„Görlitz debattiert“ oder so tickt Politik-Wissenschaft
Julian Nejkow beim Treffen mit der Redaktion am vorletzten Sonntag Fotos: Till Scholtz-Knobloch
Görlitz. In kurzer Zeit ist der Politikwissenschaftler Julian Nejkow eine Art Ziehsohn der sächsischen Landespolitik geworden. Seinen Podcast beehrte der Ministerpräsident (Titelgeschichte dieser Zeitung vom 8. Mai 2022: https://www.alles-lausitz.de/michael-kretschmer-ueber-nuancen-politischer-ehrlichkeit.html), kürzlich war Sahra Wagenknecht Nejkows Gast und mit der großen Oxymorn-Studie mit der VHS Görlitz und der Hochschule Zittau/Görlitz schaute er in hiesigen Kneipen dem Volk aufs Maul, um „über Wege und Abwege einer gespaltenen Gesellschaft“ im tiefen Osten Sachsens Bericht zu erstatten. Dieses Wirken wird nun mit einem neuen Format fortgesetzt.
Das Kneipenformat an sich liegt Nejkow, der zum Termin mit dem Niederschlesischen Kurier ebenso eine Gaststätte vorgeschlagen hatte. Im Café am Flüsterbogen kann er seinen Charme und das Talent zum vertrauensseeligen Plausch ausspielen. Nun sucht er über den Niederschlesischen Kurier Teilnehmer für sein Anschlussprojekt, auch wenn er in der Coronapolitikhochphase aktiv im Netz mitmischte, als dem Niederschlesischen Kurier eine Kampagne im Bund mit impfrenitenten Bediensteten des Gesundheitswesens angedichtet wurde. Diese hatten damals haufenweise Anzeigen geschaltet, mit denen eher fiktiv neue Jobs außerhalb des Gesundheitswesens gesucht wurden – ohne Wissen der Redaktion. Schwamm drüber – mit Nejkow zu reden hat Unterhaltungswert und der Bedarf, unter Montagsdemonstranten wie Gegendemonstranten eine schwierige Debatte endlich mal miteinander aufzunehmen ist groß. Auch dieses Anschlussprojekt wird natürlich wieder Teil der Wissenschaft, was seine Tücken haben dürfte. Nejkow stellt fest, dass alles auf den Tisch kommen dürfe, die Grenze aber verfassungsrechtlich Relevantes sei. Das klingt erst mal gut, wirft aber doch Fragen in Zeiten auf, in denen der Verfassungsschutz seinen einstigen Chef Hans-Georg Maaßen am liebsten selbst unter Beobachtung stellen würde. Und trotz Oxymorn-Beteiligung der Hochschule Zittau/Görlitz ist einer von vier avisierten Moderatoren nun nicht etwa deren Gründungsdirektor Prof. Peter Dierich, der heute Organisator von Montagsprotesten in Zittau ist, sondern – wie sollte es in Görlitz auch anders sein, der nie hinterfragte „Allesmoderierer“ Frank Seibel sowie Mike Altmann (Fraktion Motor Görlitz) – eloquent aber unzweideutig ebenso auf einer Seite stehend. Dieser geballten Deutungshoheit dürften auch Katja Knautz und Philipp Schmidt nicht wirklich eine Gegenfacette hinzufügen.
