Bundestagswahl: Das veritable Problem Marco Wanderwitz
Im Wahlkreis Görlitz nahm CDU-Bewerber Florian Oest (r.) die Hürde für ein Bundestagsmandat nicht. Im Windschatten von Landesspitzenkandidat u. Ostbeauftragten der Bundesregierung Marco Wanderwitz (grünes Hemd) standen die Vorzeichen schlecht. Foto: TSK
Während die AfD auf Bundesebene bei der Bundestagswahl Federn gelassen hat, ist sie im Osten der Republik nun quasi etablierter Teil des Politikbetriebes und holt reihenweise die Direktmandate – so auch im Kreis Görlitz. Eine nicht ganz aufrichtige Abrechnung in den eigenen Reihen der Union hat begonnen.
Region. Wer am Wahlabend die Wahlkreisergebnisse der Erststimmen für die Direktmandate verfolgte, der bekam kurz vor halb acht den ersten Vorgeschmack auf das klare Ergebnis. Die Seite des Landeswahlleiters lieferte mit 46 Prozent für Tino Chrupalla und 24,8 Prozent für Florian Oest die ersten Zahlen im Landkreis Görlitz.
Doch klein in der Ecke war zu erkennen: nach Auszählung von einer der 53 Gemeinden. Dürrhennersdorf hatte diese ersten Zahlen geliefert. Dass ein 960-Einwohnerörtchen ein anderes Ergebnis hervorbringt als Städte wie Görlitz, Zittau, Niesky oder Weißwasser war abzusehen, doch allenfalls der Vorsprung der Blauen schmolz auch bei Auszählung der städtischen Wahlbezirke mit deutlich mehr Zählaufwand etwas. Während in allen 53 Städten und Gemeinden des Landkreises Görlitz die AfD die meisten Zweitstimmen holte, blieb die Niederschlesische Oberlausitz auch bei den Erststimmen fest in Hand der AfD. Mit Ostritz, Olbersdorf und Oybin holten am Ende lediglich einmal drei Orte der sächsischen Oberlausitz eine Stimmenmehrheit des CDU-Kandidaten Florian Oest über Tino Chrupalla.
Dürrhennersdorf zählte am schnellsten
Auf Dürrhennersdorf folgte zunächst Vierkirchen und bestätigte bereits den Trend aus dem Oberland. Einen Spitzenwert vermeldete erneut die Gemeinde Neißeaue, wo die AfD bei den Zweitstimmen 47,2 Prozent holte und bei 51,3 Prozent der Erststimmen sogar eine absolute Mehrheit.
In der gesamten Oberlausitz bestätigte sich das Bild eines großen Vorsprungs auch im Landkreis Bautzen. Ausnahme: Inmitten des Kreises zieht sich ein schmales Band von sechs Gemeinden von Panschwitz-Kuckau bis nach Wittichenau mit einer Zweitstimmenmehrheit der Christdemokraten. Es ist quasi Deckungsgleich mit dem Kern des sorbischen Sprachgebiets, das sich unter Polizist Karsten Hilse aus dem angrenzenden Lohsa weniger vertreten sieht. Daneben meldeten Elsterheide und Bernsdorf Erststimmenmehrheiten des AfD-Kandidaten Hilse.
Wer am Wahlabend lange ausharrte, der konnte im Freistaat Sachsen mit dem ebenfalls etwas anders als der Rest tickenden Landkreis Vogtland nur einen Kreis erkennen, in dem das Direktmandat der CDU zufiel. Nur die städtischen Wahlkreise Leipzig I, Dresden I und Dresden II-Bautzen II scherten ebenso mit Unionsmehrheiten aus, letzterer jedoch bei identischen 18,6 Prozent der Stimmen für Union und AfD – ganze 39 Wähler gaben hier den Ausschlag für Lars Rohwer von der CDU! Chemnitz ging bei den Erststimmen an die SPD und Leipzig II (u.a. mit Connewitz) an Sören Pellmann von den Linken. Durch das dritte Direktmandat der Partei neben zwei Wahlkreiserfolgen in Berlin hebelten die Linken die Fünf-Prozent-Hürde im Bund für sich aus und sind nun bei bundesweit 4,9 Prozent der Stimmen dennoch mit 39 Abgeordneten im Bundestag vertreten.
