Ein Konfirmationskleid für ein ganzes Leben
Brunhilde Walter wird im September zur „Jubelkonfirmation“ ihr Konfirmandenkleid von 1953 tragen. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Görlitz/Noes. Viel wird heute über Nachhaltigkeit gesprochen. Aber eigentlich habe nur die Generation der unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg aufgewachsenen davon ein wirkliches Verständnis, meint Brunhilde Walter.
Die Görlitzer Rentnerin wurde im Oktober 1945 eingeschult – ohne Zuckertüte. „Eine kleine Schiefertafel, wenige Schieferstifte, waren die Sachen, um Schreiben und Rechnen zu erlernen. Zum Lesen gab es etwas später die Görlitzer Fibel. In der Schule war vielfach nachmittags – wöchentlich einmal – für sechs Jahre Religionsunterricht. Ihm schlossen sich zwei Jahre Konfirmandenunterricht, jeweils mit viel Lernen, Zeugnissen und Prüfung, an“, erinnert sie sich und kommt auf ihr schlichtes, langes Samtkleid zu sprechen. Dieses stehe nämlich für eine Nachhaltigkeit, wie man sie heute kaum mehr kenne. Die Görlitzer Rentnerin begeht in diesem Jahr ihr 70. Konfirmationsjubiläum in der Kreuzkirche und ist fest entschlossen, das von ihr stets in Ehren gehaltene Konfirmationskleid von 1953 bei der Feier im September erneut anzuziehen.
„Und das ist nicht erst das zweite Mal nach 1953“, verrät sie. Denn in all den Jahren gab es ja auch Familienfeiern und Theaterbesuche, an denen das festliche Gewand zu Einsätzen kommen durfte. Allerdings ist das letzte Mal ihrer Erinnerung nach auch schon eine Weile her – 2000 soll es gewesen sein.
Als kulturbeflissene Frau zitiert sie Goethes an Religion, Wissenschaft und Kultur zweifelnden Faust: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ Und im Faust heißt es ja weiter: „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last, nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.“
Als Damenschneidermeisterin hat sie dem Kleid von 1953 über die Jahrzehnte freilich ein paar Änderungen zugemutet. Insbesondere nahm sie eine Verlängerung mit breitem Volant zur Hochzeit ihres Patenkindes vor. Natürlich hätte es Verwandte gegeben, die sie bei Feiern gefragt hätten: „Willst Du nicht mal etwas anderes anziehen?“. Aber wieso sollte sie das, frage sie sich. Es habe zu allen festlichen Anlässen doch seinen Dienst überzeugend getan.
„So schwer wie es war, es war eine schöne Zeit“, sagt sie ohne Schwermut ganz beiläufig und findet eher rigorose Kritik an einigen Dingen, die ihr heute nicht mehr gefallen. Etwa, dass immer seltener ein „Danke“, „Bitte“ oder „Entschuldigung, gnädige Frau“ zu hören sei. Irritiert sei sie auch, dass der heilige Sonntag kaum noch etwas von seinem Glanz habe. Sie müsse sich schon sehr wundern, wie einige Leute am Sonntag mittlerweile angezogen seien. Da hält sie es eher mit dem eleganten Schick im Nachbarland Polen. Nachdem es in der Jakobstraße keine Stoffbahnen mehr zu kaufen gab, deckte sie sich in den Stoffläden von Hirschberg im Riesengebirge (Jelenia Góra) ein.
Geboren sei sie in Bleichenau. Sie schmunzelt in der Hoffnung, mit dem Ortsnamen etwas Verwirrung ausgelöst zu haben. Des Rätsels Lösung: Von 1936 bis 1947 war Bleichenau der heute vergessene Name des 1973 zu Rothenburg eingemeindeten Noes. Die Benennung leitete sich von einer Stoff-Bleiche an der Neiße ab, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts betrieben wurde.
Ihr Konfirmationskleid hat bei aller Stetigkeit aufgrund ihrer christlichen Haltung in 70 Jahren dennoch einige Standortwechsel erlebt. Ihr Mann arbeitete für das Kernkraftwerk Greifswald in Vorpommern und später für das baulich nie abgeschlossene Kernkraftwerk in Stendal in der Altmark. Mit ihr fand aber auch das Kleid letztlich in seine Heimat zurück.