Gegenmodelle wenn „nichts“ bleibt
Moritz Filter (l.) im Gespräch mit Christian Hering von der DB Netz AG und Symposiumsteilnehmern auf dem Bahnhof GörlitzMoys (Zgorzelec) Foto: O. Rettig
Der Bahnverkehr an der Neiße bleibt eines der ganz großen Sorgenkinder im Strukturwandel. Wie sich der wissenschaftliche Nachwuchs jedoch gegen das Dilemma im grenzüberschreitenden Verkehr stemmt, konnte man bei einem Symposium junger Wissenschaftler in der Rabryka Görlitz erleben. Der Niederschlesische Kurier hat einen Referenten begleitet.
Görlitz. Moritz Filter hat fünf Jahre in Görlitz gelebt und hier bei Bombardier gearbeitet. Der gebürtige Berliner betont, er sei schon in jungen Jahren von den vielen Fernzugverbindungen von Berlin aus fasziniert gewesen: „Man muss sich einmal vor Augen halten, dass es noch vor nicht einmal zehn Jahren möglich war, Ziele wie Kiew, Lemberg (Lviv), Odessa, Saratow, Simferopol oder Sankt Petersburg mit durchgängigen Nachtzügen oder Kurswagen zu erreichen.“
Wehmut angesichts historischer Erinnerungen
Auch zu Görlitz habe es für ihn einen Bezug gegeben: „Ich habe in der Nähe des Görlitzer Bahnhofs gelebt, von wo aus man – vor 1945 – Reisen nicht nur nach Görlitz, sondern auch in die niederschlesischen und nordböhmischen Industrieregionen antrat oder zu Urlaubsreisen und Kuren ins Riesen- und Isergebirge aufbrach.“ Der verschwundene Berliner Kopfbahnhof sei damit auch ein Symbol dafür, dass die einst engen Austauschbeziehungen zwischen den Regionen in der Form nicht mehr bestanden. Geblieben sei materiell ein „Nichts“.
Das Mitglied des Fahrgastverbandes Pro Bahn will sich mit dem wehmütigen Blick über Deutschlands Ostgrenze hinaus nicht begnügen. Derzeit arbeitet er an seiner Promotion an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und dies teilweise auch von Sarajewo aus, wo er mit seiner Familie eigentlich lebt, und untersucht darin Geschichte, Gegenwart und Perspektiven des Bahnverkehrs in Grenzregionen mit Hauptaugenmerk auf die Situation in der Euroregion Neiße. Vergangene Woche kam nun einmal wieder Görlitz ins Spiel, als Filter Referent eines Symposiums in der Rabryka war. Eingeladen hatte eine internationale Forschergruppe unter Leitung des Leibniz-Instituts für Länderkunde (IfL) Leipzig. In Görlitz erläuterte Moritz Filter, dass es nach 1989 zunächst zu einer großflächigen Abkehr vom Nahverkehrsmittel Eisenbahn kam, da diese nicht in der Lage war, sich kurzfristig auf die geänderten Bedürfnisse der Bevölkerung einzustellen, die durch den Wegfall tausender Arbeitsplätze in der Region nun zunehmend andere, weitere Strecken zurücklegen musste.
Deutschland hinkt polnischem Engagement hinterher
Im interregionalen Fernverkehr sei durch das im Zuge der Bahnreform eingeführte Wirtschaftlichkeitsgebot zunächst eine Angebotslücke entstanden, die erst nach und nach durch Aufgabenträger für den Nahverkehr geschlossen werden konnte. Hierbei hat man sich auf die Hauptachsen konzentrieren müssen, sodass es in der Konsequenz zu einer Verkehrseinstellung auf zahlreichen Nebenstrecken kam. In den letzten Jahren ist durch die Zunahme der Fahrgastzahlen eine Trendumkehr zu verzeichnen: „Mit der Elektrifizierung der Strecken nach Zgorzelec und Reaktivierungsprojekten wie der Riesengebirgsbahn zeigt insbesondere die polnische Seite ein großes Engagement für den Infrastrukturausbau und setzt dabei auch sichtbare Zeichen zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Verkehrs“, so Filter. Die Verflechtungsbeziehungen im Dreiländereck haben sich deutlich intensiviert, was sich an der Entwicklung der Bahnknoten Görlitz und Zittau oder den seit Jahren etablierten deutsch-tschechischen Verbindungen ablesen lässt. Ein großes Hemmnis für die weitere Entwicklung sind dagegen die übergeordneten Rahmenbedingungen, wobei nationalstaatliche Planungen und Regelwerke grenzüberschreitende Bedürfnisse nicht hinreichend reflektieren und die Ausweitung oder Neueinführung von Verkehrsangeboten erschweren. Neben dem durch die gestiegene Nachfrage erzeugten „Druck von unten“ gäbe es eine sich verstärkende politische Aufmerksamkeit. Diese zeige sich an Beispielen der starken Lobbyarbeit von tschechischer Seite für eine Achse Prag-Reichenberg (Liberec)-Görlitz oder die Bemühungen des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit, die Lückenschlüsse Seifhennersdorf-Rumburg (Rumburk) und Rumburg-Ebersbach-Löbau untersuchen zu lassen.
Covid 19 zeigte Grenzen der Potenziale auf
Gerade die Covidkrise hätte noch einmal in den bestehenden grenzüberschreitenden Verflechtungen gezeigt, „dass es erhebliche Potenziale und den Bedarf nach einem weiteren Ausbau des grenzüberschrei-tenden Verkehrs gibt. Insofern sollte es kein Wunschtraum bleiben, dass man von Berlin aus nicht nur wieder direkt nach Görlitz, sondern auch schnell und bequem ins Riesengebirge oder in die Metropole am Jeschken gelangt“, so Moritz Filter.
Kommentare zum Artikel "Gegenmodelle wenn „nichts“ bleibt"
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Es wird noch lange ein Wunschtraum bleiben von Berlin ins Riesengebirge... in Berlin hat da niemand Interesse. Es gibt andere Probleme, wir müssen die grünen Wünsche erfüllen...