„Bewährungsprobe höchsten Grades“ in Kodersdorf
Der Blick René Schönes aus dem Fenster seines Amtssitzes im Schloss von Nieder-Rengersdorf richtet sich auch auf den fließenden Verkehr der vorbeiführenden B115. Foto: Matthias Wehnert
Kodersdorf steht mit der langfristigen Autobahntunnelsanierung erneut vor großen Belastungen durch den Verkehr. Bürgermeister René Schöne gewährte dem Niederschlesischen Kurier Einblicke in die Seelenlage des Chefs eines prosperierenden Gemeinwesens.
Herr Bürgermeister Schöne, Kodersdorf ist in Sachen Gewerbeansiedlung sehr erfolgreich. Fliegt Ihnen durch die Lage an der Autobahn vieles einfach zu oder wieviel Schöne sehen Sie selbst im großflächigen Gewerbegebiet? Vor allem: Ist die Autobahn mehr Segen als Fluch?
René Schöne: Man muss ja von der Geschichte ausgehen. 1990 hatte die Gemeinde Kodersdorf etwa 2.100 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze; das ist dann im Jahr 2003 auf 394 zurückgegangen. Aktuell sind wir wieder bei 1.700 bis 1.750 – das schwankt logischerweise saisonbedingt. Wenn man von Fluch oder Segen reden möchte, dann muss man ganz klar sagen: Ja, es ist es auf der einen Seite ein Segen für uns. Der Bau der Autobahn war für uns natürlich von Vorteil, auf der anderen Seite gibt es für die Anwohner die Lautstärke. Ob das nun ein Fluch ist, muss man dahinstellen.
Für uns ist die Autobahn im Allgemeinen erst einmal ein positiver Effekt. Wer die Planung aus den Jahren 1991 bis 1993 kennt, der weiß, dass es damals zwei Varianten gab. Eine ging über Reichenbach. Wenn die Autobahn nicht zu uns gekommen wäre, dann hätten wir in der Gewerbeentwicklung nicht den Stand, den wir heute haben.
Das heißt, Sie sind mit der Entwicklung zufrieden?
René Schöne: Ich bin seit dem 1. Oktober 1993 hier Bürgermeister. Und ich muss es mal so sagen: Ich war in Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat maßgeblich an der Entwicklung dieses Standortes, so wie er sich heute präsentiert, beteiligt. Sicherlich gibt es Dinge, die man aus heutiger Sich anders hätte machen können, aber vieles ist nach meiner Sicht sehr gut gelaufen. Die heutige Gemeinde Kodersdorf hat eigentlich all das, was man sich bei einer kleinen Gemeinde mit 2.360 Einwohnern vorstellen kann: Wir haben Banken, Gaststätten, Einkaufsmöglichkeiten, Bäcker, Vereine, Schule, Kindergarten, soziale Betreuung, Physiotherapie, Apotheke – das wünscht sich manche Kleinstadt.
Wir sind an der medizinischen Versorgung dran – wir haben zwar zwei Allgemeinmediziner verloren, aber es sieht gut aus, dass wir in zwei Jahren neue haben werden.
Und insbesondere mit den großen Firmen haben Sie ein hohes Steueraufkommen. Bekommen Sie mitunter Angst, dass Erfolg auch Begehrlichkeiten wecken könnte? Das ähnlich große, allerdings arme Ostritz jedenfalls gilt immer mal wieder als Kandidat für eine Eingemeindung nach Görlitz oder Zittau.
