Bücher gingen in die Welt und sind nun wieder zurück
Am Freitag, 18. Dezember, konnte Jürgen Warmblut (rechts) vom Herder-Institut der Vorsitzenden der Macica Serbska, Anja Pohoncowa und dem Leiter der Sorbischen Zentralbibliothek, Wito Bejmak, 174 Exemplare der 1941 beschlagnahmten Bibliothek zurückgeben.
Zu den ältesten Exemplaren des restituierten Bestandes gehört eine Lausizische Monatsschrift von 1789. Foto: Benjamin Vogt
Gerade beim Arbeitsmarkt hoffen viele in der Region auf Rückkehrer. Dabei kehren nicht nur Leute zurück, sondern manchmal auch Dinge. So wie letzte Woche am sorbischen Institut, wo einstmals geraubte Bücher nun wieder zu Hause sind.
Bautzen. Was für Umwälzungen besonders auch Kriege für gesellschaftliche Strukturen bedeuten können, wird gerade im Osten Europas wieder präsent. Und dementsprechend lange dauert es, bis wieder alles an dem Ort ist, wo es hingehört. Gerade wenn es darum geht, einst geraubte Kulturgüter wieder ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben, ziehen sich die Verfahren oft in die Länge. In Bautzen konnte jetzt so eines abgeschlossen werden.
Eigentlich beginnt die Geschichte bereits im 18. Jahrhundert. Denn das älteste Exemplar, das nun zurückgegeben wurde, ist eine Lausizische Monatsschrift aus dem Jahr 1798. Die „jüngsten“ Exemplare stammen aus dem Jahr 1933. Gemeinsam ist ihnen, dass sie allesamt ursprünglich zur Bibliothek der Macica Serbska gehörten, also der wissenschaftlichen Gesellschaft des Sorbischen Volkes.
Als wissenschaftliche Vereinigungen der Sorben in der Lausitz war die Macica Serbska in Bautzen während der Naziherrschaft der Verfolgung ausgesetzt. So wurden im Jahr 1937 sämtliche Aktivitäten wendischer Vereine verboten und 1941 deren Vermögen beschlagnahmt, darunter auch die Bibliotheken. Das Reichsministerium des Innern sprach damals der „Publikationsstelle Berlin-Dahlem“ den Hauptteil der beschlagnahmten Bücher und Zeitschriften zu. Die Publikationsstelle wurde 1931 von dem Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive, Albert Brackmann, als Publikationsfonds gegründet und war zunächst am Preußischen Geheimen Staatsarchiv angesiedelt. Dabei fungierte sie als Geschäftsstelle der „Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft“. Während der NS-Zeit sollte sie dabei helfen, mit einer völkischen Argumentation die Herrschaftsansprüche des Deutschen Reichs im östlichen Europa zu untermauern.
Bei den geraubten sorbischen Objekten kam es dabei wahrscheinlich nicht zu einer großartigen inhaltlichen Verwertung. Denn der Bestand, zu dem auch Bücher und Zeitschriften aus den Privatsammlungen von Michal Hórnik und Arnošt Muka gehörten, wurde „erst“ 1941 zum Großteil nach Berlin Dahlem transportiert. Weitere Nutznießer der Beschlagnahmung waren übrigens die Universitätsbibliothek Leipzig und das Landratsamt in Bautzen. Dadurch wird ersichtlich, dass bei der Aktion nicht nur geraubt, sondern auch ihr Sammlungszusammenhang zerstört wurde.
Die Bibliothek der Macica war dabei mitnichten die Einzige, die ihren Weg nach Berlin fand. Auch im Osten Europas, wie der damaligen Sowjetunion und dem Baltikum, wurden Bibliotheken geraubt. Dabei ging es nicht in erster Linie um den Besitz materieller Werte, sondern, in einer Zeit, in der das gedruckte Wort oft die einzige Möglichkeit war, Informationen und Zusammenhänge zu vermitteln,wohl auch immer um den Versuch, das kulturelle Erbe eines Volkes ein Stück weit auszulöschen, wie Dr. Jürgen Warmbrunn ausführte, der als stellvertretender Direktor des Marburger Herder-Instituts den aktuellen Rückgabeprozess begleitete, erläutert.
