Füße stillhalten bei Christkindelmarkt und Filmdreh
Der Mitarbeiter der Kulturservicegesellschaft (Füße rechts) brachte eine Kabelbrücke. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Görlitz. Vor dem Modegeschäft von Jeanette Kölling am Untermarkt verlaufen drei mit Klebeband gemeinsam verklebte Stromkabel und dazu parallel ein weiteres völlig ungeschützt. Eine kleine Matte in Größe eines Fußabtreters dient als einziger Trittschutz beim Zugang zu ihrem Modegeschäft. Die Kabel verlaufen aus einem Hausflur, um eine Bude des Weihnachtsmarktes anzuschließen, die ein benachbarter Gastronom betreibt, der sich zudem mit seinem Sitzmobiliar bis an ihr Schaufenster ausgedehnt hatte. Es sei alles so von der den Christkindelmarkt veranstalteten Kulturservicegesellschaft abgenommen, habe sie sich anhören müssen. Jeanette Kölling kann das so kaum glauben. „Wenn ich zu anderen Zeiten so Kabel verlegen oder mich ausbreiten würde, stünde sofort das Ordnungsamt drohend vor mir“, sagt sie. Witzigerweise in das ’aufgefallene’ Gespräch mit der Redaktion hinein und nach einer Woche Christkindelmarkt kommt dann doch noch ein Mitarbeiter vom Kulturservice und verlegt ein kurzes Stück einer Kabelbrücke.
Die stets aus Cottbus nach Görlitz pendelnde Jeanette Kölling hat keinen leichten Stand und führt viele Widrigkeiten auch auf ihr spezielles Geschäftsmodell und ihr umgängliches Naturell zurück. Sie habe sich für den Verkauf schöner Sachen touristische Orte gesucht und vor Corona neben Görlitz und Cottbus auch Geschäfte in Berlin, Bautzen, Moritzburg und Forst betrieben. 2010 machte sie einen Laden in der Straßburgpassage auf, 2013 kam sie auf den Untermarkt. Die Coronazeiten hätten 60 Prozent Umsatzeinbußen gebracht und die Schließung übriger Läden. „Ich habe dennoch zeitweise vier Geschäfte alleine betreut, zwei Tage hier, zwei Tage da etc. – so konnte ich mich in der Zeit eines faktischen Arbeitsverbots über Wasser halten. Es gibt eine hohe Kundenbindung. Menschen kommen oft nach Vorabsprache mitunter von weither angereist“, erläutert sie. Der Beweis steht im Laden. Eine Moritzburgerin ist nicht wegen des Weihnachtsmarktes, sondern wegen Jeanette Kölling gerade im Geschäft. Die studierte Heilpädagogin nimmt sich für das Bummeln anderer viel Zeit, auch wenn die Moritzburgerin heute nichts kauft.
Die Zeit, Begeisterung für eigene Produkte auf andere zu übertragen, nimmt sie sich oft zu vereinbarten Terminen. In Zeiten ohne Tourismus sei außer Freitag und Sonnabend ohnehin häufig „Totentanz“ in der Altstadt. Kurz vor dem Christkindelmarkt habe ein Wolfsland-Filmdreh sie zuletzt ordentlich gebeutelt.
„Es gab einen vereinbarten Kundentermin, zu dem ich extra aus Cottbus an einem Wochentag angefahren kam“, berichtet sie. Aufgrund der Dreharbeiten sei ihr Laden völlig zugebaut gewesen. „Als Auswärtige krieg ich das nicht immer sofort mit.“ In dem Drehchaos, in dem ihr niemand die Länge der Drehzeiten mitteilen wollte, seien ihre Kunden – eine Familie – nach vier Stunden frustriert abgereist. Man habe sich durch die Absperrungen einfach verpasst. Das habe sie dann erst auf dem Rückweg im Auto per SMS erfahren, als ihr Handy endlich wieder Empfang hatte, der am Untermarkt oft scheitert. „Es ging um drei große Jacken. Das wären vielleicht 1.500 Euro gewesen, damit hätte ich die Dezembermiete zahlen können.“
Sie höre mitunter von Geschäftsleuten, die Erstattungen für Ausfälle bei Drehs erhielten. „Ich bin nicht von hier und vermutlich immer zu nett gewesen. Nur die Nörgler werden informiert und bedient.“
Mittlerweile ist ein befreundeter Jurist zum Gespräch hinzugestoßen, der auf den Christkindelmarkt zurückkommt. Er sieht es so: „Es gibt ein Hausrecht, eine Verkehrssicherungs- und Gewährleistungspflicht, diese wird ihr dadurch aufgebrummt, dass andere ihren Pflichten nicht nachkommen, wenn sie hier dafür Sorge tragen müssten, dass hier rechtzeitig und in ausreichender Breite Kabelbrücken verlegt werden. So wie es gerade arrangiert worden ist, ist es sachlich auch nicht richtig. Die Kabelbrücke als solche ist nur ein Notbehelf und die, die jetzt hier verlegt wurde, ist gerade einen bis 1,50 Meter lang, sie müsste aber über die gesamte Lauflänge der Kabel an der Hauswand entlang gelegt werden und das übrigens auch 1,50 Meter von der Hauswand entfernt.“ Im übrigen verbaue ein hinter der Nachbarbude zurückgesetzt postiertes Zelt einen Fluchtweg. „IHK oder Brandschutzmeister müssten das beanstanden.“ Er selber leide übrigens als Anwohner der Altstadt unter Filmdrehs. Dieses Jahr sei er körperlich von einem Filmmitarbeiter angegangen worden – „bei denen arbeiten oft Sicherheitskräfte ohne jedweden Umgangston“.
Das bestätigt auch eine benachbarte Ladenbetreiberin, die nicht namentlich genannt werden möchte. Absprachen würden völlig fehlen; zu spät würden Zettel mit einer Telefonnummer, unter der niemand zu erreichen ist, an der Tür hängen. „Zuletzt kam ein Nachbar nicht in die eigene Wohnung, weil eine Klinke durch eine andere historische Klingel ersetzt worden war. Und auch ich selbst wurde schon körperlich vom Filmpersonal angegangen.“