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Bundesbrandmauer in Sachsen vor Einsturz

Bundesbrandmauer in Sachsen vor Einsturz

Am Görlitzer Jakobstunnel waren vor der Wahl Wahlplakate verunstaltet worden und dürften bei Wählern eher den Wunsch nach Ordnungspolitik beflügelt haben. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Deutschland hat gewählt und könnte vor einer Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD stehen. Doch im Osten und vor allem im Landkreis Görlitz lässt der Würgegriff der AfD der Union künftig kaum mehr Luft, eine Brandmauer aufrecht zu erhalten.

Landkreis Görlitz. Ministerpräsident Michael Kretschmer tat sich den Wahlabend nicht an, auch wenn sein Parteifreund Friedrich Merz nun heißester Anwärter ist, nach der rechnerisch im Grunde einzigen denkbaren Koalition mit der SPD zum Bundeskanzler gewählt zu werden. Der Weg dahin ist steinig, denn schon spürt Merz die Pistole des Wahlverlierers SPD auf der Brust, den die Union jedoch als einzigen Koalitionspartner akzeptiert. Michael Kretschmer zog es vor, den Wahlabend beim Berliner Konzert von Singer-Songwriter Teddy Swims zu verleben. Also bei jenem Star, der seinen größten Erfolg mit dem Hit „I loose control“ (Ich verliere die Kontrolle) feierte. Darin heißt es unter anderem ja auch: „And the devil’s knockin’ at my door“ (Und der Teufel klopft an meine Tür). Genau das ist nun also politisch für den MP eingetreten, denn Auswirkungen auch auf die Landespolitik werden nicht ausbleiben. Während die Brandmauer zur AfD auf gesamtdeutscher Ebene noch hält – diese wackelt freilich durch weitere Dellen gehörig – könnte der finale Einschlag durch Treffer aus dem Osten erfolgen.

Den nach dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge stärksten Schuss vor den CDU-Bug gab es dabei im Landkreis Görlitz. Die AfD holte hier im für die Anzahl der Abgeordneten maßgeblichen Umfang der Zweitstimmen 46,7 Prozent – die CDU 19,8 Prozent. Auch bei den Erststimmen zur Bestimmung des Direktkandidaten aus dem Wahlkreis holte Florian Oest (CDU) ganze 24,2 Prozent und damit trotz Unterstützung aus anderen Lagern weniger als die Hälfte der Stimmen für Tino Chrupalla (AfD), der 48,9 Prozent der Stimmen errang. Dennoch zieht aus dem Landkreis Görlitz neben Tino Chrupalla auch Florian Oest in den Bundestag ein. Für die CDU reichte es in Sachsen für sieben von 30 Sachsen-Mandaten (15 holte die AfD). Oest konnte – auf dem 7. Platz der CDU-Landesliste stehend – noch mit Hängen und Würgen das für einen regionalen Proporz in Reihen der Union notwendige Mandat erringen, das sich nun quasi wie vorauserrechnet darstellt

Zum Redaktionsschluss am Mittwoch war unter www.bundestag.de/abgeordnete das Profil von Florian Oest als Platzhalter angelegt, enthielt jedoch noch kein Foto und wies als Biografie auch nur die spärliche Info auf: „Geboren am 25. August 1987 in Görlitz“. Er selbst betonte am Montag unter anderem zum Wahlverhalten im Osten: „Von Zittau bis Zingst vertrauen die Menschen der AfD deutlich mehr als uns. Über die Gründe diskutieren wir seit 2017 von Wahl zu Wahl. Jetzt muss endlich entschlossen gehandelt werden.“
Auch die SPD sowie die Linke verfügen über Oberlausitzer Abgeordnete, da im Nachbarwahlkreis Bautzen I Susanne Kathrin Michel (SPD) und Caren Ley (Linke) über ihre Partei-Landeslisten sowie als direkt gewählter Kandidat auch Karsten Hilse (AfD) ihre Sessel im Plenarsaal verteidigen konnten.

Wahlkreissieger und AfD-Bundessprecher Chrupalla hatte nach der Wahl in seinem Dank an „Gratulanten aus der Nacht“ hervorgehoben, solche stammten „im übrigen auch von zwei deutschen Nationalspielern und ehemaligen Bayern-Spielern – von daher auch viele Grüße an Uli Hoeneß“. Dieser hatte sich zuletzt immer wieder gegen die AfD positioniert.

Alternativer Text Infobild

Das ZDF war für die Wahlprognose in der Melanchthonschule in Görlitz präsent. Diese junge Görlitzerin auf dem Foto stimmte hier quasi ein zweites Mal fiktiv ab. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Während auf Bundesebene das knapp an der 5-Prozent-Hürde gescheiterte BSW gegenüber der „Mutterpartei“ – den Linken – deutlich den Kürzeren zog, konnte im Wahlkreis Görlitz, der mit dem Kreisgebiet identisch ist, Carsten Berg (BSW) mit 6,4 Prozent der Erststimmen und gerade 35 Stimmen mehr als Gerhard Emil Fuchs-Kittowski (Linke) symbolträchtig hier noch knapp die Nase vorn behalten. In Sachen Zweitstimmen war das BSW mit 9,0 Prozent gegenüber 7,7 Prozent bei den Linken sogar deutlicher vorn. Gänzlich mau blieb der Zweitstimmenumfang bei den übrigen Bewerbern, darunter: SPD 6,4 Prozent, Grüne 3,4 Prozent, FDP 2,9 Prozent, Freie Wähler 1,5 Prozent und Tierschutzpartei 1,3 Prozent. Die übrigen Gruppierungen blieben im Promillebereich.

Die hohe Nervosität an diesem Tag spürte der Autor dieser Zeilen in seinem eigenen Wahllokal in der Görlitzer Melanchthonschule. Das ZDF hatte hier zur Stichprobenermittlung im Rahmen der Wahlprognose eine eigene Wahlbox aufgebaut. Vereinzelt wurden Wähler gebeten hier ihr Votum noch einmal fiktiv zu wiederholen und dazu einen Fragebogen auszufüllen. Schon im Hinblick auf ein Symbolfoto ohne ZDF-Mitarbeiter wurden diese hochnervös und erst nach Vorlage des Presseausweises und einem Telefonat mit einem „Notruf“-Verantwortlichen für außergewöhnliche Vorkommnisse vom Lerchenberg – der ZDF-Zentrale in Mainz – war dieses überhaupt möglich. Offenbar wurden dabei auch merkwürdige Vorstellung von ZDF-Mitarbeitern über das Wesen des Lokaljournalismus, der natürlich nicht jede banale Option zuvor aufwendig per Akkreditierung buchen kann. Dass auch mal Platz für Zufallsfotos bleiben muss, erschloss sich den beiden ZDF-Helferinen vor Ort nicht wirklich, die mehrfach betonten, es könne sich doch bei einem Handyfoto definitiv um kein reguläres Pressebild handeln. Vielleicht nährt sich eine solche Vorstellung aus dem Selbstverständnis eines Apparats, der scheinbar selbst keine Sparzwänge zu beachten hat. 

Till Scholtz-Knobloch / 02.03.2025

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