Der Fall Wiedemann - Husarenstück in moderner Zeit
Frank Vacik (rechts) drehte und recherchierte am Montag mit Irving Cova für RTL zum Mordfall Rolf Wiedemann unter anderem an der Lunitz 21, wo das Opfer bis zuletzt lebte. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Die Titelgeschichte des Niederschlesischen Kuriers vom 10.08. behandelt die mediale Aufmerksamkeit anlässlich des Prozessauftaktes gegen den mutmaßlichen Mörder von Rolf Wiedemann und auch eine Involvierung der Redaktion des Niederschlesischen Kuriers. Der Text lag schon in der Druckpresse, als der vermutliche Suizid des Angeklagten am Donnerstagvormittag bekannt wurde. Ein Satz am Textende "In letzter Sekdunde" konnte noch angefügt werden. Den in der Zeitung veröffentlichten Text können Sie auch hier nachlesen. Zuvor jedoch die Ausführungen der Polizei zu den Hintergründen.
Die Presse wurde am Nachmittag des 8. August mitgeteilt: "Am frühen Donnerstagmorgen haben Justizvollzugsbeamte einen 29-Jährigen tot in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt am Postplatz in Görlitz aufgefunden. Der Deutsche saß in Untersuchungshaft. Am heutigen Tag hätte die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten wegen Mordes und Brandstiftung begonnen. Die Ermittlungen hatten zurückliegend, nachdem am 16. September 2023 ein 79-Jähriger tot in seiner Wohnung an der Lunitz in Görlitz aufgefunden worden war, zu dem Tatverdächtigen geführt. Ermittler nahmen ihn am 9. November 2023 an seiner Wohnanschrift fest. Wir berichteten. Der Mann befand sich in einer Einzelzelle und wies massive Verletzungen auf, die offenbar zum Tode geführt haben dürften. In Abstimmung zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei wurde umgehend ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Erste Ermittlungen deuten auf eine suizidale Handlung und auf keine Fremdeinwirkungen hin. Ein am Vortag mit Blick auf die bevorstehende Gerichtsverhandlung zwischen dem Angeklagten und dem psychologischen Dienst in der Justizvollzugsanstalt geführtes Gespräch vor dem Verhandlungsbeginn verlief unauffällig. Auch im weiteren Vorfeld gab es während des Vollzuges der Untersuchungshaft bislang keine bekannten Auffälligkeiten und Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung. Die Staatsanwaltschaft hat die Sektion des Verstorbenen angeordnet. Die Kriminalpolizei führt die weiteren Ermittlungen zu den Umständen und zur Ursache des Todes."
Folgend, der im Niederschlesischen Kurier veröffentlichte Text:
Frank Vacik ist für seine Tat- und Gerichtsreportagen bekannt, mit denen er Verbrechen im Osten Deutschlands nachspürt. Diese Woche richtete sich seine Aufmerksamkeit für RTL Explosiv sowie TV-Magazin- und Nachrichtenformate auf Görlitz. Der Niederschlesische Kurier spielte dabei eine entscheidende Rolle.
Görlitz. Am Donnerstag dieser Woche – und damit nach Redaktionsschluss – begann vor der 1. Strafkammer am Landgericht Görlitz die Verhandlung zum Mordfall des Immobilienmaklers Rolf Wiedemann in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung. Des Mordes an Rolf Wiedemann beschuldigt wird ein 29 Jahre alter Feuerwehrmann aus der Gemeinde Schleife. Als weitere Verhandlungstage sind im Saal 216, jeweils um 9.00 Uhr, der 14., der 19. und der 26. August sowie der 5. September angesetzt.
Das Opfer hatte sich am 25. August 2023 mit einer E-Mail mit dem Betreff „Betrug, Abzocke, arglistige Täuschung von Hausmeisterdienst“ an die Redaktion des Niederschlesischen Kuriers gewandt, die wenige Tage darauf ein wohl eineinhalbstündiges Telefonat mit Rolf Wiedemann führte. Zu einer Berichterstattung über die vom späteren Opfer dargelegten Umstände war es (noch) nicht gekommen, als im September das Tötungsdelikt bekannt wurde.
Frank Vacik war auf der Internetseite unseres Verlages Alles-Lausitz.de auf den Text aus dem Niederschlesischen Kurier „Rolf Wiedemann – ein Leben für 6.000, ein Tod für 10.000 Euro“ vom 12. November 2023 gestoßen, der die Tragik erläuterte, dass Rolf Wiedemann ein Unheil kommen sah, sofern er nicht 6.000 Euro zur Überbrückung einer Schuld aufbringen könnte, während die Polizei später 10.000 Euro zur Aufklärung auslobte. Rolf Wiedemann legte in der E-Mail an die Redaktion die letztlich wohl tatentscheidenden Umstände nahezu präzise dar und pries eine Berichterstattung mit den Worten an: „Dies ist ein Husarenstück in moderner Zeit“.
Frank Vacik betont so auch: „Bei den Recherchen hat sich ja herausgestellt, dass ein Lokaljournalist eine E-Mail bekommen hat, die offensichtlich einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem namentlich genannten Täter und dem Opfer herstellt.
Das war besonders interessant, damit einmal auf Spurensuche zu gehen. Die Motivlage der Staatsanwaltschaft findet sich in den Streitigkeiten um eine Hausveräußerung genau wider wie eine Anschwärzung bei den Steuerbehörden.“ Diese ungewöhnliche Konstellation habe dazu geführt, gerade diesem Fall in einem Beitrag nachzugehen. Vacik erläutert, er versuche nun nachzuzeichnen, was Rolf Wiedemann ausgemacht habe, über den es medial auch Spuren von 2012 über Ost- und Westimmobilien gebe. Da der aus Hessen stammende Wiedemann Kontakte über die Neiße pflegte, wollte sich Frank Vacik am Montag auch auf polnischer Seite der Stadt nach einem Interviewtermin bei Gericht umschauen.
Den Prozessauftakt verpasst der involvierte Autor dieser Zeilen nun jedoch durch bereits seit geraumer Zeit terminierte Gespräche zu ganz anderen Themen in Niesky und Neusorge bei Rothenburg. Mitunter kann ein Prozessauftakt durch Formalien ja noch schleppend verlaufen. Frank Vacik wird zur Prozessbegleitung jedenfalls nach Görlitz zurückkehren. „Mal schauen, was der Angeklagte und Zeugen sagen“, bleiben Vacik und Kameramann Irving Cova am Ball. Ob die E-Mail an die Redaktion der Polizei letztlich entscheidende Zusammenhänge vermittelt hat, könnte vielleicht schon beim Erscheinen dieser Ausgabe bereits bekannt sein.
In letzter Sekunde: Zum Prozessbeginn am Donnerstag wurde mitgeteilt, dass der Angeklagte am frühen Morgen in seiner Zelle tot aufgefunden wurde.
P.S. Frank Vacik teilte der Redaktion am Abend des 8. August mit, dass RTL im Zeichen der tragischen Wendung des Falles auf eine Ausstrahlung des in Görlitz entstandenen Beitrages verzichtet habe. Auch die Redaktion des Niederschlesischen Kuriers empfindet dies als angemessen.