Festakt – die Gesellen werden jetzt freigesprochen
Für die Kreishandwerkerschaft Görlitz ist es das Highlight, die frischgebackenen Gesellen des Landkreises Görlitz freizusprechen. Foto: privat
Die Kreishandwerkerschaft Görlitz spricht am Samstag, 3. September, ab 14.00 Uhr, in der Johanniskirche Löbau die frischgebackenen Gesellen des Landkreises Görlitz frei. Unser Redakteur Steffen Linke befragte dazu Daniel Siegel, geprüfter Betriebswirt nach der Handwerksordnung von der Geschäftsführung der Kreishandwerkerschaft Görlitz.
Herr Siegel, welchen Stellenwert messen Sie dieser Veranstaltung bei?
Daniel Siegel: Das ist das Highlight, auf das die zu Prüfenden und wir als Team der Kreishandwerkerschaft Görlitz hinarbeiten. Wir konnten auch in der Pandemie jede Freisprechung durchführen, wenn zwar auch in anderer Form, aber dieser Moment, wenn die jungen Kollegen in den Gesellenstand aufgenommen werden, darf nicht ersatzlos ausfallen. Da lassen wir uns als Vertreter des Handwerks nicht aufhalten, auch nicht von einer Pandemie.
Über 80 ehemalige Auszubildende werden in der Löbauer Johanniskirche ihre Gesellenbriefe erhalten. Um welche Gewerke handelt es sich dabei konkret?
Daniel Siegel: Die Freisprechung erfolgt für die Gewerke des Malerhandwerks, des Tischler-, Friseur- und unter anderem des Bäckerhandwerks – aber auch die Seiler werden in den Gesellenstand aufgenommen.
Wie reagieren die ehemaligen Azubis während bzw. nach der Freisprechung?
Daniel Siegel: Das reicht von purer Freude und purem Stolz bis hin zu einer gefassten Stimmung. Zusammenfassend lässt sich bei allen Gesellen ein Gefühl in den Augen ablesen: „Jetzt geht es erst richtig los.“ Für viele ist es der Beginn oder der erste Schritt in das Berufsleben oder in die Meisterschule.
Gab es bei solchen Veranstaltungen auch schon einige lustige Anekdoten?
Daniel Siegel: Lustig trifft es vielleicht nicht. Ich erinnere mich aber an einen Moment, als eine Gesellin bei ihrer Rede ihre Ausbildungszeit so mitreißend und emotional zusammenfasste, dass diese Energie im Raum zu spüren und an den Reaktionen des Publikums abzulesen war. Ich stand damals versteckt am Seitenausgang der Bühne im Theater in Görlitz – und dieses Bild und die Gesichter haben sich in meinen Erinnerungen fest verankert.
Was geben Sie diesen jungen Menschen, sprich den frischgebackenen Gesellen, mit auf ihren weiteren Weg?
Daniel Siegel: Mit einer Ausbildung im Handwerk kann man alles werden. Das haben wir auch im Podcast „Wer macht denn sowas hier?“ immer wieder darstellen können und persönlich möchte ich das mit meiner Vita zeigen. Bei den bisherigen Freisprechungen konnte ich den Gesellen immer mitgeben, dass nicht zählt, wo man herkommt. Entscheidend ist, wo man als Person hinmöchte. Meister, Betriebswirt des Handwerks oder Restaurator sind nur einige Möglichkeiten, wie man sein Handwerk ausrichtet.
Daniel Siegel ist geprüfter Betriebswirt nach der Handwerksordnung von der Geschäftsführung der Kreishandwerkerschaft Görlitz.
Foto: Paul Glaser– Fotografie
Wie steht es denn ganz persönlich um Ihre handwerklichen Fähigkeiten?
Daniel Siegel: Als gelernter Maler und Lackierer bemerke ich in meinem Alltag, dass die erlernten handwerklichen Fähigkeiten aus meiner Ausbildung helfen, komplexe Aufgaben immer mit einem praktischen Ansatz zu lösen.
Obwohl ich schon lange nicht mehr in diesem Beruf tätig bin, ist es verblüffend, wie diese Fähigkeiten auf eine Art einprogrammiert sind. Das ist ein tolles Merkmal für die duale Berufsausbildung und auch ein großer Vorteil im Gegensatz zu einem klassischen Studium.