René Schöne: Diese Diskussion ist für uns jetzt eher nicht interessant. Wenn wir darüber reden würden, würde es maximal um einen Gemeindezusammenschluss im Zusammenhang mit den Gemeinden des jetzigen Verwaltungsverbandes gehen, aber das ist auch kein aktuelles Thema (Anmerkung der Redaktion: Dem Verwaltungsverband Weißer Schöps/Neiße gehören neben Kodersdorf Horka, Neißeaue und Schöpstal an). Aber zur Gewerbesteuer: Da muss man ganz ehrlich gestehen, seit nunmehr zwei, drei Jahren sind wir eine ’abudante’ Gemeinde, das heißt, wir sind nicht mehr abhängig vom Freistaat Sachsen. Wir bekommen weder Schlüsselzuweisungen, noch andere Zuwendungen, außer die, die gesetzlich vorgeschrieben sind wie Straßenlastenausgleich bzw. Gelder für die Schule – alles andere müssen wir selber finanzieren. Auf der anderen Seite muss man natürlich sehen, wer Mehreinnahmen gegenüber dem hat, was der Freistaat als Grenze dessen festgesetzt, was einer Gemeinde zusteht. Wir müssen einen Großteil, von dem was wir hier einnehmen, an den Freistaat abführen – die Finanzumlage bzw. die so genannte ’Reichensteuer’. Wir führen zudem eine immense Summe an den Landkreis ab – die Kreisumlage. Von jedem Euro, den wir hier mehr einnehmen, von dem bleiben zwischen 20 und 25 Cent übrig. Geht es der Wirtschaft gut, gibt es Steuern, geht es der Wirtschaft schlecht dann nicht. Das Auf und Ab muss eine Gemeinde kompensieren. Das heißt, das was sie einnehmen, können sie nicht einfach ausgeben, weil sie es als Reserve brauchen. Bestes Beispiel ist Boxberg mit dem Fall Vattenfall und der Rückzahlung von riesigen Gewerbesteuern. Dann stehen sie da. Das ist also ein Jonglieren mit dem Geld, das viele Bürger nicht verstehen können. Sie denken, ’aha, die Gemeinde hat ein hohes Steueraufkommen, und das können sie ausgeben’. Nein, können sie nicht. Wir müssen für den Fall X sehr aufpassen, dass wir nicht in Schieflage kommen.
Im Alltag der Kodersdorfer ist das Verkehrsaufkommen bei Umleitungen auf der Autobahn das größte Ärgernis. Wie stellt sich die Situation mit den Tunnelarbeiten in den kommenden drei Jahren dar?
René Schöne: Die Autobahn ist der maßgebliche Punkt, der die Entwicklung der Gemeinde vorangetrieben hat. So ein Bauwerk muss man natürlich immer wieder auf den neusten Stand bringen, was schon lange hätte der Fall sein müssen – siehe europäische Tunnelbau-richtlinie. Die Diskussion hat lange gedauert. Wir erinnern uns ja noch an den Brand Pfingsten 2013. Damals mussten wir über ein halbes Jahr mit den Auswirkungen der Tunnelsperrung leben.
Wir haben immer wieder klar gegenüber dem Bund und dem Freistaat als diejenigen, die die Maßnahme durchführen, kommuniziert, dass es aus den Erfahrungen 2013 nicht geht. Tunnelsperrung oder halbseitige Sperrung sowie Begegnungsverkehr, was am Anfang aufgrund von Gutachten überhaupt nicht möglich schien? Jetzt geht es doch und wir sind sehr froh, dass zumindest ein Teil der LKWs und PKWs durch den Tunnel fährt. Die halbseitige Sperrung betrifft nun immer die eine Richtung, Dresden-Görlitz oder Görlitz-Dresden. Jedes Jahr ist eine Seite dran. Der restliche Verkehr geht im Begegnungsverkehr durch den Tunnel – das ist für uns in Kodersdorf natürlich eine Entlastung. Wir brauchen uns jedoch nichts vormachen, es werden dennoch drei Jahre sein, in denen gebaut wird – mehr oder weniger eine Bewährungsprobe höchsten Grades. Es wird nicht alles durch den Tunnel durchgehen. Jede Woche ist doch irgendetwas auf der Strecke und wenn der Begegnungsverkehr steht, sucht sich der Kraftfahrer den kürzesten Weg und der geht nun mal über die B 115 von Nieder-Seifersdorf nach Kodersdorf oder umgekehrt.
