Befindet sich Bautzens OB auf dem Egotrip?
Was nun, Herr Ahrens? Zahlreiche Bürgervertreter haben Bautzens OB während der jüngsten Stadtratssitzung an seine verantwortungsvollen Aufgaben im Rathaus erinnert.
Bautzen. Eine Mehrheit quer durch fast alle Fraktionen verweigert dem Oberbürgermeister (OB) die Zustimmung für ein an sich wohlgemeintes Anliegen und erinnert ihn gleichzeitig an seine eigentlichen Aufgaben im Rathaus. Die SPD hingegen kann die ablehnende Haltung nicht nachvollziehen.
Er wollte nur helfen, den beiden an der Belastungsgrenze befindlichen Standesbeamtinnen ein Stück weit ihre Arbeit abnehmen – so sieht es die SPD-Stadtratsfraktion. Andere Bürgervertreter halten vor allem in Hinblick auf den bevorstehenden Strukturwandel dagegen: Es gibt in Bautzen wichtigere Dinge, die jetzt angepackt werden müssten. Die Teilnahme von Oberbürgermeister Alexander Ahrens an einem Seminar, das sich an drei Tagen im September mit dem Thema „Eheschließungsrecht für Bürgermeister“ befasste, hat jüngst im Stadtrat eine heftige Diskussion nach sich gezogen.
Während der Sitzung am 13. Oktober sollte das Stadtoberhaupt zum Eheschließungsstandesbeamten bestellt werden. So der Plan der Verwaltung. Doch dazu kam es nicht. Die Mehrheit der Bürgervertreter stimmte dagegen.
„Den Gedanken von Herrn Ahrens, das seit langer Zeit überlastete Standesamt durch die Übernahme von Eheschließungsterminen zu unterstützen, kann man sicherlich als nett gemeinte Geste verstehen“, sagte beispielsweise die CDU-Fraktionsvorsitzende Katja Gerhardi auf Anfrage unserer Zeitung. „Die dreitägige Fortbildung, die für die Ausübung dieser Tätigkeit notwendig war, steht für uns in keinem Verhältnis zum Nutzen, zumal die Überbelastung der Standesbeamten nicht aus den Eheschließungen, sondern aus der Zunahme der bürokratischen Aufgaben resultiert.“ Mit Blick auf die eigentlichen Aufgaben des OB fügte sie hinzu: „Unserer Meinung nach muss das Thema Strukturwandel ‚Chefsache‘ sein. Wichtige Projekte für unsere Stadt wie das Logistikzentrum Süd müssen unbedingt mit mehr Nachdruck vertreten und forciert werden, um eine Chance auf Umsetzung zu haben. Hier sollte das Augenmerk der Stadtspitze liegen, hier sollten Engagement, Zeit und Initiative investiert werden.“
Bei den dringenden Themen in der Stadt wie Wohnraum schaffen, Sanierung des Haushalts und Stadtmarketing drängen Katja Gerhardi und ihre Parteifreunde auf konstruktive Vorschläge, zeitnahe Lösungen und schnellere Entscheidungen, um als Stadt auch in Zukunft attraktiv und lebenswert zu sein.
„Die dringendste aller Aufgaben ist momentan die Umsetzung des Konsolidierungsbe-schlusses der Stadträte“, betonte indes FDP-Mann Mike Hauschild, dem nachgesagt wird, er wolle 2022 erneut für das OB-Amt kandidieren. „Wir laufen auf ein steigendes Millionendefizit des städtischen Haushalts zu. Damit wird die Kommune handlungsunfähig.“ Seine Fraktion hatte gegen die Beschlussvorlage votiert. „Wir sind der Meinung, dass der OB jede Stunde seiner begrenzten Arbeitszeit für die Erledigung der liegengebliebenen Arbeiten nutzen sollte.“
„Wir sind davon überzeugt, dass der OB diese Aufgabe exzellent ausüben kann“, zeigt sich Karin Kluge vom Bürgerbündnis um Anerkennung für das Engagement bemüht. „Aber nur abnicken geht nicht. Solche Entscheidungen gehören vor der Durchführung in die Diskussion.“ Auch sie und ihre Fraktionskollegen sehen die Hauptaufgabe des Stadtoberhaupts darin, die Kommune weiterzuentwickeln. Als ein Beispiel nennt sie ebenfalls die Chancen, die mit dem Strukturwandel in der Lausitz einhergehen. „Da haben wir offensichtlich großen Nachholbedarf.“ Zudem genieße die Elektrifizierung der Bahnstrecke Bautzen – Dresden oberste Priorität. Genau dafür solle sich das Stadtoberhaupt stark machen.
„Es sind noch acht Monate bis zur Oberbürgermeisterwahl am 12. Juni 2022“, meinte Sieghard Albert, Fraktionsvorsitzender der AfD. „Wir wünschen und fordern, dass der OB als oberster Chef der Verwaltung mit ernsthafter Verantwortung und Zielstrebigkeit die täglichen Aufgaben der Verwaltung erledigt und gemeinsam mit dem Stadtrat, den Bürgermeistern, den Amtsleitern und Mitarbeitern die bereits genannten Aufgaben in dieser Zeit erfüllt.“ In dem Kontext führte er unter anderem den Stadtetat für das kommende Jahr, die anstehende Haushaltskonsolidierung sowie einen verkehrspolitischen Protest gegenüber Land und Bund bezüglich der Bahnelektrifizierung an. Dies sei die Voraussetzung dafür, dass Bautzen mit seinen Bürgern und Gewerbetreibenden die „vor uns liegenden schwierigen finanziellen und politischen Zeiten halbwegs schadlos übersteht“.
