Bittere Bilanz für den Tourismus in und um Görlitz
Während der große Tourismus noch in Lauerstellung liegt, steigt die Vorfreude auf die Naherholung. Hier eine Partie am Teilstaubecken Reichendorf bei Diehsa. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Auch im vergangenen Jahr litt die Tourismusbranche stark unter Corona. Mit 4,2 Millionen Ankünften besuchten 2021 laut Statistischem Landesamt etwa halb so viele Gäste Sachsen wie 2019. Die Übernachtungszahlen lagen mit 12,3 Millionen gegenüber 20,7 Millionen 2019 ebenfalls deutlich unter dem Wert im Vorjahr der Pandemie. Auch Görlitz hat zu klagen.
Region. Die Nachfrage nach Übernachtungsangeboten war in dem Zeitraum, in dem touristische Beherbergungen möglich waren, weiterhin hoch. So war das Niveau der Übernachtungszahlen zwischen August 2021 und Oktober 2021 etwa gleich hoch wie in den Vorjahresmonaten 2019 und 2020 oder lag sogar höher. Mit 2,24 Millionen Übernachtungen im August 2021 wurde in Sachsen ein neuer Rekordwert erreicht.
Tourismusministerin Barbara Klepsch ordnet diesen Zahlenausschnitt aus ihrem Haus politisch so ein: „2021 war aus touristischer Sicht wieder ein Jahr voller Höhen und Tiefen. Sieben Monate lang litten unsere Hotels, Pensionen und Ferienhäuser unter massiven Umsatzverlusten. Die hohe Nachfrage zwischen August und Oktober beweist jedoch, dass Sachsen weiterhin ein sehr beliebtes Reiseziel ist. Die Signale aus der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz stimmen mich zuversichtlich, dass unsere sächsische Tourismuslandschaft an den Lichtblick der vergangenen Sommermonate auch langfristig wieder anknüpfen kann.“
Trotz hoher Nachfrage im Sommer weist die Statistik neun Prozent weniger Übernachtungen und 12,5 Prozent weniger Gästeankünfte im Vergleich zum Vorjahr auf. Zurückzuführen ist dies auf den langen Zeitraum, in dem touristische Übernachtungen in Sachsen nicht möglich waren. Dieser lag 2021 bei 29 Wochen – und war damit etwa doppelt so lang wie im ersten Pandemiejahr.
„Die Abwanderung aus der Branche hält an.“
Der Landrat des Vogtlandkreises, Rolf Keil, Vizepräsident des Landestourismusverbandes Sachsen e.V. (LTV), schätzt aus unternehmerischer Sicht die Situation anders ein als Ministerin Klepsch: „Insgesamt rund sieben Milliarden Euro Umsatzverlust – das ist die bittere Bilanz für den Tourismus. (...) Die Eigenkapitaldecke vieler Tourismusbetriebe wird zunehmend kleiner, die Abwanderung von Arbeits- und Fachkräften hält an.“ Umso mehr gelte Respekt und Anerkennung den über 190.000 Gastgebern im Freistaat, „die nicht aufgeben, nach vorn blicken und neue Ideen und Geschäftsmodelle entwickeln – mit Mut, Ideenreichtum, Klugheit und Unternehmergeist.“ Fakt sei jedoch auch: „Angesichts der Bedeutung des Tourismus als wichtiger Wirtschafts- und Standortfaktor für Sachsen braucht die Branche mittel- bis langfristige Unterstützung von Bund und Land.“
Die Bilanz in Görlitz
214.394 Übernachtungen gab es 2021 in den Görlitzer Beherbergungsbetrieben mit 86.042 Gästen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das weitere Verluste von -8,7% bei den Übernachtungen und -16,7% bei Ankünften. Die Zahlen entsprechen nur noch dem Tourismus-Niveau von vor 10 Jahren.
