Dieser Nachtwächter ist am Tag unterwegs
Der Neukircher Nachtwächter Heinrich alias Dietmar Heinrich beginnt und beendet viele seiner Touren auf dem Rittergut.
Der Nachtwächter Heinrich führt auf drei verschiedenen Routen durch Neukirch/Lausitz. Dabei macht er seine Begleiter auf die vielen Besonderheiten seines Heimatortes aufmerksam.
Neukirch/Lausitz. In Neukirch/Lausitz kann man hin und wieder eine respektable Persönlichkeit mit Dreispitz, Hellebarde und Lampe sehen, die Besuchergruppen durch den Ort führt. Der Oberlausitzer Kurier hat sich an ihre Fersen geheftet und dabei viel Interessantes erfahren.
Doch zunächst stellt sich die Persönlichkeit erst einmal selbst vor: „Einen recht schönen guten Tag, meine Damen und Herren. Ich, der Nachtwächter Heinrich, darf Sie recht herzlich hier auf dem Rittergut in Oberneukirch begrüßen. Ich freue mich, dass Sie mit mir gemeinsam einen Kontrollgang absolvieren wollen. Eines müssen Sie von vornherein wissen: In Neukirch ist alles anders als in anderen Orten.“
Was genau hier so anders ist, erfahren wir später. Und auch die Frage, warum der Neukircher Nachtwächter seinen Rundgang am Tag absolviert, klären wir noch. Doch zunächst begeben wir uns mit dem Nachtwächter Heinrich auf seine Tour durch Niederneukirch und Oberneukirch Lausitzer Seite.
Und bemerken dabei schon die erste Besonderheit: Denn eigentlich handelt es sich bei Neukirch/Lausitz um den Zusammenschluss von vier ursprünglich völlig selbstständigen Orten. Vorbei an der historischen Schneidmühle und am ehemaligen Hofgericht geht es zu einem wichtigen Zeugnis der Neukircher Industriekultur: Der Zwiebackfabrik. Sie geht auf den Bäckermeister Max Hultsch zurück. „Er hatte sich die Aufgabe gestellt, ein Gebäck zu entwickeln, das auch für Frauen, Kinder und Kranke leicht bekömmlich ist. Und so entstand um 1900 der Neukircher Zwieback. Von da an trat er seinen Siegeszug durch die ganze Welt an. Denn Neukircher Zwieback befand sich an Bord der Zeppelin-Luftschiffe sowie großer Ozeandampfer, die über die Weltmeere fuhren.“
Der Nachtwächter weiß über jedes Gebäude eine Geschichte zu erzählen, so auch über die heutige Kita Querx Valentin.
Zur benachbarten früheren Fabrikantenvilla äußert sich der Nachtwächter Heinrich eher ungern, wächst diese doch immer mehr zu. Weiter geht es entlang des Neukircher Dorfbachs, der Wesenitz, die am Valtenberg entspringt und bei Pirna in die Elbe mündet. Bald gelangt der kleine Zug zu einem weiteren historisch bedeutsamen Gebäude: Dem zum früheren Niederhof gehörenden Stockhaus. Dieses kam 1723 in den Besitz des Gutsherren vom Oberhof – dem heute so genannten Rittergut – der das Stockhaus gut gebrauchen konnte: „Hier ließ er die Untertanen zum Gehorsam zwingen, indem er sie am Stock krumm schließen ließ. Stellen Sie sich drei aufeinander liegende Holzbalken mit Öffnungen für die Fußgelenke, den Hals und die Handgelenke vor, in die der Verurteilte eingeschlossen wurde.“ Heute befindet sich im gegenüber liegenden Niederhof das Jugendhaus Valtenbergwichtel. Entlang der alten Straße, der früheren Hauptstraße, geht es wieder zurück ins Ortszentrum. Schon bald kommt das Wahrzeichen von Neukirch in den Blick: Die Kirche.
Hochachtung hat der Nachtwächter Heinrich heute noch vor dem damaligen Pfarrer und dem Kirchenrat „für ihre Entscheidungsfreude und für ihren Mut, den ich manchmal bei unseren heutigen Politikern vermisse. Denn als es darum ging die Kirche mit einer Orgel auszustatten, vergab man den Auftrag an einen damals noch völlig unbekannten Orgelbaumeister aus Bautzen.“
Es handelte sich um keinen Anderen als Hermann Eule, dessen Nachfahren noch heute Orgeln bauen. Und so kommt es, dass das Eule Opus 1 in Neukirch/Lausitz steht.
Schon bald erreichen wir wieder das Rittergut, den Ausgangs- und Endpunkt unseres Rundgangs. Natürlich weiß der Nachtwächter auch hier interessantes zu berichten. Neben den zahlreichen schön sanierten Gebäuden gibt es nämlich auch ein unsaniertes: „Dabei war dies ein besonders wichtiges Gebäude für das Gut, denn es beherbergte die Schnapsbrennerei. Ich weiß nicht, warum man dieses Haus nicht in das Sanierungsgebiet einbezogen hat. Erfreulicherweise hat es nun einen neuen Eigentümer gefunden: Unser Naturschutzzentrum, das gerade ein Konzept zur Nutzung der alten Brennerei erstellt.“
Damit wären wir mit unserem Rundgang am Ende. Doch zwei Fragen sind noch zu klären. Als Erstes: Wer verbirgt sich eigentlich unter dem Kostüm des Nachtwächters Heinrich? „Es ist niemand anderes als der bekannte Neukircher und Ortschronist Dietmar Heinrich: „Ja, ich bin gebürtiger Neukircher, mittlerweile im verdienten Ruhestand, und beschäftige mich schon sehr lange mit der Ortsgeschichte. Eines meiner Hobbies ist bis heute die Fotografie und die Filmerei. Deshalb hatte mich, als ich 14,15 Jahre alt war, der damalige Leiter der Ortschronisten-Gruppe Fritz Schulze angesprochen, ob ich nicht die Chronikarbeit fotografisch begleiten möchte. So stieß ich zu dieser Gruppe und bin bis heute dabei.“ Außerdem fungiert Dietmar Heinrich seit 1995 als Vorsitzender des Neukircher Fremdenverkehrsvereins. So entstand der Gedanke, etwas für die Urlauber auf die Beine zu stellen.
Bei eigenen Urlauben nahm er an Nachtwächter-Rundgängen in München und Potsdam teil und dachte sich: Das könnte man doch auch in Neukirch machen. „Aufgrund der Größe unseres Ortes sind so drei verschiedene Rundtouren entstanden: Im Oberdorf, im Niederdorf und hier, in der Mitte von Neukirch.“ Doch warum ist der Neukircher Nachtwächter nun am Tag unterwegs? „Bestimmte Sehenswürdigkeiten sind in der Dunkelheit nicht mehr zu erkennen, weil das Straßenlicht fehlt. Oft sind auch Kinder mit dabei, und es gibt auch Versicherungsfragen: Die Gefahr, in der Dunkelheit zu stolpern, ist natürlich größer als am Tag.“ Es gab aber auf besonderen Wunsch auch schon Rundgänge in der anbrechenden Dunkelheit.
Service: Wer sich mit dem Neukircher Nachtwächter auf eine Tour begeben will, kann Dietmar Heinrich unter (035951) 32790 erreichen oder sich im Neukircher Amtsblatt über bestehende Termine informieren.