Sie sind einst als Geselle auch freigesprochen worden. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Daniel Siegel: Leider war meine „Freisprechung“ im Sommer 2009 nur eine Art Zeugnisausgabe und damit wenig feierlich. Wir wurden in einer Aula einer Schule empfangen. Feierlich war dann hingegen meine Übergabe im Gewandhaus in Leipzig, als ich den Schmuckbrief als geprüfter Betriebswirt nach der Handwerksordnung überreicht bekommen habe.
Es ist schön, wie die Gesellen bei der Kreishandwerkerschaft Görlitz mit diesem großen Festakt gefeiert und bei den Profis begrüßt werden – und das seit vielen Jahren.
Diese Tradition haben wir immer weiterentwickelt und auf die Zielgruppe abgestimmt.
Ich hoffe, dass allen Gesellen und Gästen auch die diesjährige Freisprechung gefällt.
Gilt denn heute immer noch die Redewendung „Handwerk hat goldenen Boden“?
Daniel Siegel: Dieser Ausspruch ist uns allen bekannt als Aussage, dass man im Handwerk gutes Geld verdienen kann.
Dabei ist der Ursprung vermutlich ein gegenteiliger. Transportieren wir diesen Satz aber in unsere Zeit, stimmt er. Im Handwerk verdient man gut und die Handwerker müssen nicht mehr auf Montage gehen oder gar wegziehen.
Als Meister verbessert sich diese Situation natürlich noch einmal deutlich. Gerade in Zeiten, in denen wir energetisch sanieren und Häuser mit immer mehr Photovoltaik ausstatten, ist das Handwerk Arbeitgeber Nummer eins.
Wie stellt sich die aktuelle Situation ganz konkret im Handwerk in unserer Region dar? Inwieweit herrscht da auch Fachkräftemangel – und wie wirkt das Handwerk dem entgegen?
Daniel Siegel: In den nächsten Jahren werden viele Kollegen in Rente gehen und wir werden noch mehr Handwerker ausbilden müssen, um die Lücke zu schließen. Im Landkreis Görlitz sehe ich aber gesamthandwerklich eine positive Zukunft. Junge Menschen wollen nachhaltige, regionale und individuelle Arbeitsplätze. All das haben wir schon immer bei den Handwerksbetrieben in der Region. Ein Instrument, das wir als Organisation in der Region einsetzen, ist das Projekt „Passgenaue Besetzung – Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen bei der passgenauen Besetzung von Ausbildungsplätzen sowie bei der Integration von ausländischen Fachkräften“.
Als aktiver Berater und Unterstützer ist unser Kollege im gesamten Gebiet seit Juni unterwegs und bringt Betriebe und Schüler zusammen.
Hier zeigen sich auch schon erste Erfolge, was die Stimmung im Handwerk in Bezug auf die Fachkräftesituation weiter verbessert.
Die Festrede bei der Veranstaltung in Löbau hält Pfarrer Hans-Albrecht Lichterfeld. Inwieweit sehen Sie eine Verbindung zwischen Kirche und Handwerk?
Daniel Siegel: Die Kirche und das Handwerk sind über Jahrhunderte gewachsen und wandeln sich.
Eine Kirche ist in den kleinen Dörfern im ländlichen Raum ein Ort der Begegnung, so wie auch die Bäckerei, die Fleischerei oder der Schmied im Dorf. Es sind feste Bestandteile der Gemeinschaft und tragen zum Gemeinschaftsleben bei.
Welche Wünsche begleiten Sie für die Zukunft des Handwerks in der Region?
Daniel Siegel: Persönlich wünsche ich mir, dass sich mehr Menschen am Handwerk orientieren. Das Handwerk ist lösungsorientiert, ehrlich, tolerant und vor allem familiär. Wenn diese Werte wieder mehr in unsere aller Mitte rücken, können wir als Gemeinschaft und Gesellschaft nur gewinnen. Ich lebe und wohne in einem kleinen Dorf am Rand von Dresden und sehe die Oberlausitz mit dem Blick von „außen“. Was ich als Wunsch an die Oberlausitzer und die Handwerker der Region habe, ist wieder mehr für das Positive einzustehen. Der Landkreis Görlitz ist so facettenreich und es ist die Aufgabe aller Menschen, diese Facetten, Ideen und Möglichkeiten durch eigenes Tun aufzuzeigen, sich nicht ausschließlich auf andere zu verlassen. Frei nach dem Motto der Kampagne des Handwerks: „Grübeln hat noch niemanden weitergebracht.“