Da bekannt sein dürfte, dass das „Tausendjährige Reich“ damals nur noch vier Jahre zu leben hatte, war nicht mehr all zuviel Zeit, die geraubten Sammlungen überhaupt zu sichten, geschweige denn, sie inhaltlich zu verarbeiten. Durch den Kriegsverlauf wurde der Bestand der Publikationsstelle dann auch bald wieder evakuiert. Und zwar nach Bautzen. Somit war kurzzeitig der Bestand der Macica wieder in der Region. Aber nicht lange. Denn als 1945 die Rote Armee anrückte, wurden die Bücher und Zeitschriften abermals abtransportiert. Ein Teil ging in Kisten nach Lehndorf bei Löbau, wo sie teilweise von den sowjetischen Soldaten beschlagnahmt , teilweise wieder zwischengelagert und nach dem Krieg später wieder aufgefunden wurden. Bis heute weiß man nicht genau, was aus den Objekten geworden ist, die damals ins heutige Russland verbracht worden sind. Aus gegebenen Anlass ist die Forschung in diese Richtung aktuell auch eher schwierig.
Die Drucksachen, die nun wieder nach Bautzen gekommen sind, haben aber einen anderen Weg genommen . Sie wurden 1945 nach Coburg verbracht und dort von der amerikanischen Armee beschlagnahmt. In der Folge der Ereignisse kamen sie dann in die USA, genauer in die Library of Congress, der Kongressbibliothek. Als nach dem Krieg das Verhältnis zwischen den Amerikanern und der Bundesrepublik partnerschaftlicher wurde, ging im Jahr 1964 ungefähr ein Drittel der Bücher und Zeitschriften nach Marburg zurück und wurde dort in den Bestand des Herder-Instituts aufgenommen. Dort lagerten die Werke in der Forschungsbibliothek für historische Ostmitteleuropaforschung.
In Marburg wusste man man wohl, dass Teile der eigenen Bibliothek eigentlich woanders hingehören. Und so laufen schon seit Jahren die Bemühungen, einstmals geraubtes Kulturgut wieder den Besitzern zurückzugeben. Für den nun erstmal abgeschlossenen Rückgabeprozess an die Macica, der übrigens der erste seiner Art für das Herder-Institut darstellt, wurden allein 17.000 Exemplare durchgesehen. Teilweise konnte man sie noch an den alten Bibliotheksstempeln identifizieren, teilweise hatte man alte Bestandslisten, wie den 1924 gedruckten Katalog der Macica. Auf jeden Fall konnten nun die Werke, die in Marburg lagerten, in ihre Bautzener Heimat zurückkehren. Hier werden sie Teil der Sorbischen Zentralbibliothek, in die auch die ehemalige Bibliothek der Macica eingegangen ist. Jürgen Warmbrunn zeigte sich sehr zufrieden mit dem Abschluss der Restitution: „Wir freuen uns, dass die Werke wieder dort sind, wo sie hingehören“, äußerte er sich bei der Übergabe im Sorbischen Institut. Auch wenn ein kleiner Wermutstropfen bleibt, denn über die Bestände, die noch heute in Amerika und Russland lagern, ist nicht viel bekannt. „Wir wissen nicht, ob es in der Library of Congress überhaupt noch jemand gibt, der über die Bestände mehr weiß“, so Warmbrunn. Der neue „Verwalter“ der rückgekehrten Objekte, Wito Bejmak, freute sich jedenfalls und sah diese Geschichte auch bisschen als Analogie auf die menschlichen Lebensläufe in der Region. In diesem Sinne kann man nicht nur den Büchern, sondern auch den Menschen zurufen: „Geht in die Welt, und kommt wieder zurück“.