Bischof Ipolt mahnt zu einer Ökologie des Menschen
Die beiden Görlitzer Kirchenvorderen beim Neujahrsempfang unter sich: Rechts Theresa Rienecker (evangelisch), links Wolfgang Ipolt (katholisch) Foto: Matthias Wehnert
V.l.n.r. am Tisch: Theresa Rienecker, Michael Kretschmer, Stephan Meyer und Octavian Ursu. Foto: Matthias Wehnert
Der Neujahrsempfang im katholischen Bistum Görlitz war am letzten Wochenende durch das Beisein des Landesvaters Michael Kretschmer aufgewertet. Das brachte im Zeichen der Furcht vor Wahlergebnissen auch Interpretationsspielraum. Der Gastgeber ließ sich auf das politische Spiel eher ganz anders ein.
Görlitz. Schon im Januar 2023 hatte der Niederschlesische Kurier seinen Text zum Neujahrsempfang von Bischof Wolfgang Ipolt mit den Eingangsworten belegt: „Manche Rede erlebt ihren zweiten Einsatz, aber außerhalb eines politischen Rahmens ist der Anspruch nach Tiefe im Angesicht des Herrn schon ein anderer.“ Das galt im Görlitzer St.-Otto-Stift auch 2024 wieder.
Oberbürgermeister Octavian Ursu stellte das Wahljahr auch in den Fokus seiner Rede und beklagte, heute entstünden zu oft ideologische Grabenkämpfe. Er forderte zum Widersprechen auf – das klang im Kontext jedoch sehr nach dem Widersprechen in nur eine Richtung, zumal der OB ein geradezu hagiographisches Bild der heutigen Wissenschaft zeichnete. Gute Botschaften lägen so neben Fortschritten bei der weltweiten Wasserversorgung, der Alphabetisierung vor allem in neuen Erkenntnissen der Medizin.
Da klang es unfreiwillig fast satirisch, als Landrat Stephan Meyer im Anschluss bemerkte, er stelle eine „seltsame Stimmung in Deutschland fest, für die ich durchaus Verständnis habe.“ Sorgen würden aber im Positiven auch einen wacheren Blick erlauben.
Ministerpräsident Michael Kretschmer machte sich zumindest eingangs seiner Ausführungen die Meyer’sche Sicht des Agierens in Demut zu Eigen. Er sei am Vortag in Chemnitz beim Bauernprotest auf kein gutes Klima gestoßen. Ein Gebet aller mit einem Chemnitzer Pfarrer habe dann aber doch noch die Grundlage für ein aufrichtiges Sprechen miteinander geliefert. Die selbst gesetzte Atempause ist aber mit dem nächsten Satz auch wieder dahin, denn sein Verweis darauf, „auch“ die Nazis seien über eine Wahl in den Reichstag gekommen klingt nicht nach dem zuvor bei Dr. Meyer gehörten „Zusammenführen“.
So gipfelt die Rede des Vorsitzenden der sächsischen Partei mit dem großen C im Namen auch in der Ankündigung des Kampfes, auch künftig die stärkste Fraktion im Landtag zu bilden.
Bischof Wolfgang Ipolt, zog sein Konzept ganz anders auf. Seine unter https://www.bistum-goerlitz.de/neujahrsempfang-unseres-bischofs-wolfgang- ipolt verlinkte Neujahrsansprache stellte er unter den Leitsatz: „Was Christen vom Leben halten“ und knüpfte damit auch an die Rede von Papst Benedikt XVI. 2011 im Bundestag an. Benedikt hatte betont, die Bedeutung der Ökologie sei inzwischen unbestritten, häufig werde aber ausgeklammert: „Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat.“
Die darin anklingende Warnung vor einem Transhumanismus, dem die Politik zunehmend die Tür öffnet und die in unkritischer Wissenschaftshörigkeit an diesem Tag schon in der Luft lag, belegte Wolfgang Ipolt mit zwei konkreten Beispielen aus der Politik. Denn in christlicher Sicht hat die Freiheit des Individuums letztlich ihre Schranken in einer von Gott geschenkten Freiheit.
Ipolt zielte zunächst ausführlich auf den „assistierten Suizid“ ab, bei dem in den letzten Jahren der ökumenische Konsens leider aufgeweicht worden sei. Der Bundestag befasse sich im Juli mit dieser Frage erneut. Das übrigens unter einer Bundesregierung, deren Kanzler den Verfassungseid ohne Gottesbezug geschworen hat. Ipolt sagte: „Als Christen betonen wir (.), dass sich das Recht auf Selbstbestimmung – das auch wir teilen – nicht auf das eigene Leben beziehen kann. Die Verfügung über seine Existenz als solche ist dem Menschen entzogen.“
Von der Kunst des Sterbens
Der christliche Glaube habe viele heute oft verschüttete Zugänge zu einer Kultur des Sterbens. „Wir reden vom Sterben als einem Teil des Lebens, vergessen aber oft genug, dass wir dann auch im Leben das Sterben erlernen müssen. In der mittelalterlichen Spiritualität habe man einer ’ars moriendi’ (Kunst des Sterbens) gesprochen. Von der Redaktion gefragt, ob er sich in diesen Ausführungen von der zurzeit gerade laufenden Ausstellung gleichen Namens und Inhalts im Breslauer Nationalmuseum inspiriert gesehen habe, verneint Wolfgang Ipolt, zeigt aber Lust sich das anzuschauen und fragt nach. Diese Schau ist außer montags noch bis 24. März mit zahlreichen Relikten aus dem Mittelalter in Schlesien am Plac Powstancow Warszawy 5 in Breslau zu sehen, verfügt leider jedoch nur über eine polnisch- und eine englischsprachige Beschriftung.
