Görlitz: Kulisse, um den Kunstbetrieb zu triggern?
Ein Blick durch den Bauzaun auf die „Kulisse“ an der Stadthalle verrät, dass fragliche Inhalte noch bestehen. Foto: Matthias Wehnert
Görlitz. Für die im Juli eröffnete Kunstschau „Görlitz Art“ hatte die Jury auch das Werk „Kulisse“ von Lisa Maria Baier ausgewählt – quasi eine Hommage an „Görliwood“, so das etablierte Label für die Filmstadt an der Neiße. Die Künstlerin ergänzte das gen Polen postierte Werk neben der Stadthalle jedoch u.a. um den Slogan „Aborcja bez Granic“ (Abtreibung ohne Grenzen), um damit Einfluss auf die Debatte zur gesetzlichen Einschränkung von Abtreibungen in Polen zu nehmen.
Wie in vielen grenzüberschreitenden Debatten sind die Diskussionsebenen jedoch in beiden Ländern ganz andere. Und so ist selbst in dem vielfachen Medienecho großer deutscher Zeitungen bislang unbeachtet geblieben, dass es auch viele protestierende Frauen in Polen auf die Straße zieht, weil die Regierung Abtreibungen nicht einmal bei Vergewaltigungen oder extremen Behinderungen zulassen möchte. Insofern liegt das Verständnis über den Wert des Lebens zwischen Abtreibungsgegnern in Deutschland und Polen vermutlich viel weiter auseinander, als die die Künstlerin durch ihre Botschaft für „Abtreibungen ohne Grenzen“ vereinnahmend unterstellt.
Die Stadt warf der Künstlerin wegen der inhaltlichen Erweiterung und Umdeutung des konzipierten Beitrages Vertragsverletzung vor – die Angelegenheit ist mittlerweile vor Gericht, nachdem die Stadt Görlitz den Abbau des Denkmals von der Künstlerin verlangte.
Noch im Juli hatte sich der Studentenrat der Hochschule für Bildende Künste Dresden in einem Offenen Brief an Görlitz‘ Kulturbürgermeister Dr. Wieler gewandt. Die Ratsmitglieder betonten: „Der Ort, an dem das Kunstwerk stehen sollte, war zum Zeitpunkt der Zusage nicht festgelegt. Frau Baier hat sich für einen Ort entschieden, der sich direkt an der Landesgrenze zu Polen befindet. Menschen in Polen demonstrieren seit Monaten gegen ein verschärftes Gesetz, welches Abtreibungen nahezu vollständig verbietet. (…) Was Sie als Abweichung und Vertragsbruch ansehen, ist eine inhaltliche Setzung, die in Bezug auf den Ort nachträglich vorgenommen wurde. Sie hat ihre zentralen Fragestellungen genommen und auf den Ort angewendet.“
Dr. Michael Wieler antwortete ebenfalls in Form eines Offenen Briefes: „Die Künstlerin hat uns im Vorfeld nicht darüber informiert, dass sie beabsichtigt, das Werk inhaltlich so grundlegend anders auszurichten. (…) Ich bin der Meinung, wer etwas ändern will, hat die Verpflichtung, dieses dem Vertragspartner mitzuteilen. Warum bin ich nun nicht bereit, das Kunstwerk wie nun realisiert stehen zu lassen. Weil es nicht die Art der politischen Kommunikation ist, welche wir als Stadt mit der polnischen Seite pflegen.“ So pflege man eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und überdies hätte Zgorzelec mit über 60 % einen liberalen Bürgermeister gewählt; schon allein vor diesem sei die Umdeutung unpassend. „Unsere Stadt ist eigentlich der falsche Platz für die Arbeit von Frau Baier“, so Dr. Wieler, der damit passende Orte für denkbar hält.
Baiers Werk ist nun von einem Bauzaun zum Bürgersteig hin abgeriegelt, was für einen Um- oder Abbau des Werkes eigentlich ohne Sinn ist. Insofern ist vielleicht die Frage berechtigt, ob hier mit Steuergeldern der Kunstbetrieb gar weiter getriggert wird? Letztendlich wähnt man Kunst so als Setzer der Meinungshoheit, so dass ihre Aktivisten bei Niederlage vor Gericht am Ende auch feiern können! Das Werk hat mit dem Streit jedenfalls noch mehr Kulisse geschenkt bekommen.
Eine Entrüstung war der Offene Brief Dr. Wielers sicher nicht: „Es geht der Künstlerin wahrscheinlich tatsächlich eher um die Debatte, als um das Werk. Ich kann das nachvollziehen, zumal ich – persönlich und privat – die sachliche Position der Künstlerin im Hinblick auf die Frauenrechte durchaus teile (ohne genauere Details der Position von Frau Baier hierzu zu kennen)“, bekennt der Kulturbürgermeister ja sogar inhaltliche Sympathie.
Letztendlich trägt die Debatte um das Denkmal alle Merkmale eines Stellvertreterkrieges zur Deutungshoheit. Mathias Fröck, Geschäftsführer der Linken im Stadtrat kritisierte Dr. Wielers Entscheidung als überzogen und merkte in Ausblendung des übergeordneten Rechts auf das Lebens pauschal an: „Dabei gelten in der EU die Menschenrechte für alle Menschen gleich. Die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper sollte Konsens sein.“ Man stelle sich die Empörung auf deutscher Seite über ein Denkmal vor, das auf polnischer Seite stehend die jährlich circa 100.000 Abtreibungstoten im Jahresverlauf in Deutschland zählt und diese womöglich den deutlich geringeren Zahlen von Coronatoten, die die Nachrichten tagtäglich präsentieren, gegenübergestellt. Dabei ist das menschliche Leben doch zurecht keine Kulisse für eine Posse. Denn über allem thront Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt – des geborenen wie des ungeborenen (BVerfGE 88, 203 vom 27.10. 1998).
Kommentare zum Artikel "Görlitz: Kulisse, um den Kunstbetrieb zu triggern?"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Deutschland sollte endlich mal aufhören sich in die Belange anderer Länder einzumischen... und erst mal vor der eigene Haustür kehren.
Ich möchte einfach verstehen, wie kann dass sein, dass die "Körperautonomie" der Frauen soweit geht, dass das Ungeborene Leben vollkommen missachtet wird?! Die Kinder in dem Mutterleib haben kein Recht aus das Leben? Sind wir Mütter und Väter etwa Götter geworden, und wir entscheiden "demokratisch" über Leben und Tod? Unerwünschtes Leben auszulöschen ist ein EU-Norm geworden? Ich verstehe die Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind, aber die Lösung ist sicher nicht die ENDLÖSUNG.
Liebe und hochwürdige Schwangere Frau! Eines Tages wirst Du stolz sein, dass Du die Mut hattest dein Kind Leben zu schenken. Sei bereit!