„Bautzner Frieden“ entzweit Bautzens Stadtrat
Gewandhaus (r.) und Rathaus machen einen friedlichen Eindruck. Der Eindruck täuscht allerdings. Nach der letzten Stadtratssitzung brodelt es hinter den Kulissen. Foto: Symbolbild
Bautzen. SPD-Fraktionschef Roland Fleischer spricht von einem skandalösen Vorgang, den er in 20 Jahren Stadtratstätigkeit noch nicht erlebt habe. Aus dem Rathaus verlautet hingegen, allen Vorgaben der Sächsischen Gemeindeordnung sei entsprochen worden. Um die Stadtratssitzung am 29. Januar ist ein handfester Streit entbrannt. Stein des Anstoßes: Fraktionsübergreifend zogen es 16 Bürgervertreter vor, den Sitzungssaal vorzeitig zu verlassen, um an einer Veranstaltung des Vereins „Bautzner Frieden“ teilzunehmen. Dieser erwies am Mittwochabend vergangener Woche im Theater dem umstrittenen Schweizer Historiker Daniele Ganser seine Ehre.
„Es war eine Missachtung der Bedeutung des Stadtrates, es war eine Ohrfeige für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung und es war respektlos gegenüber den Wählerinnen und Wählern derjenigen Stadtratsvertreter, die dem Verschwörungstheoretiker Ganser mehr Bedeutung zumessen, als den Belangen, der durch sie vertretenen Stadt Bautzen“, empört sich auch Tage danach Steffen Grundmann von den Linken.
Christdemokrat verteidigt Vorgehen
Das wiederum will Dirk Lübke von der CDU so nicht stehen lassen: „Herrn Gansers Reden, seine pazifistische Grundeinstellung und seine Forschungsergebnisse sind ja auch im Internet und in seinen Büchern leicht und schnell für jedermann einsehbar. Wer das macht, stellt schnell fest, dass es eine perfide üble Nachrede darstellt, ihn als ‚Verschwörungstheoretiker’ zu bezeichnen.“ Trotzdem stellt sich die Frage, warum ausgerechnet so vielen Bürgervertretern diese Veranstaltung derart wichtig erschien, auch wenn mehrere Beschlusssachen, deren Bedeutung vor allem die Christdemokraten immer wieder hervorhoben, auf der Tagesordnung standen. Dazu zählte neben dem Wohnkonzept der Stadt Bautzen als Fachteil des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (InSEK) auch der von der CDU selbst eingebrachte Antrag, eine Flächenanalyse für potenzielle Wohnstandorte zu erarbeiten. Beide Punkte sollen nunmehr laut Stadtverwaltung in der Februarsitzung zur Abstimmung kommen.
Für AfD-Fraktionschef Sieghard Albert erklärt sich das Ganze folgendermaßen: „Auf der Tagesordnung stand auch ein gemeinsamer Antrag von Bündnisgrünen, SPD und Linkspartei. Dieser konnte zunächst nicht behandelt werden, da sich viele Stadträte die Veranstaltung erst ansehen wollten, um den Antrag zu bewerten.“ Immerhin gehe es in dem Papier darum, dass sich die Bürgervertreter von der Friedenspreisverleihung an Daniele Ganser distanzieren und bei der Ehrung selbst auf die Stadtbezeichnung verzichtet wird.
Verein sieht sich Kritik von links ausgesetzt
Seit Jahren hinterfragen vor allem die Sozialdemokraten den „Bautzner Frieden“. Bereits anlässlich der Auszeichnung des früheren Parlamentarischen Verteidigungsstaatssekretärs Willy Wimmer mit dem „Bautzener Friedenspreis 2019“ kamen die Genossen zu der Einschätzung, dass es sich bei dem Zusammenschluss um „eine Gruppe engagierter Menschen aus der Spreestadt“ handele, „die den Frieden als ihr Hauptthema begreifen, wobei der Verein in der Vergangenheit sporadisch dadurch aufgefallen sei, Menschen mitwirken zu lassen, die von der Polizei als verfassungsfeindliche Rechtsextreme eingestuft werden“. Eine Distanzierung habe, trotz scharfer Kritik, nicht stattgefunden. Ausgerechnet für den Tag der jüngsten Verleihung des „Bautzener Friedenspreises“ durch den nicht eingetragenen Verein „Bautzner Frieden“ hatten sich SPD, Linke und Bündnisgrüne vorgenommen, eine entsprechende Erklärung des Stadtrates zu verlesen.
Verstoß gegen Gemeindeordnung?
Dass dies am Ende ohne die Bürgervertreter von AfD, Bürgerbündnis Bautzen, FDP und Teilen der CDU erfolgte, scheint die Initiatoren des Papiers dann doch zu wurmen. Das sieht auch Freidemokrat Mike Hauschild so: „Der Unmut der drei Fraktionen hat sich doch nur daran entzündet, dass deren Antrag nicht mehr öffentlichkeitswirksam diskutiert werden konnte.“
Der SPD-Ortsverein ist da ganz anderer Meinung. „Hier wurde der zum Wohle der Stadt geleistete Eid gebrochen“, prangerte dieser in einer am darauffolgenden Tag verschickten Pressemitteilung an.