Dirk Lübke, CDU-Politiker ohne Fraktionsstatus, zeigte sich hingegen überrascht vom Abstimmungsverhalten des Stadtrates. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass Alexander Ahrens sich fortan als Eheschließungsstandesbeamter verwirklichen darf. „Das Stimmverhalten des Stadtrates ist ein klares Abwatschen des Stadtoberhauptes und zeigt die erhebliche Missbilligung zu seiner Amtsführung auf“, meinte der Bürgervertreter. „Es ist im Prinzip eine klare Rücktrittsaufforderung an den OB.“
Bei den Bündnisgrünen stieß unterdessen die Reaktion des Stadtoberhauptes auf Unverständnis. Sie hatten sich der Stimme enthalten. „Er hat allgemein sehr gereizt reagiert auf die Nachfragen zu dem Thema, obwohl es dafür keinen Anlass gab“, erinnert sich Claus Gruhl an die jüngste Stadtratssitzung. „Weiterhin hat er dann Stadträte harsch zurechtgewiesen, was sie sich herausnehmen würden, solche Fragen zu stellen.“ Eine davon ging in die Richtung, ob ein OB nicht andere wichtige Dinge zu tun hätte als im Standesamt auszuhelfen.
Obwohl die SPD der Initiative von Alexander Ahrens uneingeschränkte Zustimmung schenkte, machte auch deren Fraktionschef Roland Fleischer auf die noch anstehenden Aufgaben aufmerksam. „Dies bedarf des Fachwissens der dafür eingesetzten Kräfte“, legte er dar und fügte hinzu: „Ich wünsche mir, mehr Vertrauen in die Arbeit der Verwaltung zu setzen. Mit dem Fachwissen der Bediensteten und deren Bereitschaft, jederzeit auf Nachfragen trotz hoher Arbeitsbelastung zu antworten, sollte ein gutes Miteinander durchaus weiter möglich sein.“
Nachtrag: OB legt Widerspruch ein
Gern hätte der Oberlausitzer Kurier auch ein Statement von Oberbürgermeister Alexander Ahrens veröffentlicht. Auf eine entsprechende Anfrage erhielten wir den Bescheid, dass eine Beantwortung erst Ende dieser Woche möglich ist, da der OB sich im Urlaub befinde. Allerdings fand er die Zeit, einen Widerspruch gegen den Stadtratsbeschluss zu formulieren. Darin erklärt der OB, dass er in dem Beschluss Verletzungen seiner inneren Organisationsfreiheit sowie der grundgesetzlich geschützten Berufsausübungsfreiheit sieht. Weiterhin sei der Beschluss nachteilig für die Stadt, da er die „zumindest gelegentliche Entlastung der Standesbeamtinnen unmöglich macht.“ Der Stadtrat muss sich nunmehr am 10. November zu einer außerordentlichen Sitzung treffen, um über den Widerspruch zu befinden.
Für Stadtrat Claus Gruhl ist das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Er erklärt: „Wir, die Fraktion Bündnis 90/Grüne, haben uns ja bisher bei der Bewertung des OB zurückgehalten. Nun ist eine Situation eingetreten, wo wir das nicht mehr für angebracht halten. Der OB hat den Stadtrat zu einer außerordentlichen Sitzung zitiert, eine Art Strafsitzung, um den Beschluss bezüglich seiner Bestellung zum Standesbeamten zu revidieren. ... Das Mittel des Widerspruchs ist dem OB für besonders wichtige städtische Belange, insbesondere in finanzieller Hinsicht, vorbehalten. Davon kann in diesem Fall keine Rede sein. Es handelt sich unserer Meinung nach um einen typischen Fall gekränkter Eitelkeit und für eine völlig überzogene unverhältnismäßige Reaktion. Dieser OB ist offensichtlich unfähig zu kritischer Selbstreflexion und von maßloser Selbstüberschätzung getrieben. ... Es geht diesem OB nur und ausschließlich um sich selbst. Er stellt sich selbst über jegliche Interessen der Stadt. Die kritischen Nachfragen zu seiner bisherigen Arbeit sind absolut gerechtfertigt. Ein Beispiel: Zur wichtigen Haushaltkonsolidierung wurde mitten in der Ferienzeit am 12. August eine Sitzung des Stadtrates angesetzt, obwohl absehbar viele Stadträte nicht teilnehmen konnten. Die Sitzung fand statt – ohne den OB, bei diesem Thema. Er war zur Schulung zum Standesbeamten. Dieser OB hat jegliches Vertrauen im Stadtrat verloren. Wir wollten jetzt noch nicht in den Wahlkampf einsteigen, um die Arbeit im Stadtrat nicht mit solchen Themen zu belasten. Nun wird es wohl doch so kommen. Verantwortlich dafür ist einzig der OB mit seinem Egotrip.“ â