Görlitz: Nächtliches Lesen macht Lust auf Riesengebirge
Agnieszka Bormann ist Organisatorin. Foto: Klaudia Kandzia
Görlitz. Joanna Bator ist polenweit mindestens so bekannt wie Olga Tokarczuk. Und wie bei der Nobelpreisträgerin ist auch im Werk von Bator Schlesien stets ein Thema.
Die Waldenburgerin (Walbrzych) lebt in Warschau, besucht jedoch ihre niederschlesische Heimat immer wieder gerne, zuletzt im Winter, als ihr in Hirschberg (Jelenia Gora) der Riesengebirgspreis für Literatur verliehen wurde. Nun können auch die Görlitzer Joanna Bator begegnen. Sie ist Gast des diesjährigen „Schlesischen Nachtlesens“, das am 8. April, um 17.00 Uhr in der Ost-Görlitzer Ruhmeshalle, dem Dom Kultury, beginnt – dort allerdings nur in polnischer Sprache. „Im Mittelpunkt des Abends steht Bators neuestes Buch ‚Gorzko, gorzko‘ (wörtlich: „Bitter, bitter“), das derzeit von Lisa Palmes ins Deutsche übersetzt wird“, freut sich Organisatorin Agnieszka Bormann, Schlesienreferentin am Schlesischen Museum zu Görlitz.
Die Germanistin und Kulturmanagerin Bormann lebt und arbeitet seit 17 Jahren in Görlitz, „einem perfekten Ort für eine deutsch-polnische Übersetzerin und Kulturmanagerin“, sagt sie. Die Autorin Joanna Bator lernte Bormann bei der Verleihung des Riesengebirgspreises persönlich kennen. „Wir saßen nebeneinander beim Abendessen und kamen ins Gespräch“, erzählt Agnieszka Bormann. Weil sich die beiden von Anhieb gut verstanden haben, willigte Bator ein, beim Schlesischen Nachtlesen dabei zu sein. Bormann verspricht einen geistreichen Abend. Den Sinn des „Schlesischen Nachtlesens“ erklärt Bormann so: „An mehreren, teilweise ungewöhnlichen Orten in Görlitz tragen bekannte Persönlichkeiten Texte vor, die mit Schlesien zu tun haben. Literaturfreunde flanieren von Ort zu Ort und lauschen kurzen, etwa 15- bis 20-minütigen Lesungen.“ Diese Kurzbeiträge finden mehrfach statt, so dass man alle Standorte des Nachtlesens als Route ablaufen kann, ohne auf konkrete Uhrzeiten fixiert zu sein.
Auf deutscher Seite der Neißestadt – hier finden die restlichen Lesungen komplett am Abend des 9. April zwischen 17.00 und 22. Uhr statt – wird unter anderem im Kaufhaus Totschek in der Steinstraße gelesen. Auf der Route des Nachtlesens befinden sich Leseorte wie das vegane Bistro Kochwerk am Demianiplatz oder der Optiker Brillenlounge am Otto-Buchwitz-Platz.
Durch die länger werdenden Tageslichtphasen kann auch die Hallenhausaustellung „Kaufmannspaläste an der Via Regia“ in der Brüderstraße 9 wieder ihre Pforten öffnen. Der Saisonstart für die Ausstellung fällt hier also damit zusammen, zum Auftakt einer der Standorte des Schlesischen Nachtlesens zu sein. Im Barocksaal lesen hier Kunsthistorikerin und Übersetzerin Magdalena Lambertz und Bürgermeister Dr. Michael Wieler Gedichte aus „Der Augenblick. Chwila“.
Agnieszka Bormann zückt ein nächstes Ass aus dem Ärmel: „Die Leseroute erstreckt sich dieses Jahr zwischen zwei Görlitzer Seniorenheimen: der Villa Marie Curie in der Joliot-Curie-Straße und dem Zentralhospital in der Krölstraße. Ihre Türen sind während des Schlesischen Nachtlesens geöffnet. Nach zwei Jahren kultureller Entbehrungen soll wieder etwas geboten werden. Im Gegensatz zu allen anderen Leseorten, wo jede halbe Stunde derselbe Text dargeboten wird, wird in beiden Seniorenheimen jeweils ein anderer Text zu hören sein“, berichtet die Organisatorin. „Die Senioren in den Heimen und die Besucher dürfen sich zum Beispiel auf Auszüge aus den Tagebüchern der Fürstin Daisy von Pless „Tanz auf dem Vulkan“ freuen. Nach fast 100 Jahren wurden sie im Februar neu verlegt und werden druckfrisch beim Schlesischen Nachtlesen zu Gehör gebracht“, freut sich Agnieszka Bormann. Für sie ist Daisy von Pless (1873-1943) eine der schillerndsten und bedeutendsten Figuren der schlesischen Geschichte. Durch die Heirat mit Hans Heinrich XV. Fürst von Pless, Graf von Hochberg, wurde sie mit gerade siebzehn Jahren zur Schlossherrin auf Schloss Fürstenstein (Zamek Ksiaz) bei Waldenburg.
Der langjährige Opernsänger am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau-Görlitz, Stefan Bley, nimmt die schlesischen Literaturfreunde auf eine Reise ins Iser- und Riesengebirge mit. Er liest aus dem ’Wanderer im Riesen-Gebirge’. „Die Lektüre entführt uns in die verschwundene Welt des Iser- und Riesengebirges des 17. bis 20. Jahrhunderts. Wir erleben den Lebensalltag in den Bergen, in den Bauden, auf den Wegen. Wir lernen die Baudenbewohner, Reiseführer, Glashüttenarbeiter, Schmuggler und natürlich die Wanderer kennen. Arbeit und Freizeit, Freud und Leid, Sitten und Speisen – und alles vor dem Hintergrund der wunderbaren Berglandschaft. Ich wette, dass so mancher gleich nach der Lesung seine Wanderschuhe aus dem Schrank holt und sich auf den Weg macht“, hofft Bormann, die selbst leidenschaftlich gern im Riesengebirge wandert.