DHL schafft einfach vollendete Tatsachen
Paketzustellungen – hier DHL in Görlitz – finden unter großem Zeitdruck für die Zusteller statt. Die DHL-Zentrale macht sich das beim Digitalisierungszwang wohl zu Nutze. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Ohne Empfängereinwilligung verlangt DHL mit dieser Karte im Briefkasten die Paketabholung von einer „App-gesteuerten Packstation“ in der Biesnitzer Straße 1a. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Der Paketdienstleister DHL treibt auch in der Niederschlesischen Oberlausitz Kunden zur Weißglut, indem er Zustellungen über „App-gesteuerte Packstationen“ abwickelt. Wer bei der Digitalisierung nicht mitmacht oder kein Smartphone besitzt ist erledigt. Dabei kann DHL vielleicht gar auf eine „wegschauende“ Bundesnetzagentur bauen.
Region. Zu dem häufigen Ärgernis, daheim zu sein und trotz Anwesenheit und ohne ein Klingeln des Boten eine Karte eines Paketdienstleisters im Briefkasten vorzufinden, gesellt sich nun zunehmend noch eine Steigerung des Nervenspiels, das zugleich eine Folge des Ausblutens des heimischen Handels ist. Der Redaktion erschien beim ersten Hören die Sache recht unglaubwürdig, bis auch den Autor dieser Zeilen, der nie nach Einverständnis dazu gefragt wurde, eine solche Benachrichtigung ins Haus flatterte – dies sogar an einem Homeoffice-Tag, an dem die ganze mehrköpfige Familie keinen Klingelton wahrnahm!
Eine ältere Dame aus Königshufen hatte schon zuvor am Telefon berichtet, sie habe eine DHL-Benachrichtigung aus ihrem Briefkasten gezogen, auf dem es hieße, sie könne ihr Paket bei der konkret mit Adresse benannten „App-gesteuerten Packstation“ abholen. Dass eine App „irgendetwas mit Handys zu tun hat“, wusste sie und stellte dann an der Packstation fest, dass sie einfach nicht an ihre Sendung kommt. DHL nutzt mittlerweile in der Region neben Packstationen, an denen man sich über eine Anhalten der Benachrichtigungskarte an ein Scan-Feld selbst die Türen zum Paketfach öffnen kann, auch App-gesteuerte Stationen. Brachten schon die zuvor beschriebenen Modelle gerade ältere Nutzer oft um den Verstand, was denn zu tun sei, ist bei den App-gesteuerten Stationen ohne Smartphone mit entsprechender App nichts mehr zu machen. Hat der Empfänger kein Smartphone, kann oder will die notwendige App auf diesem nicht installieren, geht die Sendung nach neun Tagen wieder zurück. Wird einem eine Sendung per E-Mail angekündigt, kann man mit Internetzugang noch Einfluss nehmen, in dem man „Ablageort wählen“/„An Nachbarn liefern“ und je nach Produkt auch „Liefertag ändern“, „Paketmitnahme beauftragen“ oder „An Packstation/Filiale umleiten“ wählt. Doch selbst hier wird nicht zwischen Packstation und App-gesteuerter Station unterschieden.
Funktioniert eine Notwehr gegen das DHL-Vorgehen wie auf diesem Briefkasten mit der Aufschrift „Zustellung an App-gesteuerte Packstation verboten!“? Foto: Till Scholtz-Knobloch
Dass das dargestellte Problem nicht allein regionaler Natur ist, erwies sich, als im Entstehungsprozess dieser Geschichte Wirtschaftsjournalist Norbert Häring in seinem Blog „Geld und mehr“ unter https://norberthaering.de vermeldete: „DHL bricht ungeniert seine Zusage und das Postgesetz – Bundesnetzagentur schaut tatenlos zu“. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Niederschlesische Kurier bereits eine Presseanfrage an DHL laufen, die allein schon eine Posse aus der Medienbranche darstellt. Presseanfragen können dort bereits nicht einmal mehr über eine reguläre E-Mail-Adresse gestellt werden, die zum Beispiel das Anfordern einer zur Absicherung wichtigen Lesebestätigung ermöglicht. Vielmehr ist der auf der Internetseite vermutlich absichtlich sehr schwer zu findende Pressebereich mit einem Kontaktfeld versehen. Als Redakteur kann man sich also bestenfalls noch mehrere Screenshots machen, um sich später noch an den Wortlaut der eigenen Fragen zu erinnern.
