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Eine Grundsatzfrage nationaler Bedeutung?

Eine Grundsatzfrage nationaler Bedeutung?

Dieses Foto, im Telefonat mit der Redaktion am Dienstag ersonnen, sandte Jens Hentschel-Thöricht (auf dem Foto) dann tatsächlich zum Redaktionsschluss am Mittwoch zu. Foto: Ines Schwarze

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„Der Spiegel“ in Hamburg – hier die Zentrale – verbreitet in dieser Woche fälschlich, dass es keine Demo gegen die Görlitzer Panzerfabrik geben werde. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Am 5. Februar soll der Verkauf des Alstom-Waggonbaus an Rüstungskonzern KNDS im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Kretschmer in Görlitz unterzeichnet werden. Der Tag schlägt bereits hohe Wellen.

Görlitz. Am Mittwoch witterte der Spiegel in seinem gleich dreiseitigen Beitrag „Das Panzerdilemma“ Görlitz in einer „diffusen Debatte“ über Krieg und Frieden. Die östlichste deutsche Stadt liege ja auch näher an der Ukraine als an Freiburg. Es klingt, als sei diese Lage aus Sicht des Hamburger Magazins bereits ein Makel. Schuld an falschen politischen Konstellationen sei unter anderem der BSW-Landtagsabgeordnete Jens Hentschel-Thöricht. Er habe die Frage, ob Görlitz mit KNDS Waffenschmiede werde, zur „Grundsatzfrage nationaler Bedeutung“ gemacht, zumal ihn die „Anwesenheit von Russlandfreunden und Rechtsradikalen“ – so der Spiegel – nicht schrecke.

Hentschel-Thörichts Protest, zweiter Teil, manifestiert sich darin, dass er nun für den 5. Februar, für das BSW den „Aufruf zur Kundgebung: ’Frieden statt Panzer!’ – Protest gegen den geplanten Verkauf des Görlitzer Waggonbaus an KNDS und die Militarisierung unserer Region“ gestartet hat. Vor dem Alstom-Werk in der Christoph-Lüders-Straße 24 gibt es also ein ’Begleitprogramm’ zum Geschehen drinnen. Während KNDS plane, hier künftig Teile für Radpanzer zu produzieren, wolle er appellieren, gemeinsam die Stimme für eine friedliche Zukunft zu erheben, „Frieden beginnt hier – in Görlitz!“

Der Redaktion berichtet er, wie sehr zunächst selbst bei seiner Abgeordnetenanfrage an die Staatskanzlei gemauert wurde, ihm überhaupt eine mindestens ungefähre Uhrzeit für das unter hohen Sicherheitsvorkehrungen stehende Geschehen mitzuteilen. Der Fahrplan dafür war zu Redaktionsschluss auch noch nicht fix, die Kundgebung, bei der im Gegensatz zu Plakaten oder Transparenten, Fahnen nicht zugelassen sind, startet jedenfalls um 8.30 Uhr. Das alles kann sich am Vormittag dann aber auch hinziehen, während die Presse bereits ab 7.30 Uhr in das Werk gelassen wird. „Wir überlegen derzeit, wie wir passierende Autofahrer ermuntern können, hupend ihren Protest auszudrücken“, sagt Hentschel-Thöricht der Redaktion am Dienstag.

Der Spiegel-Artikel liefert eine lange Stimmungsbeschreibung aus der Stadt mit besonderem Interesse an der Meinung von Kurt Bernert, der Montagsgegendemonstrationen trägt, sowie aus dem Parteibüro der Grünen, bei denen Meinungen zum Verkauf auseinandergehen. Zumindest das ist eine Gemeinsamkeit mit der AfD. Während der Görlitzer Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel eine Lösung für den Erhalt von Arbeitsplätzen bevorzugt, sieht sich Roberto Kuhnert, der für die AfD das nördliche Hinterland des Kreises im Landtag vertritt, auf einer Linie mit Tino Chrupalla. Das betreffe nicht allein den Alstom-Verkauf in Görlitz, sondern auch Einschätzungen zum Truppenübungsplatz Oberlausitz.

Roberto Kuhnert bestätigt im Telefonat mit der Redaktion, dass er mit Parteifreunden aus Weißwasser sicher zum vom BSW angemeldeten Protest am 5. nach Görlitz kommen werde. Das Interesse sei übergeordnet und er schätze, dass Jens Hentschel-Thöricht keine Gesinnungsabfrage halte. Dieser hatte so auch der Redaktion erläutert: „Ich schicke doch niemanden weg und es ist übrigens auch ausgeurteilt, dass, wenn jemand nicht stört, man ihn auch mit der Symbolik einer anderen Parteien von einer Demonstration nicht einfach ausschließen kann.“

Nachdem beim Abstimmungsverhalten im Bundestag die Brandmauer bröckelt – siehe die von Friedrich Merz eingebrachten Anträge zur Asylpolitik – wird der Riss in Görlitz aber noch tiefer.

Gerhard Emil Fuchs-Kittowski, Vorsitzender des Deutschen Friedensrates e.V. und als solcher ohne Parteimitgliedschaft Kandidat der Linken im Kreis Görlitz für den Bundestag, hat der Redaktion seine Teilnahme an der Demonstration der Partei, die sich von den Linken abgespaltet hat, in einem langen Telefonat angekündigt.

Das müsse er schon deswegen machen, da er wohl aufgrund seiner Tätigkeit, wie er mutmaßt, keine Akkreditierung zur Vertragsunterzeichnung mit dem Kanzler in Görlitz erhalten habe! Er sei in Berlin übrigens auch längere Zeit vom BSW umworben worden und berichtet von seiner langen familiären Vorgeschichte und einem Lebensweg, in dem Prinzipien wichtiger seien als Abhängigkeiten. Sein Vater, der bekannte  Informatiker und Wissenschaftsphilosoph Klaus Fuchs-Kittowski, habe auch ihm heute den Spiegel-Artikel über Görlitz zugeschickt. Klaus Fuchs-Kittowskis Vater wiederum war aufgrund seiner antifaschistischen Tätigkeit unter den Nationalsozialisten verhaftet worden. Totalitäre Strukturen würden dort wachsen können, wo sich Menschen nicht mehr parteiübergreifend austauschen dürften, hält Enkel Gerhard fest. Dass er damit bei den Linken auch anecken könne, sei ihm bewusst. Der Spiegel schließt seinen Beitrag übrigens mit der Bemerkung, dass am Werk keine Demonstration geplant sei. Das war dann doch eher reine Hoffnung.

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