Görlitzer brachten viel zur NS-Ausstellung ein

Sven Brajer lädt zur Ausstellung „Nationalsozialismus in Görlitz – 80 Jahre Kriegsende“ im Kaisertrutz zu Kuratorenführungen ein. Foto: Pawel Sosnowski

Museumsdirektor Jasper von Richthofen vor einem Foto aus der Berliner Straße in den Dreißigerjahren. Foto: Pawel Sosnowski
Im Mai ist das Kriegsende 80 Jahre her. Da in Görlitz eine umfassende lokale Rückschau auf die Zeit des Nationalsozialismus bislang fehlte, haben die Görlitzer Sammlungen eine solche erarbeitet und nun der Öffentlichkeit vorgestellt. Zur Eröffnung gab es viel überregionales Interesse.
Görlitz. Die Görlitzer Sammlungen widmen sich in einer neuen Sonderausstellung erstmals umfassend der Geschichte der Stadt während der NS-Zeit. Bis zum 14. Dezember wird im Kaisertrutz die Schau „Nationalsozialismus in Görlitz – 80 Jahre Kriegsende“ präsentiert.
Im Mittelpunkt stehen persönliche Geschichten von Görlitzern zwischen 1933 und 1945 – Alltagserfahrungen, Schicksale und Kriegsauswirkungen. „Es ging uns weniger um spektakuläre Überraschungen. Die haben wir bei diesem Thema ohnehin nicht wirklich erwartet“, sagt Dr. Jasper von Richthofen, Direktor der Görlitzer Sammlungen und Kurator der Ausstellung.
„Ziel war es, die Zeit des Dritten Reichs auf eine regionale Ebene zu projizieren: Was spielte sich in Görlitz ab? Und siehe da, auch in Görlitz hatte die NSDAP zur Reichstagswahl im November die meisten Stimmen erhalten. Auch in Görlitz wurden Vereine und Gesellschaften gleichgeschaltet und ‚arisiert‘“, fügt er an.
Es gab jüdische Opfer, Euthanasieopfer und eine bedeutende Rüstungsindustrie vor Ort wurde mit Zwangsarbeitern betrieben. Für die Erarbeitung der Ausstellung wurde Dr. Sven Brajer engagiert, der gegenüber der Redaktion betont: „Für mich war immer interessant, wie es zu 1933 kommen konnte. Was ist davor passiert? Ich habe in Dresden gewohnt, dort studiert und promoviert. Mein Doktorvater und ich haben festgestellt, dass der Nationalsozialismus dort relativ gut aufgearbeitet war. Was aber die Vorgeschichte ab dem Kaiserreich mit der Mischung von bürgerlichem und völkischem Milieu betraf, gab es viel Forschungsbedarf. Herr von Richthofen wurde auf meine Dissertation aufmerksam und so bahnte sich an, diesen Fragen für Görlitz auch nachzugehen.
Nachforschungen, Archivrecherchen und Zeitzeugengespräche konnten starten. Die Resonanz der Görlitzer auf Aufrufe, familiäre Geschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus einzubringen oder Exponate beizusteuern, sei gut angelaufen, so Historiker Dr. Sven Brajer.

Banner aus der Zwischenkriegszeit in Görlitz in der Ausstellung im Kaisertrutz Foto: Till Scholtz-Knobloch
Er habe Wohnungen wildfremder Leute betreten dürfen und sei dann in deren Familengeschichte eingetaucht. „Meine erste Reise führte mich aber zur Gedenkstätte in Großschweidnitz. Das war auch gleich der emotionalste Moment, da es Euthanasieopfer auch in Görlitz gab und diese vom Kahlbaum-Klinikum Richtung Großschweidnitz transportiert wurden, abmagerten und mit Medikamenten getötet wurden. Akten dazu gab es aber auch im Hauptstaatsarchiv in Dresden. In Bautzen dachte ich etwas zum Thema Justiz zu finden“, das habe sich aber als Fehlannahme herausgestellt.
Auch Direktor Dr. Jasper von Richthofen hat entsprechende Erfahrungen gemacht. Besonders eindringlich seien für ihn zwei Exponate: „Das eine ist das anteilnahmslose Telegramm an eine Görlitzer Mutter. Es enthält die Nachricht, dass ihr Sohn im KZ Mauthausen in Oberösterreich ums Leben gekommen, also ermordet worden ist – unterschrieben durch den Lagerkommandanten der SS. Das andere Objekt ist der Abschiedsbrief des 23-jährigen Görlitzer Wehrmachtssoldaten Hermann Langer an seine Mutter. Er schreibt, dass er, wenn sie dies liest, bereits tot sei. Langer wird 14 Tage nach Abfassung des herzergreifenden Briefs in der ehemaligen Sowjetunion südlich des Ladogasees von einer Granate tödlich getroffen.“ Die genauen Umstände seien aber nicht zu rekonstruieren, räumt Freiherr von Richthofen ein, der auch Gräuel zum Kriegsende mit Raub und Vergewaltigungen nicht aus der Ausstellung ausklammerte.
Dr. Sven Brajer führt so auch aus: „Für 1945 haben wir die polnische Perspektive sogar stark mit reingenommen, weil Kriegsfolge ja auch die Teilung der Stadt war. Es gibt dazu ein Tagebuch von einer damals 13-jährigen Schülerin die aus Belarus (Weißrussland) stammte und vertrieben wurde und in Thüringen in Zwangsarbeit geriet und 1945 nach Zgorzelice kam (Anm.: So nannte Polen bis 1946 den Ostteil der Stadt, der dann polnisch in Zgorzelec geändert wurde). Sie blieb dann in einer neuen Welt hängen. Sie musste erst polnisch lernen, ihre Muttersprache war wohl russisch.“ Das habe das Lausitzer Museum zur Verfügung gestellt.
Sven Brajer wird bis Ende 2025 auch noch in Görlitz bleiben. Nicht allein für Führungen, denn auch ein Begleitbuch „mit Fotos, Geschichten, Objekten, die es nicht in die Ausstellung geschafft haben, werden darin Aufnahme finden. Oder auch Essays, das ist meine Aufgabe ab nächster Woche“, so Dr. Brajer, der aus Neugersdorf stammt und seit vier Jahren in Berlin lebte.
Er habe Görlitz schon gekannt, ob aus regionalhistorischem Interesse oder auch, weil er seit 2012 Mitglied in der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften sei. „Jetzt habe ich Görlitz aber natürlich noch ganz anders kennengelernt“. Und er lässt sich entlocken: „Es ist schon ein bisschen anders als in der Sächsischen Oberlausitz. Die Leute sind hier ein bisschen schroffer und direkter habe ich den Eindruck. Da unten ist man mehr am Böhmischen dran und etwas entspannter. Und wenn ich mit dem Zug von Görlitz nach Löbau fahre, merke ich, diese zweihundert Jahre alte Grenze zwischen Sachsen und Preußen ist noch irgendwie da.“
Ein umfassendes Begleitprogramm ergänzt mit Führungen, Vorträgen, Diskussionsrunden, Zeitzeugengesprächen, einem Konzert des Lausitzfestivals und museumspädagogischen Angeboten. Der Eintritt kostet im Kaisertrutz am Platz des 17. Juni 1 zwei Euro und ist für Minderjährige frei. Weitere Infos: www.goerlitzer-sammlungen.de/ nationalsozialismus-in-goerlitz