Die Tempo-30-Koalition
Wollen zum Wohl von Hunderten Kindern und Jugendlichen die Reichenbacher Straße sicherer machen: Grundschuldirektor Michael Schönknecht, Kitaleiterin Juliane Schmidt, die Chefin der Freien Mittelschule, Manuela Ertel, und Bürgermeister Jürgen Arlt (v.l.).
Weißenberg. Grundschule und Kita auf der einen, Freie Mittelschule und Turnhalle auf der anderen Seite – dazwischen die viel befahrene Reichenbacher Straße: In Weißenberg gibt es Gesprächsbedarf und das nicht zu knapp. Zwischen 300 und 400 Kinder und Jugendliche queren montags bis freitags den Bereich, um beispielsweise zu den Bussen zu gelangen oder die Turnhalle anzusteuern. Dabei müssen sie sowie deren Betreuer und Lehrer höllisch aufpassen, dass niemand unter die Räder kommt. Einen befestigten Gehweg gibt es nicht und auch keine Querungshilfe, die den Jungen und Mädchen ein gewisses Gefühl der Sicherheit verleiht. Zwar existieren Pläne, das Quartier umzugestalten. Doch bis die Realität werden, können noch so einige Monate ins Land gehen.
Deshalb wandte sich bereits im September vergangenen Jahres die Stadtspitze an die beim Landkreis angesiedelte Straßenverkehrsbehörde mit der Bitte, zwischen dem Verkehrsschild, das jetzt schon auf Kinder aufmerksam macht, und der Stelle, an der die Nieskyer auf die Reichenbacher Straße trifft, das Tempo von 50 auf 30 Kilometer je Stunde (km/h) zu senken. Bürgermeister Jürgen Arlt durfte des Öfteren beobachten, dass das aktuell geltende Tempolimit nicht von jedem Kraftfahrer eingehalten wird. „Dann werden aus 50 gern einmal 70 km/h“, sagte er bei einem für den Dienstagvormittag einberufenen Spontantreffen, zu dem sich auch die Leiter der jeweiligen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen im Umkreis der verkehrlichen Problemzone einfanden.
„Muss denn wirklich erst etwas passieren, bis sich hier etwas tut“, fragte in dem Zusammenhang Manuela Ertel. Am 2. November will sie zusammen mit ihren Kollegen den Neubau der Freien Mittelschule feierlich einweihen. Bis dahin, so hofft sie, ist die Unfallgefahr ein Stück weit gebannt – auch im Sinne ihrer Schützlinge und deren Eltern. Und damit steht sie nicht allein da. Auch der Leiter der Weißenberger Grundschule, Michael Schönknecht, kann aus dem Nähkästchen plaudern und darüber, wie schwierig es die Klassenverbände oft haben, auf die andere Straßenseite zu gelangen, um von dort aus Kurs auf die Sporthalle zu nehmen.
„Demnächst soll es ein weiteres Vor-Ort-Treffen mit allen Beteiligten geben“, erklärte Jürgen Arlt. Dass dies nicht gerade einfach war, sie nach Weißenberg zu bekommen, lässt er dabei keineswegs unerwähnt. Im Vorfeld seien mehrere Termine für die im Raum stehende Zusammenkunft ausgelotet worden. „Manchmal bekam ich sogar das Gefühl vermittelt, dass bei einzelnen Entscheidungsträgern gar nicht das nötige Interesse gegeben war. Sie reagierten erst gar nicht auf Terminvorschläge“, beklagte der Bürgermeister.
Er weiß genau, wovon er spricht. Denn die Terminvereinbarung erfolgte über ein elektronisches System, an das auch die Stadtverwaltung angeschlossen ist. „Die Anordnung der ‚30’ auf der S 111 erfolgte bisher nicht, weil der Zugang zur Schule über eine Gemeindestraße führte und zum Zeitpunkt der Beratung die Schule im Bau war“, erklärte indes Landratsamtssprecherin Cynthia Thor. Eine Bedingung für eine Geschwindigkeitsbegrenzung innerorts sei jedoch der direkte Zugang zur betreffenden Straße.
„Sofern eine für August 2020 geplante Beratung vor Ort mit allen Beteiligten eine Entscheidung zur Verringerung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ergibt, wird diese danach angeordnet“, schob die Mitarbeiterin der Kreisverwaltung hinterher. „Die Maßnahme wäre dann mit Kosten von etwa 450 Euro verbunden. Das ist für uns aber nicht ausschlaggebend.“
Unterm Strich werden sich die Befürworter von Tempo 30 entlang der Reichenbacher Straße gute Argumente einfallen lassen müssen, um am Ende nicht als Verlierer dazustehen. Bereits anderenorts im Landkreis hat sich gezeigt, dass das Ringen um eine Geschwindigkeitssenkung keine leichte Angelegenheit ist und diejenigen, die dafür streiten, mitunter einen langen Atem benötigen. Im Fall von Weißenberg gibt es allerdings Rückendeckung aus dem Landtag. Gerhard Liebscher, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion der Bündnisgrünen, sagte: „Nahmobilität – sei es zu Fuß oder mit dem Rad – spielt eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Erhaltung und dem Ausbau von Lebensqualität in der Region und beim Klimaschutz. Hier ist es insbesondere wichtig, Kindern und Jugendlichen Sicherheit bei Wegen zu Fuß zu ermöglichen. An der Reichenbacher Straße befinden sich zwei Schulen und eine Kindertagesstätte. Trotzdem gibt es derzeit keinerlei Querungshilfen vor Ort. Hier muss sich dringend etwas ändern.“ Letztendlich gehe es um das Wohl der Kinder. Dieses allerdings ist auch der Behörde in Bautzen nicht einerlei: „Dieses hat selbstverständlich einen hohen Stellenwert“, betonte Cynthia Thor. „Das entbindet uns nicht von der Verpflichtung, rechtliche Bestimmungen zu beachten und auszuführen.“
Dabei bezieht sich die Behörde auf Paragraf 45 Absatz 9 der Straßenverkehrs-Ordnung. Da-rin steht: „Gefahrzeichen dürfen nur dort angeordnet werden, wo es für die Sicherheit des Verkehrs erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht mit ihr rechnen muss.“ Doch gerade weil auf besagtem Abschnitt ganze Kindergruppen die Straße queren und das auch noch in einem von Kurven geprägten Bereich, besteht nicht nur nach Ansicht des Stadtoberhaupts Handlungsbedarf.
Um den nächsten Schritt in Angriff nehmen zu können, also den Bau einer Ampel oder eines Fußgängerüberganges, müssen zunächst die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Cynthia Thor: „Dafür würde auf beiden Straßenseiten ein Gehweg benötigt, was derzeit noch nicht der Fall ist.“
Kommentare zum Artikel "Die Tempo-30-Koalition"
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Ich bin dafür, das in ganz Weißenberg 30 Höchstgeschwindigkeit wird.