Einsatztaktik contra Transparenz an Grenze
Seit Weißrussland wohl gezielt den Strom aus dem Nahen und Mittleren Osten gen Westen ziehen lässt, nahmen die Zahlen der Aufgriffe entlang der Grenze immens zu. Foto: Bundespolizei
Potsdam/Berlin/Wilna. Die Politik doktert derweil nur an funktionalen Fragen des Dilemmas auf allen Seiten herum. Der Bundespolizei-Gewerkschafter Heiko Teggatz hat kritisiert, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer angesichts unerlaubter Einreisen über die Weißrussland-Route keine Grenzkontrollen zu Polen anstrebt. „Wir fordern weiterhin die Einrichtung temporärer Grenzkontrollen“, sagte der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Streifen mit der polnischen Polizei, wie Seehofer sie vorgeschlagen hatte, seien sicherlich sinnvoll, sagte Teggatz. „Das allein reicht aber nicht.“
Derweil hat Litauen, das ebenso wie Polen eine EU-Außengrenze zu Weißrussland hat, mit der Errichtung eines Grenzzauns begonnen. Die EU sollte sich Litauen zufolge so vor Migranten schützen, die über Weißrussland in die EU kommen. Diese kurzfristige Maßnahme sei dringend nötig, sagte Litauens Präsident Gitanas Nauseda beim EU-Gipfel in Brüssel, erntete bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (EVP/CDU) jedoch einen Korb, die betonte, Europa werde kein Geld für neue Mauern aufwenden.
Vor diesen Hintergründen wollte der Niederschlesische Kurier von der Bundespolizei wissen: „Würde die Bundespolizeiinspektion aus den Erfahrungen der letzten Wochen temporär verstärkte Grenzkontrollen befürworten oder verlagert dies ohnehin nur die Fluchtwege ins freie Gelände? Welche Auswirkungen hat die derzeitige Situation auf die Überstundensituation der Kollegen? Welche anderen Aufgaben leiden derzeit besonders unter der besonderen Schleusungslage? Und: Wie ordnen Sie die Forderung von Innenminister Seehofer ein, gemeinsame Streifen mit der polnischen Polizei seien sinnvoll? Ist dies im Lichte der bestehenden Zusammenarbeit an der Grenze nicht eher eine Nebelkerze, um Sympathie zu erheischen oder Zeit zu gewinnen?“
Anja Knebel vom Leitungsstab des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam fasste angesichts der politischen Brisanz im laufenden Entscheidungsfindungsprozess die eigentlich an die Bundespolizeidirektion Ludwigsdorf gerichteten Fragen zusammen und antwortete en bloc „im Kontext wie folgt“: „An der deutsch-polnischen Grenze finden derzeit keine systematischen Grenzkontrollen statt. Die Bundespolizei hat die aktuelle Lageentwicklung als einen Schwerpunkt im Rahmen der grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung entlang der deutsch-polnischen Grenze unterhalb der Schwelle temporär wiedereingeführter Grenzkontrollen aufgenommen, welche lageabhängig bereits intensiviert wurden. Die Bundespolizei ergreift solche Maßnahmen in enger Abstimmung mit den Polizeien der Länder, insbesondere aber auch mit dem polnischen Grenzschutz.“
Die eingesetzten Beamten seien mit Blick „auf das aktuelle Phänomen und zur Einbeziehung der Lageerkenntnisse“ in die intensivierten Maßnahmen an den grenzüberschreitenden Verkehrswegen der Binnengrenzen sensibilisiert. „Im Rahmen der intensivierten Binnengrenzfahndung werden u. a. auch Schwerpunkteinsätze temporär durchgeführt“, betont Anja Knebel und bittet um Verständnis, „dass wir aus einsatztaktischen Gründen keine Angaben zur Anzahl eingesetzter Kräfte oder über Art und Umfang der Kontrollmaßnahmen machen.“ Sie stellt fest: „Die Einführung temporärer Grenzkontrollen an der deutsch-polnischen Grenze ist eine rein politische Entscheidung. Politische Statements oder Forderungen werden grundsätzlich nicht von der Bundespolizei kommentiert.“
Der Niederschlesische Kurier wollte ferner wissen: „Gibt es Zahlen-Quervergleiche über die einzelnen Bundespolizeidirektionen entlang der deutsch-polnischen Grenze bezogen auf die zu betreuenden Grenzkilometer? Sprich: Liegt der Abschnitt der Bundespolizeidirektion Ludwigsdorf in Sachen der Aufgriffe im statistischen Mittel oder ist er signifikant mit weniger oder mehr Aufgriffen konfrontiert als die übrigen Direktionsabschnitte?“
Anja Knebel lässt dazu unter anderem wissen, „dass die meisten Feststellungen mit circa 55 Prozent auf das Bundesland Brandenburg entfielen, mit rund 31 Prozent auf das Bundesland Sachsen und mit etwa 14 Prozent auf das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.“
Alle drei Bundesländer verfügen über einen Autobahnübergang zu Polen und nach einer Berechnung der Redaktion hat Brandenburg zu circa 56 Prozent Anteil an der deutsch-polnischen Grenze, der Freistaat Sachsen zu etwa 27 Prozent und Mecklenburg-Vorpommern zu rund 17 Prozent. Daraus lässt sich ableiten, dass sich die betreffende Migration relativ gleichmäßig von Usedom bis zum Dreiländereck bei Zittau auf die Oder-Neiße-Grenze verteilt.