass die Zuschauer etwas mitnehmen von der Vorstellung, ist mir ein großes Anliegen. Viele haben beschrieben, dass sie erstmal darüber nachdenken mussten, nachdem sie das Stück gesehen hatten, ehe sie applaudierten.
Vor den Vorstellungen gibt es eine Einführung zu dem Stück „Mein Kampf“ – warum ist das nötig?
Dabei soll unter anderem Basiswissen vermittelt werden und auch ein Gespür für die Anspielungen, die in dieser Farce gemacht werden. Es handelt sich bei „Mein Kampf“ ja teilweise um realen Inhalt. Dass Hitler zeitweise in dem Männerwohnheim untergekommen ist, ist Tatsache. Auch, dass er privat durchaus mit Juden befreundet war, wird in dem Stück thematisiert. Es gibt zahlreiche Bezüge auf die Bibel und Querverweise. Darum geht es unter anderem in der Einführung.
Warum haben Sie sich ausgerechnet für „Mein Kampf“ von George Tabori als erste Aufführung im Erwachsenentheater entschieden?
Für mich erfüllt es zwei Aspekte: Zum einen hat Theater einen Bildungsauftrag. Zum anderen sollte Theater aber auch einen gewissen Unterhaltungswert haben. In der Farce mit Puppen von George Tabori, die eigentlich als reines Schauspiel geschrieben ist, wird das ernste Thema um Hitler mit dem Puppenspiel verbunden. Zum Teil wird darin übertrieben, was eine Farce aber auch braucht. Manches wird mit einer gewissen Ironie erzählt.
Ist das Stück vielleicht zu politisch fürs Theater?
Es wird immer wieder darüber diskutiert, wie politisch Theater sein darf, aber Theater ist eben auch der Resonanzboden der Gesellschaft. Theater sollte mit den Mitteln der Kunst Denkanstöße vermitteln. Ich will den Leuten nicht verbieten, was sie denken sollen, aber zeigen, dass sie wachsam sein sollten, ohne dabei den erhobenen Zeigefinger zu schwingen. Gerade nach den vergangenen beiden Wahlen ist dies meiner Meinung nach wichtig.
Vielleicht fühlen sich die Menschen hier manchmal, als würden sie irgendwie abgelehnt.
Ich spüre immer wieder, wenn ich mit Leuten hier in Bautzen ins Gespräch komme, dass es ein großes Gefühl der Abgehängtheit gibt. Man merkt bei vielen Leuten, dass sie aus Protest wählen. Bei vielen weiß man, dass es nicht um den Döner-Mann um die Ecke oder die Nachbarin mit Migrationshintergrund geht, sondern die große anonyme Masse gemeint ist.
Wir haben viele Anfragen von Schulen, die sich das Stück anschauen wollen. Ich hoffe, dass wir so einen Beitrag zu Verständnis und Toleranz leisten können, ohne zu indoktrinieren, weil das wäre auch falsch. In „Mein Kampf“ erzählen wir die komplette Handlung aus einem historischen Kontext heraus und verbleiben auch darin.
Was erwartet Erwachsene noch im Puppenspiel?
Als Nächstes kommt dann „Das Wintermärchen“ nach William Shakespeare für Zuschauer ab zehn Jahren. Dabei handelt es sich um ein großes Marionettenspiel. Eine weitere Produktion für Erwachsene ist „Schlafes Bruder“ nach dem Roman von Robert Schneider. Das ist das erste Mal, dass wir eine Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin machen. Da bin ich aber eher Förderer und greife gar nicht groß ein, weil die Nachwuchskünstler ihre Bildsprache entwickeln sollen.
Soll der Fokus künftig mehr auf Stücken namhafter Autoren liegen?
Entweder muss der Titel eingängig sein oder der Autor bekannt, um für Interesse beim Publikum zu sorgen. Allerdings müssen wir Weltliteratur erstmal auf Puppentauglichkeit prüfen, bevor ein Stück in Frage kommt. Was ich mir zum Beispiel gut vorstellen könnte, wäre, ein Astrid-Lindgren-Repertoire aufzubauen. Mein größtes Leseerlebnis in der Kindheit war „Mio, mein Mio“.
Ich halte Astrid Lindgren für eine wichtige Autorin, weil ihre Geschichten oft in einem Fantasieland spielen und von einer großen Humanität zeugen, weil es darin um Freundschaft und Vertrauen geht. Was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass ich immer wieder einen literarischen Ansatz suchen werde.
Worum es in „Mein Kampf“ geht
Die Geschichte von „Mein Kampf“ spielt um 1910 in Wien. Der jüdische Buchverkäufer Schlomo Herzl und sein Freund Lobkowitz wohnen mit anderen, die im Alltag eher untergehen, in einem Männerwohnheim. Eines Tages taucht dort Adolf Hitler aus Braunau am Inn auf, der sich mit Aquarellen von zweifelhafter Qualität an der Wiener Akademie der Schönen Künste bewerben will.
Nach dem Gebot der Nächstenliebe nimmt sich Herzl dem Provinzler mit schwierigem Charakter an, versucht ihn zu erziehen – mit fragwürdigem Erfolg. Hitler gefällt sich in der Rolle des Täters und Welteroberers, zeigt einen Vorgeschmack auf künftigen Schrecken, die von ihm ausgehen werden.