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Ein Herz für Weihnacht an einem „Mischtisch“

Ein Herz für Weihnacht an einem „Mischtisch“

Wenn die Kartoffelernte im Spätsommer/Frühherbst in der Niederschlesischen Oberlausitz in diesem Jahr kein Wink mit dem Zaunpfahl war... Foto: Till Scholtz-Knobloch

„Teilt Tische – mischt Menschen“ hat der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Sachsen eine Aktion überschrieben, die der Einsamkeit vieler Menschen zu Weihnachten trotzen soll. Doch in der Praxis ist das gar nicht so einfach.

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Ein liebevoll und festlich gestaltetes Mahl – wie hier mit Südtiroler Schlutzkrapfen – bleibt in Gesellschaft immer mehr Menschen aus Singlehaushalten verwehrt. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Region. Eine tolle Idee zum Weihnachtsfest erreichte die Redaktion am Tage des Redaktionsschlusses und löste einige Betriebsamkeit aus. Denn die Idee ist zu schön: Die Einsamkeit in der Gesellschaft steigt und alleine schmeckt ein Festmahl auch nicht wirklich. Wieso also nicht einsame Menschen an den Tischen der Gastronomie zusammenführen?

Der Dehoga-Landesverband umreißt in einer Pressemitteilung eine bittere gesellschaftliche Wahrheit. „Der aktuelle Einsamkeitsreport 2024 der Techniker-Krankenkasse zeigt: 60 Prozent der Deutschen leiden zumindest gelegentlich unter Einsamkeit. Besonders belastend ist das Alleinsein zu Weihnachten.“ Daher starte der Interessenverband der Hotellerie und Gastronomen eine Initiative nach dem Vorbild der Kampagne ’Mischtisch’ des bayerischen Bruderverbandes. Auch in den sächsischen Restaurants und Cafés seien Gastgeber eingeladen, sich anzuschließen. Die Mischtischidee ist simpel: Restaurants und Cafés stellen Tische bereit, an denen sich fremde Menschen begegnen können. Notwendig ist nur die Überwindung des inneren Schweinehundes, indem man einen solchen Mischtisch gezielt ansteuert, dort die Geselligkeit sucht, und über das gemeinsame Essen auch gleich besser ins Gespräch kommt. „Der Mischtisch ist ein Ort der Offenheit und Wärme. Damit bietet er genau das, was einsame Menschen zu Weihnachten so schmerzlich vermissen“, betont Axel Klein, Hauptgeschäftsführer des Dehoga Sachsen. Mit Axel Michaelis vom Hotel und Gasthof Zur Post in Pirna wird auch ein Gastronom präsentiert, der das Konzept umsetzt. Einen Gastronomen, der in Görlitz schon aufgesprungen ist und fußläufig wenige Stunden vor Redaktionsschluss noch ins Blatt gehoben werden kann, hat der Dehoga Sachsen allerdings nicht parat. Die Überzeugungsarbeit zum Mitmachen sei angelaufen. Eine ganze Reihe Görlitzer Gastronomen erhalten also am Mittwoch einen Anruf der Redaktion, ob sie von jetzt auf gleich dabei sind. 

Aber die rein organisatorischen Widrigkeiten, die auch den Dehoga selbst noch Arbeit bereiten, treten gleich zu Tage. Zum Heiligen Abend ist üblicherweise geschlossen und an den beiden Weihnachtsfeiertagen ist schon vor Wochen die Tischreservierung abgeschlossen worden. Die Weihnachtstage sind eine absolute Boomzeit im Jahresverlauf, die alle Kapazitäten an Sitzplätzen längst gesprengt hat.
Die Idee als solche findet eigentlich überall Gefallen. Görlitz’ Spitzenkoch Bernd Schade vom Lucie Schulte etwa findet die späte Anfrage so schade, dass er gleich am Ball bleibt und meint: „Ein solches Angebot wäre tatsächlich eine schöne Geste, die ich gerne einmal aufgreifen würde.“ Auch Berufskollegen blättern zunächst in ihren Kalendern, kommen dann jedoch zu dem Schluss, dass sich ein einsamer Mensch nun erst Recht verloren fühlen würde, wenn man ihm nun nicht die in der Gastronomie nötige Aufmerksamkeit schenkt und ihn noch beengter in die letzte Ecke zwängt. Und wie solle man mit hoffnungsfrohen Einsamen umgehen, die man mit einer Abweisung noch betrübter zurücklassen würde?

Mit mehr Vorlauf ist aber absolut das Potenzial da, dass sich nicht allein die großen Gaststätten mit ihren räumlichen Möglichkeiten empfehlen dürfen. Und Dehoga-Geschäftsführer Axel Klein zeigt sich gewiss: „Auch nach Weihnachten möchten wir die Aktion fortführen.“

Für Gastronomen biete der Mischtisch nicht nur die Möglichkeit, neue Gäste anzusprechen, sondern auch die Chance, eine stärkere Bindung zur lokalen Gemeinschaft aufzubauen. Auf der Internetseite fänden interessierte Gastronomen alle notwendigen Informationen zur Anmeldung und Umsetzung. Und wer nicht bei Dehoga Mitglied ist, muss sich ja nicht scheuen – wenn auch unter anderem Namen – ebenso einen Mischtisch zu Feiertagen oder in einem wiederkehrenden Turnus ins Leben zu rufen.

Eine kommerzielle Idee darf natürlich gerne auch im privaten Umfeld Nachahmer finden. Jeder kennt doch die alte Dame oder den einsamen Herrn aus der nächsten Etage, der so selten oder nie Besuch empfängt.

Und auch unter jungen Menschen nimmt in Zeiten loser Bindungen, der Ablösung des traditionellen Familienmodells, dessen tiefes Herbeisehnen man sich oft gar nicht eingesteht, sowie in Zeiten zunehmender Kinderlosigkeit weiter zu. So hatte eine repräsentative Umfrage der Bertelsmann-Stiftung mit 2.532 jungen Menschen vom März 2024 gezeigt: Fast die Hälfte – oder 46 Prozent – der 16- bis 30-Jährigen fühlt sich einsam. „In dieser Gruppe fühlen sich 35 Prozent moderat einsam und etwa 10 Prozent sogar stark einsam. Das bedeutet, sie erfüllen einige oder alle Kriterien, die auf Einsamkeit hindeuten“, heißt es auf der Internetseite der Bertelsmann-Stiftung. Diese kommt dann merkwürdigerweise mit den auf Arbeitsplatzbeschaffung für NGOs gängigen Rezepten von „mehr Prävention, mehr Beratung online und durch pädagogische Fachkräfte und Psychologinnen“ daher, ohne die tieferen Gründe der gesellschaftlichen Krise benennen zu wollen. Dabei hilft doch die Geste im Kleinen meist viel mehr. Eine unerwartete Einladung von Menschen, denen man bisher nur im Treppenhaus begegnet ist und wenige Sätze gewechselt hat, bringt beim damit Beschenkten wie beim Einladenden vielleicht erst das wirkliche Weihnachtsglücksgefühl, das kein materieller Gegenstand schaffen kann und keine Beratung kompensiert. Mit einem schönen Foto von einem solchen Abend könnte das doch vielleicht sogar eine Geschichte für den Niederschlesischen Kurier sein. 

Till Scholtz-Knobloch / 21.12.2024

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