Der Mensch entwickelt sich als Mensch und ’nicht zum’ Menschen
Als zweites Feld in der „Ökologie des Menschen“ sprach der Bischof die derzeitige Debatte um den § 218 StGB an. Er beklagte: „Es gibt von verschiedenen Seiten das Bestreben, den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafrecht herauszunehmen“. Das Bundesverfassungsgericht habe aber betont, dass ’spätestens’ mit der Nidation (AdR.: Einnistung der befruchteten Eizelle an die Gebärmutterschleimhaut) von einem menschlichen Leben auszugehen sei. Es könne keinen „abgestuften“ Lebensschutz geben, der ein Leben mit dem anderen ausspiele. „Denn der Mensch entwickelt sich als Mensch und ’nicht zum’ Menschen“, so Ipolt ebenso unter Verweis auf das höchste deutsche Gericht.
Im Gespräch mit der Redaktion schätzte sich Wolfgang Ipolt glücklich, dass der Ministerpräsident in Sachen Sterbehilfe „ganz auf meiner Seite ist.“ Auf den Einwand, dass er dabei aber nicht einen Einklang mit dem MP zu § 218 erwähne, räumte Ipolt ein: „Richtig, das ist ein schwierigerer Fall. Aber es war mir wichtig, diese Eindeutigkeit anzubringen, denn bei allen Fragen der Natur wird der Mensch so oft vergessen!“.
Zahlreiche Jubiläen
Generalvikar Markus Kurzweil hatte zu Beginn des Empfangs daran erinnert, dass mit der Erhebung von Görlitz zum Bistum 2024 ein dreißigjähriges Jubiläum anstehe. Auch bereite man sich auf den 850. Geburtstag der Bistums- und auch Stadtpatronin von Görlitz, der Heiligen Hedwig von Schlesien, vor und nicht zuletzt begeht Exzellenz Wolfgang Ipolt höchstselbst am 17. März seinen 70. Geburtstag. Generalsuperintendentin Theresa Rienecker, Ipolts evangelisches Pendant in Görlitz, steuerte mit dem Hinweis auf 20 Jahre der Vereinigung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg mit der der Schlesischen Oberlausitz eine weiteres rundes Jubiläum bei. Da war es sicher ein Punktgewinn für den hohen Gast Michael Kretschmer, wenn dieser in seiner Ansprache beteuerte, er wolle „für unsere schlesische Heimat“ Impulse setzen. Doch diese Formulierung ist eben von Michael Kretschmer, dem die Redaktion zwei Stunden später bei der Modellbahnschau in Löbau noch einmal über den Weg lief, auch nur in Görlitz zu hören, nicht jedoch am Rednerpult im Landtag oder bei einem Besuch in Breslau.
Dem Text war im Niederschlesischen Kurier vom 19. Januar 2024 der folgende Kommentar angefügt:
Fürchte Dich nicht
Landrat Dr. Stephan Meyer hat beim Neujahrsempfang bei Bischof Wolfgang Ipolt meine Seele tief berührt, als er aufgrund einer Herrnhuter Losung aus dem 2. Brief Paulus an Timotheus (7) zitierte: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ Es ist mein Konfirmationsspruch, den ich 1983 allerdings als junger Rebell als echte „Niete“ empfand, zumal Besonnenheit in meiner Urkunde als „Zucht“ übersetzt war. Furchtlosigkeit und Kraft meine ich mir zu eigen gemacht zu haben, an der Besonnenheit lässt sich noch arbeiten. Stärken und Schwächen sind Gott sei dank bei jedem anders und nur im Zusammenspiel vieler gut dosiert.
Meyer betonte jedenfalls, unterschiedliche Sichtweisen zusammenzuführen zu wollen. Das klang zwar nicht unbedingt nach einem freudigem Aushalten anderer Meinungen, aber immerhin nach notwendiger Demut, an die ich in den kommenden zwölf Monaten nun Maß anlegen kann.
Ob man nun Bischof Ipolts Ausführungen inhaltlich teilt oder nicht: Kraft, Liebe und Besonnenheit hatten sie!
Hingegen kann ich meine tiefe Enttäuschung vor den Worten des Görlitzer Oberbürgermeisters nicht leugnen. Das Hohelied auf die Wissenschaft war nach meinem Empfinden das Gegenteil von Weisheit. Will man die Unzufriedenheit weiter Bevölkerungsteile heute im Ansatz verstehen, so ist eine Grundakzeptanz dafür notwendig, wieso dieses Unbehagen steigt und steigt. Die geradezu horrenden Gewinne der Pharmaindustrie und ihre Ursachen müssen hinterfragbar sein. Gerade weil in diesem Wirtschaftszweig die Interessen am stärksten wirken, den Mensch nicht mehr als Mensch zu sehen, sondern als hackbaren Datenträger. Ist der Mensch nur noch ein potenzielles Speichermedium ist er ersetzbar, wertlos und nicht mehr ein beseeltes Wesen. Unmodern ausgedrückt liegt darin eine heute als lästig oder gar rückständig empfundene Gottesfurcht. Aber ist diese nicht viel menschlicher als eine Furcht vor Wählern, die eigentlich eine Furcht vor vielen Seelen ist?
Till Scholtz-Knobloch