Bautzen: Diebe machen vor nichts mehr Halt
Wolfgang Meyering hält eine Fotografie an die Stelle, an der sich bis vor kurzem noch der Merkurstab befand.
Immer wieder verschwinden Grabschmuck und andere Gegenstände von Friedhöfen, in letzter Zeit besonders oft. Ein Betroffener hat einen Wunsch, der sich wohl nicht erfüllen wird.
Bautzen. „Alles was für den Friedhof bestimmt ist, darf nicht mit nach Hause und darf auch nicht entfernt werden. Es bringt Unglück und Tod ins Haus.“ Für manchen mag das wie Aberglaube klingen, doch „das war die Einstellung unserer Vorfahren und wurde der nächsten Generation so übermittelt. Sei es wie es sei, Diebstahl vom Friedhof ist jedenfalls in meinen Augen asozial.“
Wolfgang Meyering hat dies selbst erleben müssen. Als er an einem Tag im August das Grab seiner Eltern Johanna und Gustav Meyering auf dem Bautzener Taucherfriedhof besuchte, stellte er fest, dass ein zuvor auf dem gemeinsamen Grabstein angebrachtes Zierelement fehlte. „Es handelt sich um einen bronzenen Merkurstab, das Zunftzeichen der ehrbaren Kaufleute“, erklärt der Bautzener. Sein Vater hatte einst den bekannten Obst- und Gemüsehandel Meyering auf der Tuchmacherstraße betrieben, „er war ein Händler, der für seinen Beruf brannte. Und so war klar dass der Stab des römischen Gottes Merkur, des Schutzpatrons der Kaufleute, seinen Grabstein schmücken sollte“, so Wolfgang Meyering. Angebracht war der beidseitig geflügelte Stab, um den sich zwei Schlangen winden, mit kleinen Metallstiften. Er wurde grob herausgebrochen, die Verankerungen stecken noch im Stein.
Der Diebstahl von Grabschmuck und anderen Gegenständen von Friedhöfen, so asozial und abartig er normal denkenden Menschen auch erscheinen mag, ist alles andere als ein Einzelfall. „Als ich dem Friedhofsverwalter davon berichtete, sagte er, er trägt mich in die Liste ein“, so Wolfgang Meyering. Auf Anfrage des „Oberlausitzer Kurier“ erklärt Friedhofsverwalter Robert Eckhardt, dass sich diese Vorfälle seit etwa sechs bis acht Wochen auf dem Taucherfriedhof häufen. Selbst große Plastiken seien bereits gestohlen worden, darunter eine 1,60 Meter hohe Jesusfigur.
Robert Eckhardt vermutet, dass „die Diebstähle zumeist bei regnerischem Wetter oder kurz vor Toresschluss des Geländes passieren, da ist am wenigsten los.“ Einige Grabdiebe würden sich wohl auch einschließen lassen, um später unbemerkt über die Mauer zu verschwinden. Eine Liste, so Robert Eckhardt, führe er nicht, die Betroffenen sollten sich an die Polizei wenden. Das hat auch Wolfgang Meyering getan. Der Polizeidirektion Görlitz wurden von Jahresbeginn bis Juni etwa 20 derartige Fälle gemeldet, wie der MDR damals berichtete. Darunter auch spektakuläre Diebstähle, wie ein gußeisernes Tor in Bretnig oder zwei Engelsstatuen in Großschönau. Doch auch ganz „profane“ Dinge wie Schubkarren oder Regenrinnen verschwinden. Auf dem Taucherfriedhof wurden die kupfernen Fallrohre bereits gegen solche aus Plastik ausgetauscht. Sachsenweit wurde laut einer Statistik des Landeskriminalamtes 2022 jeder vierte Fall eines Diebstahls aus Kirchen oder von Friedhöfen aufgeklärt.
Der Materialwert ist es jedoch nicht, der Wolfgang Meyering (und sicher auch die meisten anderen Betroffenen) schmerzt: „Die Bronze kostet etwa fünf Euro.“ Viel schlimmer sei der Gedanke, dass sich Unbekannte an der Grabstätte, die sich bereits seit 1939 im Besitz der Familie Meyering befindet, vergangen haben. „Unsere Eltern haben so viel für uns getan, wir haben das Grab über die reguläre Liegezeit hinaus behalten“, erklärt der Bautzener, der noch nicht entschieden hat, wie er nun weiter verfährt. „Der Steinmetz hat mir gesagt, dass eine solche Figur kaum noch zu bekommen ist, und wenn, dann sei sie in einigen Wochen wieder weg. Es bestünde die Möglichkeit, den Merkurstab in den Stein einzugravieren, doch das wäre mit erheblichen Kosten verbunden.“
Am liebsten wäre es ihm, so Wolfgang Meyering, „wenn der Dieb diese Zeilen liest, ein schlechtes Gewissen bekommt und den Stab wieder hier ablegt.“ Doch aller Erfahrung nach wird dies wohl ein Wunsch bleiben …