Eine Impfpflicht mit unabschätzbaren Folgen
Die Spritze in den Oberarm wird nicht von wenigen Menschen als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte gewertet. So musste sich das Bundesverfassungsgericht bereits mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht auseinandersetzen. Foto: Archiv
Bautzen. Im Zusammenhang mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht haben im Landkreis Bautzen mit Stand Donnerstag vergangener Woche rund 180 Unternehmen und Einrichtungen die Daten von Beschäftigten ohne entsprechende Nachweise an das Gesundheitsamt übermittelt. Darüber informierte die Kreisverwaltung. In einem automatisierten Verfahren erhalten die gemeldeten Beschäftigten derzeit bereits Aufforderungsbescheide des Gesundheitsamtes. Darin wird den Betroffenen mitgeteilt, dass sie innerhalb einer Vier-Wochen-Frist den gültigen Nachweis einer Impfung, Genesung oder Kontraindikation an die Behörde zu übermitteln haben.
Das Gesundheitsamt weist darauf hin, dass eine Rückmeldung auch in Fällen vorzunehmen ist, in denen eine Impfung abgelehnt wird. Erfolgt gar keine Reaktion, sei das Landratsamt verpflichtet, ein Bußgeldverfahren mit Bezug auf die nicht erfolgte Meldung einzuleiten, hieß es. Dies könne mit einer formlosen Rückmeldung unabhängig von deren Inhalt vermieden werden. Werden hingegen durch die Betroffenen innerhalb der gesetzten Frist entsprechende Nachweise vorgelegt, ende das Verfahren. Erfolgt eine Rückmeldung ohne Nachweis, beginne die Einzelfallprüfung. In diesem Fall wende sich das Gesundheitsamt an den jeweiligen Arbeitgeber, um die Auswirkungen eines möglichen Betretungsverbotes auf die Versorgungssicherheit in der Einrichtung zu prüfen. Wäre diese nach Auffassung des Arbeitgebers nicht mehr gewährleistet, könne die Tätigkeit ohne Betretungsverbot fortgeführt werden. Je nach Art der Beschäftigung würden durch das Gesundheitsamt jedoch Auflagen erlassen. Dazu würden eine tägliche Testung oder eine Maskenpflicht für die jeweiligen Mitarbeiter zählen.
„Die Impfpflicht sehen wir nach wie vor kritisch, als Verwaltung sind wir aber an die Umsetzung des Bundesgesetzes gebunden“, erklärte Vize-Landrat Udo Witschas. „Dabei steht die Versorgungssicherheit an erster Stelle. Auch wenn Betroffene derzeit Schreiben des Gesundheitsamtes erhalten, bleibt die Haltung des Landkreises in dieser Frage unverändert.“
Verunsicherung im Klinikum
Doch wie sieht es an der Basis aus? „Wir haben eine sehr starke Unruhe und Verunsicherung in der Mannschaft“, sagte exemplarisch der Chef der Oberlausitz-Kliniken, Reiner E. Rogowski, auf Anfrage unserer Zeitung. Mit Stand Mittwochvormittag habe aber nicht einer der Mitarbeiter im Zuge der Gesetzgebung dem Unternehmen den Rücken gekehrt. „Darüber sind wir sehr froh. Wir haben der Belegschaft mehrmals mitgeteilt, dass wir niemanden verlieren wollen. Gleichzeitig warben wir jedoch konsequent für Impfungen und stellten Ressourcen zur Verfügung.“ Wie abzusehen war, hätten nicht alle diese Angebote angenommen.
Indes ließ die Kreisverwaltung wissen, dass sich Landrat Michael Harig erneut an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt habe, um eine Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht einzufordern – unter anderem mit Verweis auf die angespannte personelle Situation der Landkreise im Zuge der Unterbringung von Kriegsvertriebenen aus der Ukraine, die eine enorme Herausforderung für die Verwaltungen darstelle.
Partei will Akten einsehen
Die Alternative für Deutschland (AfD) wiederum stellte beim Landratsamt Antrag auf Akteneinsicht. Während der Kreistagssitzung am Montag sei es zu „irritierenden Aussagen der CDU-Führungsriege“ gekommen. Dabei ging es um die Art und Weise, wie mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht hierzulande verfahren werden soll. „Was zählt nun?“, fragte sich Fraktionschef Henry Nitzsche nach den Ausführungen des Landrates und seines Stellvertreters. „Die erteilten Bescheide, das unbekannte Schreiben vom SMS (Montag), die angekündigten Anhörungen, auf welche im Bescheid verzichtet wurden, oder die Aufhebungsbescheide, von denen niemand außer dem Landrat etwas weiß.“
Die Partei will Einsicht in die Bescheide erlangen, die an Arbeitnehmer im Gesundheitswesen des Kreises Bautzen verschickt wurden, die bisher keinen Nachweis über eine Corona-Impfung, eine Genesung oder eine Impfunverträglichkeit vorgelegt haben. Zudem ist sie an dem Schreiben des Sozialministeriums (SMS) interessiert, das Vize-Landrat Udo Witschas während einer Befragung durch die Kreisräte als Handlungsgrundlage erwähnt hat, um eine Anhörung der Betroffenen zu ermöglichen, „obwohl gerade auf eine Anhörung der Betroffenen in den ausgesandten Bescheiden durch das Gesundheitsamt ausdrücklich verzichtet wurde“. Zu guter Letzt geht es der AfD um die Aufhebungsbescheide, die die Bescheide des Gesundheitsamtes aufheben und eine bußgeldfreie Anhörung ermöglichen sollen.
