Eva Goldbergs Poesialbum mit einer Botschaft für die Welt
Gleich dreifach wird das Poesiealbum von Eva Goldberg v.l.n.r. in Deutsch (Titelseite hält Felix Pankonin), Englisch (Lauren Leidermann) und Polnisch (Magda Lambertz) editiert. Foto: T. Scholtz-Knobloch
Das Poesiealbum der damals zehnjährigen Görlitzerin Eva Goldberg hat sich als „Dreh- und Angelpunkt“ für das Zusammenbringen von Zeitzeugen und Nachkommen jüdischer Görlitzer entpuppt. Nun wird es dreisprachig editiert – in Anwesenheit zahlreicher Menschen, die am Ort ihrer Wurzeln erstmals persönlich zusammenkommen.
Görlitz. Im Juni vergangenen Jahres hatte der Niederschlesische Kurier getitelt; „Anne Frank ist auch mit Görlitz verbunden“. Hintergrund waren private Forschungen der in Görlitz mit ihrem jüdischen Ehemann zugezogenen US-Amerikanerin Lauren Leiderman. Sie fragte sich, was wohl mit den Nachfahren der Görlitzer Juden passiert sei und vernetzte über ihren englischsprachigen Internetblog Zeitzeugen und Nachkommen in aller Welt. Dabei stieß sie über das Yad-Vashem-Institut Jerusalem auf ein Foto, das eine Lawine ins Rollen brachte. Es zeigt die junge Görlitzerin Eva Goldberg mit Susanne Leiderman und die durch ihr Tagebuch weltbekannt gewordenen Anne Frank Ende der Dreißigerjahre.
Wie die im KZ ums Leben gekommene Anne Frank hatte auch Eva Goldberg, die mit ihrer Familie in der Görlitzer Courbierstraße (ul. Tadeusza Kosciuszki) lebte, eine Zeitdokument hinterlassen, auf das Lauren Leiderman durch Recherchen beim Holocaust-Museum Washington stieß. Dieses Poesiealbum ist quasi zum Dreh- und Angelpunkt geworden, über das das Netzwerk der Zeitzeugen und Nachkommen immer feingliedriger wurde. Lauren Leiderman berichtet: „Dieses Poesiealbum wurde mein Kompass. Wenn wir uns heute immer wieder über eine Internetkonferenz zusammenschalten, dann sind eigentlich alle Familien versammelt, aus denen es Einträge im Album gibt.“
Nach der Pogromnacht waren die Goldbergs nach Amsterdam geflohen, von wo sie über England in die USA kamen. Evas Vater war Angestellter im bekannten Kaufhaus der Totscheks, die zur Upper Class der Stadt gehörten. „Ehefrau Bianka Totschek gab Kaviar-Partys in Görlitz und heute haben wir über unser Netzwerk auch den Kontakt zu Tamara Totschek-Meyer“. Eva Goldberg starb vor 20 Jahren in Kalifornien, aber Lauren knüpfte den Kontakt zu ihrer Nichte. Nach nur einem Jahr gipfelt alles nun in der dreisprachigen Herausgabe des Poesiealbums Evas in Buchform.
Das Album soll nachwachsenden Generationen Kompass bei der Rekonstruktion der untergegangenen jüdischen Welt am Beispiel einer prosperierenden schlesischen Stadt sein und kann und mit dem einstigen Wohnsitz der Goldbergs im Osten der Stadt auch einen Bogen nach Polen schlagen.
In dieser Kombination wird das Poesiealbum nun also gleich dreifach auf Deutsch, Polnisch und Englisch erscheinen, denn ein Großteil der Überlebenden zog in die USA, nach Großbritannien oder Australien. Für die polnischsprachige Ausgabe fand Lauren Unterstützung bei Magdalena Lambertz. „Ich war zu dieser Zeit wegen meiner kleinen Tochter noch zu Hause und sofort begeistert, eine Herausforderung gefunden zu haben“, berichtet die junge Frau aus Oberschlesien, die mit Ihrem Ehemann, der eine Stelle als Lehrer in Görlitz fand, aus Westdeutschland nach Görlitz kam. Dass das Projekt gleich eine Reihe von Begleitveranstaltungen nach sich zieht, können beide Frauen immer noch nicht fassen. Lauren sagt über Magdalena: „Magda hat so viele Tipps gegeben, sie war meine zweite Stimme und nicht nur ehrenamtliche Übersetzerin.“
„Ab dem 4. November wird es eine jüdische Erinnerungswoche in Görlitz mit Veranstaltungen rund um die Menschen geben, die sich in Eva Goldbergs Poesiealbum verewigt haben“, berichtet Lauren weiter. Für ihre Idee konnte sie auch Felix Pankonin von der Hillerschen Villa in Zittau begeistern. Pankonin half bei der Gewinnung von Fördermitteln von der amerikanischen Botschaft in Kooperation mit dem deutsch-amerikanischen Institut in Leipzig. Er berichtet: „Die Familie Goldberg ist nach der Reichspogromnacht geflohen und so änderte sich auch die Sprache der Einträge im Poesiealbum. In der Edition gibt es also Beiträge, die aus dem Englischen zu übersetzen waren, bei der englischen Version aus dem Deutschen. Herausgekommen ist eine klassische Edition. Lauren hat einen historischen Kontext über die Familie geschrieben, auch über das Projekt selber.“ Pankonins Kollegin Anne Kleinbauer hat die deutschsprachige Bearbeitung vorgenommen, doch Lauren findet ebenso ein Wort des Danks für Katharina Krumsieg, die geholfen hat, die alte Sütterlinschrift zu entziffern.
Am 2. November treffen in Görlitz Angehörige der Verfasser von Einträgen in Eva Goldbergs Poesiealbum aus aller Welt ein – sie stammen neben den genannten englischsprachigen Ländern z.B. auch aus Israel, Norwegen, Brasilien oder Argentinien. Am 5. November werden am einstigen Haus der Goldbergs in der ul. Kosciuszki 10 „Stolpersteine“ – die ersten im polnischen Teil der Stadt – für die Familie Goldberg gelegt.
Am 4. November kommen bereits die Angehörigen in einer Veranstaltung in der Neuen Synagoge zusammen und lesen Einträge aus Evas Poesiealbum vor. Diejenigen, die die Reise nicht mehr auf sich nehmen konnten, haben Videobotschaften aufgenommen. Am 7. November wird das in drei Sprachen editierte Buch in der Synagoge vorgestellt. „Und aus dem polnischen Bürgermeisteramt kam die Info, dass auf polnischer Seite eine Freilichtausstellung zum Leben der Juden in der Stadt gezeigt wird“, freut sich Lauren Leiderman.
Wer in dem Buch etwas tiefer eintaucht wird zahlreiche unglaubliche Verbindungen zu Görlitz finden. Denn Lauren Leiderman forschte tief. Sie nahm Einsicht in Dampfschiff-Auswandererlisten des Einwanderermuseums von Ellis Island vor New York oder legt Verbindungen der Totscheks offen, die zu Martin Goldsmith, einer der bekanntesten Radiopersönlichkeit des National Public Radios in den USA führen, dessen Familiengeschichte erfolgreich verfilmt wurde. Auch er will kommen und die Geschichte mitbringen, in der Bruno Ganz seine letzte Rolle spielte.
„Mit dem Poesiealbum haben wir eine private und zugleich universale Geschichte. Wir machen das ganze eigentlich für die Menschheit, weil auch künftige Generationen viel daraus lernen können“, sagt Magda Lambertz.