Gibt es für eine Gemeinde überhaupt die Möglichkeit über z.B. Verkehrsapps oder Beschilderungen darauf Einfluss zu nehmen, ob sich Fernverkehr vom Westen Deutschlands den Weg nicht gleich eher über den Berliner Ring als über Dresden sucht?
René Schöne: (lächelt müde) Egal, was man tut: An irgendeiner Stelle, regt sich ja schnell Protest. Fast in jedem Haushalt haben wir heute ein, zwei oder sogar drei Wagen. Faktisch stellt sich eher die Frage, wie die Leute im Ort ansatzweise mit der Belastung umgehen können, wie man im Ort selbst von A nach B und über die Straße kommt und dass man in der Nacht auch mal ein Auge zu machen kann. Wir werden eine Ampel als Querungshilfe an der Schule bekommen, Einfahrt Schulstraße beim Edeka-Markt. Und daneben basteln wir ja auch seit vielen Jahren an der Ortsumgehung. Mit Hilfe von Dresden haben wir das auf den Weg bringen können. Es gibt aus den Kohlemillionen eine Möglichkeit dafür. Die Planungsgruppe LISt Gesellschaft für Verkehrswesen und ingenieurtechnische Dienstleistungen mbH, Abteilung Planung, Bau, Umwelt Bereich Planung ist bei der Planung. Variantenuntersuchungen liegen uns vor. Bis Herbst, so wurde mir gesagt, wird es eine konkrete Linienführung geben, und dann geht man in das Planfeststellungsverfahren.
Die östliche Umgehung wird es sein?
René Schöne: Es gibt eigentlich nur eine mögliche Variante, das ist die östliche. Eine andere wird es definitiv nicht geben können (er zeigt an einer internen Karte, dass der Verlauf über die Lindenstraße gen Bahnhofstraße laufen dürfte, ein Anschluss würde auf Höhe des Bauhofs/ehemaliger Kindergarten oder weiter nördlich zwischen Kodersdorf und Särichen möglich sein). Auch westlich von Kodersdorf ist geprüft worden, aber das bringt für die Gemeinde nichts.
Wie sind Sie in die Kommunalpolitik gekommen?
René Schöne: Ich bin Särichener und seit 1983 in der CDU – damals noch als Blockpartei. Das hat folgenden Hintergrund: Meine Frau war damals im Dienstleistungskombinat und leitete eine Außenstelle. Man drängte sie doch der SED beizutreten. Um das zu umgehen, haben wir damals gesagt: ’Schluss, aus, Feierabend, wir gehen in die CDU’ und damit hatten wir unsere Ruhe. Das haben wir aber eigentlich nicht aktiv gelebt. Aber wir sind alle vor der Wende in eine Situation gekommen, in der wir gesagt haben: ’Hier geht es nicht mehr weiter’ und sind dann doch aktiv geworden. Trotz Angst vor Repressalien ist dann alles gut gegangen, weil letztlich doch jeder mehr mit sich zu tun hatte. Wenn man A sagt, muss man dann auch B sagen. So habe ich als ehrenamtlicher Bürgermeister im damals noch eigenständigen Särichen angefangen. Mit 295 Einwohnern ging das noch nebenbei. In meiner Baufirma wurde mir gekündigt. Ich bin dann ins Landratsamt gegangen, habe eine ABM-Firma mit aufgebaut. Dann kam eines zum anderen: Beim Verwaltungsverband – damals Verwaltungsgemeinschaft – wurde ich Hauptamtsleiter. Heute steht für mich weiterhin Wirtschaft und Nachhaltigkeit im Zentrum, so gesehen bin ich mit einer christlich-demokratischen Einstellung in der CDU heute gut aufgehoben, wenngleich man als Bürgermeister allen gegenüber neutral sein muss.