Wie dem auch sei: Die drei Termine der neuen Debattenreihe „Görlitz debattiert“ sind: 1. Teil am 23. November „Gegeneinander. Thema: Kommunikation“, 2. Teil am 7. Dezember „Untereinander. Thema: Politik“ sowie der abschließende 3. Teil am 14. Dezember „Miteinander. Thema: Gesellschaft“ – alle jeweils von 17.30 bis 19.30 Uhr in der Gaststätte Jakobs in der Jakobstraße 5a. Für einen Termin kann man sich unter görlitzdebattiert@gmail.com anmelden. Nach einer Einführung wird an vier Tischen mit vier anderen, zufällig gelosten Menschen debattiert, wobei zu einem Termin auch Landrat Dr. Stephan Meyer Diskutant sein soll, verrät Promovend Nejkow und erläutert: „Zwischen den Runden gibt es Pausen, nach der zweiten Diskussionsrunde gibt es eine große Pause mit Büfett. Die Veranstaltung endet mit einer Abschlussrunde.“
Er sei neugierig, wie weit das Konzept nun aufgehe. Auch in der Oxymorn-Studie hatte es Überraschungen gegeben. So bekundete der Doktorand, die Forscher hätten ein Auseinanderklaffen zwischen dem, was die Menschen beschäftigt und dem, was sie tatsächlich betrifft ausgemacht. Im Hinblick auf den Komplex Ausländerfeindlichkeit sei festzustellen, dass tatsächliche Berührungspunkte mit Menschen aus dem Ausland die wenigsten gehabt hätten. Aber heißt das nicht doch, dass jede Ehrlichkeit am Ende wieder umgedeutet werden kann? Beim Thema Zuwanderung dürfte der Aufreger mehr in den Kosten, als in der Kompatibilität unterschiedlicher Ethnien liegen. Auch die Frage der unmittelbaren Betroffenheit ist in der Sorge um die Grenze des Leistbaren an sich unzweifelhaft untergeordnet.
Kürzlich gab es in der Stadtbibliothek Görlitz im Beisein der Redaktion einen Vortrag über den Klimawandel. Der in der Mathematik beheimatete Referent musste umfassende inhaltliche Kritik seitens eines Naturwissenschaftlers einstecken. Und wie kommt die veranstaltende Landeszentrale für Politische Bildung aus der entglittenen Stallregie heraus? Mit der Wunderwaffe Infantilisierung – das Ganze endete im Grundschulniveau, indem es galt, auf einer Pappe priorisierend Klebepunkte für mögliche persönliche Verhaltensweisen in der Klimapolitik zu kleben.
Nejkow hört sich dieses Beispiel an und versichert, dass es so peinlich bei „Görlitz debattiert“ nicht laufen werde. Eine Zusammenfassung der Debatte solle mittels von Zeichnungen der Comic-Künstler Dimitar Stoykow übernehmen. Doch welche Emotionen werden dann aus der Debatte überleben? Der Autor dieses Berichtes – selbst Magister der Politikwissenschaft – wird jedenfalls mitdiskutieren – schon aus Gründen der Selbstreflexion. Die Veranstalter müssen aber wohl doch noch ein Format auflegen, bei dem man sich nicht nur austoben und beobachten lassen darf, sondern auch ernstgenommen wird. Es scheint noch nicht die überfällige Substanz-Debatte zu werden, die seit drei Jahren eisern umschifft wird.
Kommentare zum Artikel "„Görlitz debattiert“ oder so tickt Politik-Wissenschaft"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Sehr geehrte Damen und Herren,
es unter der durch vermeintliche Eliten bzw vermeintliche Gutmenschen betriebenen Gesinnungsdiktatur nicht möglich an einer derartigen Diskussion teilzunehmen. Ein Bürger dieses Landes, der vielleicht eine abweichende Meinung vertritt, kann bzw. sollte es sich nicht antun, in einer solch einseitig vorgeprägten Diskusion (3 oder 4 zu 1) verächtlich und niedergemacht zu werden. Damit wird Hass und Hetze in subtiler Form ausgeübt. Beispielsweise sind TV-Gesprächsrunden zu Monologen verkommen.
Die Runden bestehen gegenwärtig meist aus Politikern, Politwissenschaftlern und Journalisten, deren systemeinheitlichen Gesinnungen von vornherein bekannt sind. Es wird allgemein der Grundsatz ausgeblendet, dass das Sein das Bewußtsein prägt und nicht umgekehrt. Letzteres funktioniert vielleicht unter Alkohol oder freigegebenem Cannabis; sollte aber nicht der Regelfall werden. Als über 70-Jähriger habe ich 2 Gesellschaftsysteme kennengelernt und damit etwas mehr Lebensgefahrung bezüglich gesellschaftlicher Ereignisse aller Art. Es ist für mich unerträglich, wenn z. Bsp. eine 30-jährige Journalistin per TV versucht, mir die DDR und Ereignisse in dieser Welt gemäß vorgegebener Meinung zu erklären.