Claus Gruhl von den Bündnisgrünen will indes einen Verstoß gegen die in der Sächsischen Gemeindeordnung verankerte Teilnahmepflicht an den Sitzungen des Stadtrates festgestellt haben, der mit einem Ordnungsgeld sanktioniert werden könne. „Von der Pflicht befreien nur dringende, persönliche Gründe wie Urlaub, Krankheit oder dienstliche beziehungsweise berufliche Anlässe“, erklärte er gegenüber dem Oberlausitzer Kurier. „Nichts davon lag vor.“
Steffen Tech vom Bürgerbündnis Bautzen (BBBz) hielt dem entgegen: „Die nun von Teilen des Stadtrates lautstark kritisierte Situation wäre im Vorfeld durch Weitsicht und Besonnenheit vermeidbar gewesen.“ Damit nahm er unter anderem Bezug auf eine Entscheidung der Rathausspitze. „Bereits im Ältestenrat im Dezember wurde der Terminkonflikt angesprochen. Schon damals war bekannt, dass zahlreiche Stadträte an der Veranstaltung des ‚Bautzner Friedens’ teilnehmen wollen. Deshalb gab es die Anregung, den Beginn der Stadtratssitzung auf 15.00 Uhr vorzuverlegen. Dies wurde vom Oberbürgermeister als nicht notwendig abgelehnt.“
Linke Parteien lassen in Dresden Sitzung platzen
Ob das vorzeitige Verlassen der Sitzung für die 16 Bürgervertreter Folgen haben wird, blieb zunächst offen. Die Stadtverwaltung vermied es zunächst, Stellung zu beziehen. Seitens der Kommunal- und Rechtsaufsicht im Bautzener Landratsamt verlautete, dass eine eventuell vorliegende Pflichtverletzung der betroffenen Bürgervertreter durch den Stadtrat selbst festzustellen und gegebenenfalls zu ahnden wäre. Matthias Knaak von der CDU schlug in dem Zusammenhang vor, dass die Stadträte, die sich aus „privatem Interesse von ihren Aufgaben gedrückt haben“, das Sitzungsgeld dieser Zusammenkunft an einen gemeinnützigen Verein spenden.
Doch wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Bereits im vergangenen Jahr hatte ein Vorfall im Dresdener Stadtparlament für Aufsehen gesorgt. Dort musste gleich eine ganze Reihe an Tagesordnungspunkten verschoben werden. Auslöser sei ein Streit um die Absetzung der Wahl der Aufsichtsräte von der Tagesordnung durch Oberbürgermeister Dirk Hilbert gewesen, hieß es auf Anfrage unserer Zeitung aus dem Rathaus der Landeshauptstadt. Wie ferner aus der Niederschrift zur Sitzung vom 21. November 2019 hervorgeht, war im Zuge der aufgekommenen Diskussion auf Initiative der Bündnisgrünen darüber abgestimmt worden, alle Punkte zu vertagen, die noch auf der Tagesordnung standen. Zuvor hatte die Fraktion der Linken das Verfahren des Oberbürgermeisters kritisiert und dem Stadtoberhaupt nahegelegt, die Sitzung ordnungsgemäß zu beenden. In dem Fall habe es keine Konsequenzen gegeben, so eine Mitarbeiterin der Dresdener Stadtverwaltung.
Wichtige Beschlüsse gefasst
Zurück ans Spreeufer. Auch dort hat das ganze Dilemma eine Vorgeschichte. Rathaussprecher André Wucht: „In seiner Sitzung am 27. November 2019 beschloss der Stadtrat den Terminplan für das Jahr 2020. Schon damals gab es aus den Reihen des Stadtrates den Hinweis, dass es am 29. Januar 2020 einen Konflikt mit einer anderen öffentlichen Veranstaltung geben wird. Man ging davon aus, dass sich ein großer Teil des Rates für besagte Veranstaltung interessiert und Wert auf eine Teilnahme legt. In dem Zusammenhang wies die Verwaltung darauf hin, dass im Ältestenrat, der unter anderem für die Tagesordnungen zuständig ist, durch die Fraktionen ein entsprechender Änderungsantrag für den Januartermin eingebracht werden könne. Einen solchen Antrag, der beispielsweise einen vorgezogenen Beginn hätte vorschlagen können, gab es nicht. Dennoch nahm die Verwaltung bei der Zusammenstellung der Tagesordnung Rücksicht auf die Interessen der Stadträte und legte dem Ältestenrat eine entsprechende Tagesordnung mit 18 Punkten zum Beschluss vor.“
Es gibt aber auch Greifbares. Die Bürgervertreter haben unter anderem einen Grundsatzbeschluss gefasst, wonach die Sanierung und Modernisierung der Allende-Oberschule in Angriff genommen werden soll – samt der Errichtung einer neuen Ein-Feld-Halle. Außerdem gab es grünes Licht für die künftigen Elternbeiträge, die für die Kinderbetreuung in Krippe, Kita und Hort zu entrichten sind. Demnach kostet ein Neun-Stunden-Krippenplatz für das erste Kind fortan 230,91 Euro. Für sechs Stunden im Hort werden 77,95 Euro und für eine neunstündige Betreuung im Kindergarten 136,77 Euro fällig. Eltern, die den Förderhort in Anspruch nehmen, bezahlen für die tägliche sechsstündige Versorgung 91,69 Euro. Die Satzung tritt am 1. Mai 2020 in Kraft.
Kommentare zum Artikel "„Bautzner Frieden“ entzweit Bautzens Stadtrat"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Der Stadtrat von Bautzen ist doch genauso entzweit wir die Bevölkerung! Das hat doch nichts mit "Frieden" zu tun!