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Eine Suche, die allein historisch sein soll?

Eine Suche, die allein historisch sein soll?

Kai Wenzel vor einem Porträt Joseph Anton Schneiderfrankens von Otto Engelhardt-Kyffhäuser (1859-1925). Foto: Matthias Wehnert

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Der Jakob-Böhme-Bund traf sich oft bei Joseph Anton Schneiderfranken in der Goethestraße 55. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Bis zum 17. November ist im Kaisertrutz die neue Sonderausstellung „Die Suchenden – Die Kunst des Jakob-Böhme-Bundes“ zu sehen. Kurator und Kunsthistoriker Kai Wenzel erläutert, wieso Görlitz in der Kunst- und Geistesszene damals so weit ausstrahlte.

Görlitz.
Zum ersten Mal nach seiner Auflösung vor einhundert Jahren widmen die Görlitzer Sammlungen im 400. Todesjahr Jacob Böhmes eine Sonderausstellung der Künstlervereinigung des Jakob-Böhme-Bundes. 120 Werke von Künstlern des Jakob-Böhme-Bundes, der 1920 in Görlitz gegründet wurde, bis 1924 bestand und im ganzen deutschen Sprachraum wirkte, werden im Görlitzer Kaisertrutz bis zum 17. November gezeigt. Zur Ausstellungseröffnung im Mai hatte Kurator Kai Wenzel betont, die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sei für viele eine Phase der „Sinnsuche“ gewesen, was auch den Titel „Die Suchenden“ begründet habe. In weiteren Ausführungen dämpft er diese Analyse jedoch mit dem relativierenden Wortschatz unserer Tage und spricht ausgesprochen defensiv nur von einer „Verunsicherung“ in der damaligen Zeit. Dabei wurden die gesellschaftlichen Fundamente damals doch völlig aus den Angeln gehoben!

Sehen die Görlitzer Sammlungen die große Parallele zur heutigen Zeit damit gar nicht und bespielen hier lediglich das Feld der reinen Rückschau? Museumspädagogin Marie Karutz weist darauf hin, dass die Botschaft schon ein Lernen für Heute einschließe. Man könne etwa lernen selber tätig zu werden und zu hinterfragen: „Wie funktioniert eine Gruppe“. Der interessante Ansatz verpufft jedoch kurz darauf bereits. Ideelle Nähe zum Phänomen der „Selbstverwalter“ unserer Tage etwa sucht sie in ihren Ausführungen nicht. Dem gängigen Publikum der von Marie Karutz Betreuten – den meisten Schülern – dürften entsprechende Fragen zu Paralleln aufgrund noch fehlendem Wissens um historische Zusammenhänge epochaler Umbrüche auch eher weniger in den Sinn kommen.

Und so blieb die Vorstellung der Exposition dann doch in der reinen Rückschau stecken, die immerhin wichtige Brüche in Erinnerung ruft. Etwa, dass die kulturelle Erneuerung in vorelektronischer Zeit über Tageszeitungen mit damals langen Dokumentationen von Debatten funktionierte, die Stammtische weiterdiskutierten. „Es war die damals erste Quelle noch vor dem Radio“, so Kai Wenzel.

Eine fünfjährige Suche nach dem Jakob-Böhme-Bund und seinen Künstlern ging der Ausstellung voraus, denn der Bund hinterließ kein Mitgliederverzeichnis und auch kein Archiv.

Ideengeber und geistiger Mittelpunkt des Bundes war der Maler und Schriftsteller Joseph Anton Schneiderfranken (Bô Yin Râ, 1876-1943). Bei ihm in der Goethestraße 55 traf sich die Kunst- und Geisteswelt. Bewusst wählte der Jakob-Böhme-Bund den Görlitzer Mystiker Jacob Böhme (1575–1624) als seinen geistigen Vordenker. Böhmes philosophische Schriften, die während des 30-jährigen Krieges ebenfalls in einer Zeit völliger Infragestellungen entstanden waren, eröffneten den Mitgliedern des Bundes den Weg zu einer von Mystik und Theosophie angeregten neuen Sakralkunst. Auch dieses Zurück zur Metaphysik heute im Widerstreit mit rein fiktiven Moralpostulaten alleine schreit geradezu nach Vergleichen mit heute. Kai Wenzel erklärt folgend Wesen und Wirken der Gruppe um Spiritus Rector Joseph Anton Schneiderfranken.

Herr Wenzel, wer waren „Die Suchenden“?

Die Suchenden, also die Mitglieder des Jakob-Böhme-Bundes, waren Künstler aus Malerei, angewandter Kunst, Zeichnung, Druckgrafik, Architektur und Literatur. Diese Vielfalt stellen wir auch in der Ausstellung vor. Unter den Mitgliedern finden sich bekannte Namen wie Hans Poelzig und Gustav Meyrink, aber auch viele, die heute in Vergessenheit geraten sind und deren Werke wir mit der Ausstellung wiederentdecken wollen.

Der Ideengeber für den Bund war der Maler und Schriftsteller Joseph Anton Schneiderfranken. Unter seinem geistigen Namen Bô Yin Râ schrieb er seit den 1910er Jahren ein umfassendes spirituelles Lehrwerk. Er war in dem Sinne kein Suchender mehr, sondern derjenige, der den Bund versammelte und ihm die Idee zu einer neuen Sakralkunst gab.

Was meint „Sakralkunst“?

