Erinnerung: Tante Erna aus Wunstorf hatte recht!
„Tante Erna“ in den 80er-Jahren. Foto: privat
Wunstorf. Tante Erna war so etwas wie eine Ersatzoma. Sie wohnte als Schwester meines Großvaters mit mir auf einer Etage, war ihr Leben lang nie beim Arzt, machte den Garten und spielte noch mit 77 Jahren Tennis. Nach der Schule durfte ich in ihre Porzellanschale greifen, um ein Stück Schokolade zu essen und mit ihr fernsehen.
Ob Dick und Doof, Außenseiter Spitzenreiter, Raumschiff Enterprise, Dalli Dalli, Der Große Preis oder Ein Kessel Buntes – wir verbrachten viel Zeit in ihrer Stube. Sie fluchte auf die Engländer, die 1945 den Wandschrank aufgebrochen hatten.
Der Schrank steht mit diesem Schaden noch heute nun in meiner Stube. Für viele Frauen ihrer Kriegsgeneration fehlten nach 1945 einfach Männer, sie war ledig geblieben und hatte mich als „Ersatzenkel“ ins Herz geschlossen. Als Niedersächsin stolperte sie über den spitzen Stein und teilte ohne Verpflichtungen anderen gegenüber gerne Weisheiten aus alten Zeiten aus. Ebenso trotzig widersprach ich dem Quark von anno dazumal mit den in meiner Generation im Westen antrainierten Überzeugungen. Etwa, wenn sie mit ihrer Erfahrung aus zwei Währungszusammenbrüchen 1923 und 1945 meinte, man solle den Sparstrumpf füllen, da das Geld bei der Bank nicht sicher sei. Wie heute der Fridays-for-Future-Nachwuchs konterte ich ihre Warnungen, so vor Einführung eines Euros im Bewusstsein einer aufgeklärteren neuen Generation. Hin und wieder säuselte sie, wenn bei uns im TV die „Ostzone“ lief – wir lebten im Westen – ihr seien die Kommunisten lieber als die ’Sozis’. Erstere würden immerhin wenigstens ankündigen, dass sie Menschen ihr Eigentum wegnehmen wollten. Drei Jahrzehnte sind seit ihrem Tod ins Land gegangen. Der Blick zurück hilft mir zu ertragen, dass sich jede Generation wohl aufs neue irren darf. Am 6. Februar würde sie 116 werden. Danke Erna!