Durch CDU und CSU geht nun bundesweit ein Beben und die Frage, wie es um die Demut steht. Kann man bei diesem Stimmenabsturz und einer Platzierung hinter der SPD überhaupt auf einen Anspruch des Kanzleramtes setzen?
In der Leipziger Volkszeitung gab Landesvater Michael Kretschmer zu Protokoll, er gebe dem Ostbeauftragten der Bundesregierung Marco Wanderwitz eine Mitschuld am desaströsen Abschneiden der CDU in Sachsen und zitierte Wanderwitz damit, dass er die Menschen im Osten „diktatursozialisiert“ bezeichnete und der Union damit hier einen Bärendienst erwiesen habe.
Stigmatisierung so gemeint oder nicht gemeint?
Dabei ist Michael Kretschmer Landesvorsitzender der CDU, die eben diesen Marco Wanderwitz auf Platz 1 der Landeslitze abgesichert nun in den Bundestag gehievt hat, denn Wanderwitz selbst verlor sein Direktmandat im Wahlkreis Chemnitzer Umland-Erzgebirgskreis II mit Pauken und Trompeten an den AfD-Kandidaten Mike Monczek.
Zu allem Überfluss hat Wanderwitz’ Gattin Yvonne Magwas noch ein Bundestagsmandat für die sächsische Union, da sie das einzige Direktmandat im Lande im Vogtland holte.
Michael Kretschmer sagte der Leipziger Volkszeitung wörtlich: „Aber es haben sich Menschen von Herrn Wanderwitz stigmatisiert und angegriffen gefühlt. Das war mit Sicherheit nicht so gemeint, aber das gehört zu dieser Geschichte des Wahlkampfes mit dazu.“
„Nicht so gemeint“ ist dabei sicher eine originelle Formulierung, wenn man Wanderwitz’ Auftritt im MDR-Fernsehen am späten Wahlabend vor Augen hat, bei dem er erklärte, Sachsen habe mit dem Ergebnis ein „veritables Rechtsradikalismusproblem“. Der Ostbeauftragte bestätigte eher seinen Ruf als Eskalationsbeauftragter mit Garantie weiterer gesellschaftlicher Spaltung.
Auch Florian Oest legt nach
Der im Wahlkreis Görlitz unterlegene CDU-Kandidat Florian Oest ging daraufhin am Dienstag ebenso aus der Deckung und verlautbarte: „Die Spitzenkandidaten Armin Laschet und Marco Wanderwitz waren eine schwere Belastung für den Wahlkampf. Das Konrad-Adenauer-Haus hat den Wahlkampf chaotisch organisiert. Im Ergebnis steht das historisch schlechteste Ergebnis für die Union. Wir brauchen jetzt einen personellen Neuanfang. Michael Kretschmer oder Markus Söder haben in den letzten Monaten und Jahren bewiesen, wie wir als Union auch in schwierigen Zeiten die Mehrheit der Menschen hinter uns vereinen können. Zuhören, verstehen, anpacken: das muss der Stil der neuen Spitze sein.“
Die Nennung Markus Söders dürfte indes ähnliche Wirkung wie die von Markus Wanderwitz entfalten, zeigte Söder doch ebenso Ostunverständnis. Auf der anderen Seite sind viele Anhänger Angela Merkels der Union verloren gegangen, die diese sozialdemokratisierte.
Hoffnung auf Friedrich Merz
Vielleicht ist Florian Oest jedoch zu jung gewesen. Gewiefte Taktiker sind tendenziell jene mit Erfahrungen, während jeder Appell, den Nachwuchs zu fördern dem Land über die vergangenen Jahre bereits zu viele Managertypen bescherte.