Zunächst denken viele bei diesem Begriff an die christliche Kunst, also an Darstellungen der Kreuzigung Christi oder eine Mariendarstellung. So eng ist das aber beim Jakob-Böhme-Bund nicht gemeint gewesen. Eigentlich müsste man eher von einer geistigen oder spirituellen Kunst sprechen, die eine größtmögliche Offenheit in der Ausdeutung lässt. Und das ist auch in den Arbeiten des Bundes zu erkennen. Es werden Themen der Weltreligionen aufgegriffen, dann wieder steht das Kosmische als der große Rahmen für das menschliche Dasein im Mittelpunkt oder auch das Verhältnis des Menschen zu Gott.

Warum bezog sich der Bund bei seiner Namensgebung auf Jacob Böhme?

Wir würden heute sagen, diese Namensgebung lag in Görlitz nahe. Tatsächlich war Jacob Böhme 1920 aber gar nicht so populär. Der Jakob-Böhme-Bund ist Teil der Rezeptionsgeschichte und in gewissem Maße auch der Wiederentdeckung dieses Philosophen und Mystikers. Um aber gleich einem Missverständnis vorzubeugen, unsere Ausstellung wird sich nicht mit Jacob Böhme beschäftigen, sondern ausschließlich mit dem Künstlerbund, der 1920 dessen Namen wählte.

Wie kam der Ideengeber des Bundes Joseph Anton Schneiderfranken nach Görlitz?

Er kam während des Ersten Weltkriegs nach Görlitz, zunächst aber nicht, um hier als Künstler tätig zu sein. Da er sehr gut Griechisch sprach, leistete er seinen Militärdienst als Übersetzer im Wohnlager für griechische Soldaten in Görlitz. Nach dem Krieg blieb er dann aber in unserer Stadt, da er eine Görlitzerin geheiratet hatte und sich ihm hier ausgezeichnete Möglichkeiten als Künstler boten. In Görlitz entstand ein Teil seiner Schriften, seines Lehrwerks, das er unter seinem geistigen Namen Bô Yin Râ veröffentlichte. Diesen Namen hatte er von seinem spirituellen Lehrer während seines Griechenlandaufenthalts 1912/13 erhalten. Durch hohe Druckauflagen und Übersetzungen in zahlreiche Sprachen, erreichten die einzelnen Bände des Lehrwerks bereits in den 1920er Jahren weltweite Verbreitung. Mit Blick auf das Wirken von Schneiderfranken gibt es durchaus Parallelen zu Jacob Böhme – ein Mann, der aus sich heraus geistige, mystische, spirituelle Erfahrungen in Sprache bringt.

Wie arbeiteten die Mitglieder des Bundes, die aus Deutschland, der Schweiz und Österreich kamen, zusammen?

Soweit, wie wir es heute wissen, erfolgte die Mitarbeit auf Einladung von Joseph Anton Schneiderfranken und des zweiten wichtigen Organisators, des Malers Fritz Neumann-Hegenberg. Sie haben einen Kreis von Künstlern angesprochen, von denen sie wussten, dass sie der Idee einer neuen Sakralkunst zustreben. Offen ist aber, wie sich die Zusammenarbeit unter den Mitgliedern über die belegten Ausstellungen hinaus gestaltet hat. Dass neben Künstlern der bildenden und angewandten Kunst auch Architekten, Literaten, Musiker in diesem Bund mitgearbeitet haben, wissen wir nur indirekt aus Erinnerungen, Schriftquellen, kurzen Erwähnungen. Beispielsweise bei Hans Poelzig oder Gustav Meyrink wissen wir zwar aus den Erinnerungen der Witwe von Fritz Neumann-Hegenberg, dass sie Mitglieder dieses Bundes waren. Über ihr Wirken innerhalb des Bundes wissen wir aber nichts Genaues. Ihre Namen sind auch nicht in Ausstellungsbesprechungen zu finden. Wahrscheinlich sind sie als Ideengeber angesprochen worden. Denn das Sakrale, das Geistige spielte in ihren Werken bereits viele Jahre vor der Gründung des Jakob-Böhme-Bundes eine wesentliche Rolle. Sie waren sicher auch als Multiplikatoren für den Bund wertvoll. Der Bund agierte unter dem Dach des Kunstvereins für die Lausitz. So konnten die Infrastruktur des Vereins und etablierte Ausstellungsorte wie die Görlitzer Stadthalle genutzt werden. Dennoch war die Entfaltung des Bundes über Görlitz hinaus gedacht. Ausstellungen in Großstädten waren geplant. Mit Schneiderfrankens Weggang aus Görlitz 1923 und dem frühen Tod Neumann-Hegenbergs 1924 zerfiel die Organisationsstruktur.

Vielen Dank, Herr Wenzel!

Auch extern kommt dieser Tage übrigens nun noch zweimal geballte Jakob-Böhme-Bund-Expertise nach Görlitz. Am 4. August, 11.00 Uhr, drehen am Originalschauplatz der Beerdigungspredigt in der Nikolaikirche Jan Korthäuer und Klaus Weingarten aus Hannover für ein Filmprojekt und bitten freiwillige Komparsen dazu Trauerkleidung im Stil der 20er-Jahre zu tragen. Die beiden werden am 17. August, 10.00 bis 13.00 Uhr, im Gleis 1 im Bahnhof Görlitz dann noch den Philovortrag beim Ideenfluss e.V. „Die musikalische Dimension des Jakob-Böhme Bundes (1920-1924)“ halten. Die Frau Fritz Neumann-Hegenbergs war Musikerin. Er selbst malte nach Musik. Bedeutende Musiker waren geistige Schüler von Joseph Anton Schneiderfranken.

tsk / 03.08.2024

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