Der im Nachhinein fragwürdige Lockdown in Sachsen dauerte im bundesweiten Vergleich sehr lange an – erst ab 8. Juni fielen im Kreis Görlitz die letzten Beschränkungen für touristische Betriebe. Bereits ab 22. November war touristisches Reisen in Sachsen erneut nicht mehr möglich. „Das sind noch einmal bedeutend längere Ausfallzeiten für den Tourismus als 2020, die ein weiteres Minus entstehen lassen. (...) Nach einer kurzen touristischen Anlaufphase konnten wir dann im August und Oktober neue Höchstwerte bei den Übernachtungen registrieren“, sagt Eva Wittig, Geschäftsführerin der Europastadt GmbH. Die Zimmerauslastung lag in diesen beiden Monaten bei über 70%, im September mit einem Spitzenwert in den Hotels sogar bei über 80%. Die Aufenthaltsdauer für Urlaube in Görlitz steigerte sich auf durchschnittlich 2,5 Tage. „Die neuen Entwicklungen vom ersten Corona-Jahr mit längerer Aufenthaltsdauer, mehr Individualtouristen und Familienurlaubern sowie stärker nachgefragten Aktivitäten in der Natur wie Radfahren und Wandern lassen sich aus unserer Sicht auch für 2021 bestätigen“, erklärt Wittig. Das Interesse für individuelle Touren in Görlitz und Umgebung bediene die Europastadt GmbH mit Angeboten im Online-Tourenportal Outdoor Active. Dort haben sich die Klicks der Nutzer auf Görlitz-Touren im Vergleich zu 2020 schon verdoppelt, mit jetzt 26.000 Aufrufen.
Das Hoffen auf Polen und Tschechien
Für 2022 hofft Eva Wittig nun auf verlässliche Rahmenbedingungen, bessere Planbarkeit und etwas mehr ’Normalität’. „Europäisches Stadterlebnis und vielfältige Kultur sind unsere Stärken und die wollen wir endlich mal wieder voll ausspielen können“, sagt sie.
Um die Aufenthaltsdauer mittelfristig zu steigern, setzen die Görlitz-Vermarkter zudem auf die Kombination aus Stadturlaub und Aktivitäten in der Natur wie den Berzdorfer See, den Muskauer Park, das Zittauer Gebirge und auch Polen und Tschechien. Auch in der Vermarktung der eigenen Angebote ist das nahe Ausland wichtig. So setzt die Tourismus-Marketing-Gesellschaft Sachsen mbH (TMGS) ihren Fokus auf „die grenznahen und europäischen Nahmärkte“, denn hier sei „die schnellste Erholung der Nachfrage zu erwarten“. Sie möchte daher „in großangelegten Kampagnen wieder alle Register ziehen.“ Veronika Hiebl, Geschäftsführerin der TMGS betont: „Wir haben während der Pandemiezeit nicht einen Tag nachgelassen, um in den Köpfen und Herzen der potenziellen Gäste zu bleiben. Die Strategie, gerade auch in Krisenzeiten potenzielle Gäste kontinuierlich zu informieren, trägt bereits jetzt erste Früchte.“
Herzstück der Kommunikation der TMGS sei die neue Internetseite www.sachsen-tourismus.de, die in deutscher und englischer Sprache an den Start gegangenen ist. Ab April würden auch die polnische, tschechische, italienische und niederländische Seite ans Netz gehen. Die russischen und chinesischen Seiten sollen folgen.
Touristiker sollen den Kreis Görlitz selbst erleben
Derweil versucht der Landkreis Görlitz eine künftige Belebung dadurch zu erreichen, dass Mitarbeiter aus dem Tourismus mittels Vergünstigungen tieferen Zugang zu dem zu gewissen, was sie sonst selbst jeweils vermarkten müssen.
In 31 Einrichtungen erhalten sie den Touristiker-Pass – ein personalisiertes Stempelheft, das zu kostenlosen oder rabattierten Nutzungen bis Ende 2022 berechtigt.
„Der Touristiker-Pass ist eine spezielle Weiterbildungsmöglichkeit, um die eigene Region zu entdecken und kontinuierlich auf dem neusten Informationsstand zu bleiben“, erklärt Maja Daniel-Rublack, die in der Entwicklungsgesellschaft Niederschlesische Oberlausitz (ENO) mbH unter anderem für die Tourismuskooperation im Kreis zuständig ist.
„Während der Arbeitszeit ist kaum Zeit für das Kennenlernen anderer touristischer Einrichtungen. Daher kann der Pass auch in der Freizeit eingesetzt und dieser als Inspiration für die (Familien-) Ausflugsplanung genutzt werden“, denkt Maja Daniel-Rublack. Zudem können Nutzer des Touristiker-Passes von einem Weiterbildungszertifikat profitieren. Für dessen Ausstellung müssen 60 Prozent der Angebote genutzt und dies durch Stempel und Unterschrift der Anbieter bestätigt worden sein. „Je mehr man von den touristischen Angeboten selber kennt, umso sicherer wird man auch bei der Kundenberatung“, sagt Daniel-Rublack. Diese Jahr wird der Pass erprobt und soll künftig regelmäßig herausgegeben werden.