Oest, der diesem Klischee nicht entspricht, wollte mit der Einladung von Friedrich Merz in die Landskronbrauerei Görlitz ein Zeichen für die Konservativen in seiner Partei setzen.
Doch die Union hat eben fast nur noch die wirtschaftsliberalen Konservativen, die im Osten nicht ziehen. Mit einer kurzen Ansprache stellte Oest seine eigene Kandidatur wohl auch zu sehr in den Schatten von Merz. Artiger Applaus in den ersten Reihen der Mitglieder war das Resultat, während Oest das Fußvolk der Union durch seine Verhaltenheit nicht begeisterte.
Gehört es nicht auch zur eigenen Emanzipation, dem Görlitzer Übervater Kretschmer hier und da auch einmal deutlich zu widersprechen?
Das veritabelste Problem der „Ost“-CDU bleibt jedoch, dass die wenigen Unionsabgeordneten des Ostens mit Marco Wanderwitz und seiner Gattin, der als junge Frau aus dem Osten fast verhätschelten Yvonne Magwas, nun zwei Abgeordnete im Parlament haben, die vier weitere Jahre ins Horn des westdeutschen Unverständnisses blasen könnten, auch wenn Marco Wanderwitz zumindest den CDU-Landesgruppenvorsitz bereits aufgeben musste.
„Er wäre gut beraten, sein Mandat abzugeben“
„Über die Menschen pauschal zu urteilen, war ein großer Fehler von Marco Wanderwitz. Die Landespartei hat ihn als Spitzenkandidaten getragen und den Einzug in den Bundestag ermöglicht. Ich bin menschlich sehr enttäuscht, dass Marco Wanderwitz sich nicht dem Landesvorstand gestellt hat“, sagte Florian Oest der Redaktion am Mittwoch. „Ich meine, er wäre gut beraten, sein Mandat abzugeben“, legt der Görlitzer Spitzenkandidat zusammenfassend nach. Auch Landrat Bernd Lange hatte in der „Welt“ schwere Vorwürfe gegen Marco Wanderwitz erhoben.
Das Wahlresultat müsste die CDU doppelt schmerzen, denn Tino Chrupalla zeigte im Wahlkampf in seinem Wahlkreis wenig Präsenz. Zudem fällt ihm das Delegieren schwer. Das gefällt auch vielen in der AfD nicht an ihrem Bundesvorsitzenden.
Doch unter anderem der Name Wanderwitz machte dieses Manko wieder wett, auch wenn das Aufkommen der Freien Wähler (2,4 Prozent im Bund) oder der Basis (1,4 Prozent) nun auch der AfD Wähler nahm.
Kommentare zum Artikel "Bundestagswahl: Das veritable Problem Marco Wanderwitz"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Die Jammerei kann Oest sich sparen.
Beim gemütlichen Beisammensein vor der Wahl im Wichernhaus in Görlitz bei der Veranstaltung der Sächsischen Zeitung wo alle Kandidaten vertreten waren, die in den Bundestag wollten und die bei Youtube zu sehen war, hat er sich nach altbekannter CDU-Manier nicht entblödet, den abwesenden Kandidaten der AfD, Chrupalla, anzugreifen mit genau diesen Mitteln, die andauernd der AfD vorgeworfen werden. Chrupalla, der aus Termingründen nicht da war, "... verbreite jetzt wahrscheinlich woanders Hass und Hetze, anstatt sich hier zu stellen". Gähn.
Wahlergebnis: Chrupalla 35,8 %, Oest 26,1 %.
Und dann setzen sie Wanderwitz als Sprecher der sächsischen CDU, diesem kläglichen Rest von 7 Abgeordnenten im Bundestag, ab und der marschiert nebst Gattin über die Landesliste als nicht gewählter wieder ein. Rumms.
Gut gemacht CDU. Vorwärts immer, rückwärts nimmer.