Immerhin meldete sich auf nochmaliges Nachhaken Mattias Persson, Pressesprecher Sachsen der DHL Group, dem man anmerken konnte, dass ihm die Umstände scheinbar auch schwerfallen zu verkaufen. Die Redaktion betonte schließlich, dass bei DHL in schwierigen Arbeitsmarktzeiten die Personalauswahl doch vergleichsweise gut aussähe. Der Autor dieser Zeilen hatte nach dem eigenen Erlebnis im Laufe von zwei Wochen gleich drei DHL-Boten angesprochen, wie die Lieferung an eine App-gesteuerte Station ohne Einverständnis überaus möglich sei. Im Tenor bestätigen alle drei, dass dieser Wunsch nun von oben durchgedrückt werden solle. Ein Bote betonte, er wolle das Kunden eigentlich nicht zumuten und bringe Pakete bewusst eher zur Packstation in der Bahnhofsunterführung, die sich über das Scan-Feld und ohne App öffnen lässt und nicht an die Station neben den Netto-Markt in der Biesnitzer Straße. Und dies, obwohl ihn das immer Extrazeit koste! Ein anderer Bote bekannte, seinen Kollegen aus einem anderen Zustellungsgebiet im Ohr zu liegen, ihn selbst vor einer solchen Zustellung zu bewahren.
Schriftlich teilte Pressesprecher Mattias Persson mit: „Wer grundsätzlich nicht möchte, dass Pakete zur Abholung in einer Packstation hinterlegt werden (z.B. weil an App-gesteuerten Packstation die Nutzung eines Smartphones notwendig ist), kann dies entweder direkt online im DHL-Kundenkonto einstellen. Zudem können Kund:innen unseren Kundenservice (0228 433112) telefonisch darüber informieren, dass Packstationen für die Hinterlegung ihrer Sendungen grundsätzlich ausgeschlossen werden sollen. Eine Zweitzustellung kann ebenso über die gleichen Kanäle beauftragt werden.“ § 13 (3) 3 des neuen Postgesetzes gebietet dieses letztlich ohnehin. Dennoch: Der Schwarze Peter wird dem Kunden, der die versteckten Optionen umfassend suchen und verstehen muss oder ewig in der Hotline hängt, weitergegeben. Zumal eine Onlineabmeldung wiederum nur dem Homo Digitales möglich ist, nicht aber ’Oma Frieda’ gelingen wird und auch nicht Menschen, die sich bewusst der Zwangsdigitalisierung – und erst Recht einer datenschutzrechtlich umstrittenen App entziehen möchten. Mit dem am 19. Juli in Kraft getretenen neuen Postgesetz ist es Paketdienstleistern untersagt, Empfänger gegen ihren Willen an App-gesteuerte Packstationen zu verweisen. Selbstredend, dass eine Einwilligung eigentlich auch nur zuvor eingeholt und nicht Kraft faktischen Handelns erzwungen werden kann.
Die Beweiskette steht
Norbert Häring weiß zu berichten: „Ich habe DHL in meinem Beitrag vom 26. August mit einer Benachrichtigungskarte vom 22.8. nachgewiesen, dass das Unternehmen keine dieser Vorschriften einhielt. Das teilstaatliche Unternehmen versprach auf meine Anfrage hin: ’Selbstverständlich beachten wir alle Vorgaben des Postgesetzes und sind bereits dabei, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen.’ Doch bis zum 11. September ist nichts in dieser Richtung geschehen. Die Benachrichtigungskarte mit diesem Datum, die mir vorliegt, ist unverändert. Es gibt darauf keinen Hinweis auf ein Widerspruchsrecht und keine Kontaktdaten, über die man von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch machen könnte. Wer kein Internet und kein Smartphone hat, kann mit der Karte überhaupt nichts anfangen.“
Und so richte sich seine Kritik auch an die zuständige Bundesnetzagentur, „eine Behörde im Zuständigkeitsbereich von Wirtschaftsminister Robert Habeck“. Auch nach seinem Eindruck gebe es keinen ersichtlichen Willen, „das Gesetz gegenüber dem von der Regierung dominierten Unternehmen durchzusetzen.“
Analog wird „abgeschaltet“
Und da alles einfacher ist, als sich in umgekehrter Beweislast über kundenfeindliche Menüoptionen gegen DHL zu wehren, hat der Autor dieses Textes den eigenen Briefkastenschlitz zunächst mit dem aufgeklebten Satz „Zustellung an App-gesteuerte Packstation verboten“ versehen. Zwei Tage später war dieser verschwunden. Ob da ein Nachbar, der sich an der Optik störte, oder ein Bote mit weniger Option Zustellzeit zu sparen zu Werke gegangen ist, muss offenbleiben.
Norbert Häring hat im bundesweiten Kampf gegen das eigenmächtige Vorgehen von DHL Betroffenen geraten: „Leser mögen mir bitte, wenn Sie im Oktober eine Benachrichtigung über die Hinterlegung in einer App-gesteuerten Packstation bekommen, eine (Foto-/Scan-) Kopie zuschicken. DHL, Müller und Habeck sollen wenigstens nicht ohne öffentliche Aufmerksamkeit ein Schutzgesetz brechen oder den Gesetzesbruch sanktionieren können.“ Wie das geht kann man unter https://norberthaering.de/abo-und-kontakt/ nachlesen. In seinem Blog finden sich viele weitere Belege dafür, wie sogar Behörden Alte und Onlineunwillige übertölpeln. Auch den Widerspruch gegen die elektronische Patientenakte lassen manche Versicherungen nur online zu – also explizit gegen Menschen, die sich ganz bewusst gegen Zwangsdigitalisierung wehren.