Was nützt die Impfpflicht?
Und weil die gesamte Problematik immer schwerer zu durchschauen ist, fragen sich Menschen wie Julia Schöne, die wie zahlreiche ihrer Kollegen im Gesundheitswesen beschäftigt ist, immer mehr nach dem Sinn des Ganzen. „Als erstes wird die Bevölkerung darunter leiden, wird diese Impfpflicht wirklich durchgesetzt“, meint sie. „Wir, die wir in der Branche arbeiten, wissen das und warnen seit Monaten vor den Auswirkungen. Jeder, auch Menschen, die nicht im Gesundheitswesen arbeiten, müssten sich vorstellen können, was passiert, wenn es plötzlich den Hausarzt, die Physiotherapeutin, den ambulanten Pflegedienst, das Reinigungspersonal im Krankenhaus, den Rettungssanitäter, die Laborantin oder den Röntgenassistenten nicht mehr gibt. Händeringend versucht man seit Jahren, Fachpersonal für unseren Berufszweig zu gewinnen, da die Engpässe so groß sind. Nun soll gut ausgebildetes Fachpersonal einfach nicht mehr arbeiten dürfen, weil es sich nicht mit einem Impfstoff behandeln lassen möchte, der noch immer nur eine bedingte Zulassung hat und der, wenn er wirkt, nur einen selbst schützt.“
Das ist zugegebenermaßen auch schwer zu verstehen, wenn man sich allein dieses Zahlenbeispiel vor Augen führt. Mit Stand Mittwoch, 16. März 2022, befanden sich in den verschiedenen Kliniken des Landkreises Görlitz 146 Personen in medizinischer Behandlung. Vier davon benötigten zu diesem Zeitpunkt eine intensivmedizinische Betreuung. Lediglich 51 Patienten der Normalstation und ein Patient der ITS galten als ungeimpft. Im Umkehrschluss bedeutet das: Es wurden mehr Menschen mit einem Impfstatus stationär behandelt. Unterm Strich lässt sich feststellen: Im Zusammenhang mit dem aktuell kursierenden Omikron-Virus sind sowohl Geimpfte als auch Menschen, die sich bislang keine Spritze verpassen ließen, nicht vor einer Infektion gefeit. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geht mit Blick auf eine Dreifachimpfung jedoch davon aus, dass auf diese Weise gewisse Folgen einer Ansteckung besser händelbar sind. „Die Last an Long Covid und Sterbenden bekommen wir damit gebrochen“, sagte der SPD-Politiker gegenüber Medienvertretern – auch mit Verweis auf mögliche Virusvarianten im kommenden Herbst und Winter, deren Gefährlichkeit sich jetzt noch nicht abschätzen lasse.
Wie also weiter, wenn ein Einlenken durch die Politik ausbleibt? Für Reiner E. Rogowski steht fest, dass er sich nach Perspektiven umschauen muss, damit im Fall des Falles der Klinikbetrieb ohne größere Probleme weiterlaufen kann. „Es darf nicht vergessen werden, dass wir auch ohne Pandemiegeschehen immer Personal gesucht haben. Fachkräfte aus der Ukraine sind uns herzlich willkommen, nicht nur in der Pflege“, betonte der Manager. „Ansonsten planen wir Ende Mai – vorausgesetzt die Corona-Lage lässt es zu – eine Reise nach Izmir, um dort zu eruieren, ob die Möglichkeit besteht, türkische Fachkräfte anzuwerben.“ Zudem hätten alle Auszubildenden, die ihre Prüfung im Laufe des Sommers machen, ein Einstellungsangebot zum 1. September bekommen. „Vorausgesetzt, die Prüfung wird bestanden.“
Kommentare zum Artikel "Eine Impfpflicht mit unabschätzbaren Folgen"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Ach, die Türkischen Fachkräfte aus IZMIR sind dann alle geimpft und wollen sich Impfen lassen? Und die Deutschkenntnisse sind auch hervorragend? Und in IZMIR werden dann keine Fachleute im eigenen Land benötigt? Nicht das unsere Bundeswehr dann mit Hilfskonvois los muss?