Görlitzer Corona-Protest: Zwei Momente der Besonnenheit
Für die Montagsspaziergänger wurde es zwischen Post- und Wilhelmsplatz durch die Polizei eng. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Es ist schwierig geworden, Unmut auszudrücken. Während „Spaziergänger“ am Montag der Vorgabe von maximal 10 Versammelten trotzten, besuchte Landesvater Michael Kretschmer am Samstag das „Forum Corona“ als „Beteiligungsraum“ anderer Art.
Görlitz/Dresden. Kurz nach halb Sieben begrüßt Frank Liske auf dem Görlitzer Postplatz nahezu 400 Versammelte, um im nächsten Atemzug die Veranstaltung zu schließen, die erkennbar mehr als die 10 zugelassen Menschen vereinte. Er lässt die Teilnehmer als „freie Sachsen“ ziehen und betont – „nicht als Freie Sachsen“.
Während Ordnungsamtschef Falk Werner Orgus in der Sächs-ischen Zeitung beklagte, die Spaziergänger seien von den „Freien Sachsen“ unterwandert, diese wollten das Geschehen vereinnahmen, betonte Frank Liske gegenüber dem Niederschlesischen Kurier sarkastisch: „Nach unserem Eindruck befürchten wir vielmehr, dass die CDU unsere Montagsdemo an sich ziehen möchte. Dieser Eindruck vertiefte sich bereits bei uns Organisatoren, nachdem OB Octavian Ursu sich im Rahmen einer Demo zu Wort gemeldet hatte.“
Die Ankündigung der Landesregierung eines härteren Durchgreifens der Polizei hat angesichts der wieder gestiegenen Teilnehmerzahl jedoch eher mobilisierend als abschreckend gewirkt. Mannschaftswagen der Polizei stehen vor dem Café Central in der Berliner Straße und es ist vorhersehbar, dass diese von hier aus schnell in der Lage sind, über die Jakobstraße einen Zug von Protestierenden aufzuhalten. Dennoch folgt eine Großteil der Versammelten Voranschreitenden, die sich vom Postplatz nun in die Jakobstraße bewegen. Während Wortbeiträge bislang stets am Ende folgten, wird die Sprachlosigkeit nun erstmals mit Schlachtrufen aufgefangen: „Friede, Freiheit, keine Diktatur“ oder in der Jakobstraße „Schließt Euch an“ werden skandiert.
Auf Höhe des Sportgeschäftes Muskelkater steckt der Aufzug dann tatsächlich sofort fest und staut sich durch eine Abriegelung am Wilhelmsplatz und vom Postplatz nachrückende Polizisten. Die Botschaft ist gesetzt: Die Polizei ist fähig, den Marsch zu stoppen, auch wenn Abstände von 1,50 m damit erst recht nicht mehr möglich sind. Eine gefühlte Ewigkeit verharrt die Masse, ehe die Polizei zum Wilhelmsplatz nach und nach öffnet. Es ist der erste besonnene Moment des Abends, denn die zwangsmäßige Identitätserfassung in so großem Stil, könnte bedeuten, dass nun alles kippt. Allerdings hatte eine fehlerhafte neue Notfallverordnung den Makel, erst wenige Minuten zuvor in Kraft getreten zu sein. Eine etwaige juristische Blamage angesichts nicht erfüllter Bekanntmachungskriterien wird es indes am Montag, dem 20. Dezember, nicht geben. Allerdings hat die AfD für dieses Datum eine Lichterkette „für Weihnachten und Menschlichkeit“ auf dem Postplatz mit 250 Menschen angemeldet, die jeweils 2,50 m Abstand halten.
Ein Teil der am 13. Dezember über den Wilhelmsplatz Abströmenden, sammelte sich etwas später am Untermarkt, der von der Polizei zur Neißstraße hin abgeriegelt ist. Zunächst ist die Stimmung in größerem Abstand hier ausgelassen, als zu Musik aus dem Lautsprecher gesungen wird: „Über sieben Brücken musst du geh’n, sieben dunkle Jahre übersthe’n“. Doch junge Menschen, die schon den Zug in die Jakobstraße angeführt hatten und die niemand zu kennen glaubt, spielen im Anschluss einen aggressiven Titel mit dem Refrain „Bullenschweine“. Es ist der Moment, in dem sich die verbliebenen Teilnehmer außer der besagten Hand voll Jugendlichen aufmachen den Heimweg anzutreten. Auf dem Obermarkt stecken einige noch für eine Plauderei verständnislos die Köpfe zusammen. Nach der Polizei hatten nun auch „Spaziergänger“ Besonnenheit gezeigt.
Zwei Tage zuvor hatte Ministerpräsident Michael Kretschmer bekundet, wie ein Einbringen in die Coronadiskussion seiner Ansicht nach sinnvoll ist.Er besuchte den im Juli von der Staatsregierung initiierten Bürgerrat „Forum Corona“, in dem 50 Bürger aus Sachsen „in den Dialog über Corona, die langfristigen Folgen der Krise und die Frage, was in Zukunft anders und besser gemacht werden sollte“ treten. „Dabei werden sie durch ein Moderationsteam sowie Expertinnen und Experten unter anderem aus Wirtschaft und Wissenschaft begleitet und unterstützt“, heißt es auf der Internetseite der Staatskanzlei.
Reichen 50 Stellvertreter?
Auf Anfrage der Redaktion teilte das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG) mit: Das SMJusDEG hat nach dem Beschluss des Kabinetts zur Durchführung des Bürgerrats Forum Corona das Statistische Landesamt beauftragt, 5.000 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger aus ganz Sachsen anzuschreiben und zur Mitwirkung im Forum Corona einzuladen. Aus den Rückmeldungen hat das Statistische Landesamt nach Merkmalen wie Geschlecht, Alter, Gemeindegröße des Wohnorts und Bildungs-hintergrund eine Zufallsauswahl vorgenommen, sodass die Zusammensetzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ungefähr derjenigen der sächsischen Bevölkerung entspricht.“ Hierzu wollte die Redaktion wissen: Hatten die zufällig gelosten selbst Einfluss auf die Auswahl der beratenden Experten, um substanziell unterschiedliche Expertenmeinungen zu Wort kommen zu lassen? „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten laut dem Projektträger zu den Vorschlägen des Moderationsteams Stellung beziehen und haben diese Möglichkeit auch genutzt“, heißt es dazu aus Dresden.
Auf die Frage „Wer nimmt die Zusammenstellung der Ergebnisse vor und auf welche Weise nimmt das Forum Corona dieses dem Landtag vorzulegende Papier dann durch eigene Zustimmung auch als ihre Position ab?“, antwortete das SMJusDEG: „Der Bürgerrat Forum Corona wird seine Empfehlungen in einer Sitzung am 29.1.2022 beschließen und dann dem Sächsischen Landtag und der Staatsregierung übermitteln.“
Die vierte und von Kretschmer am 11. Dezember besuchte Onlinesitzung war zugleich die letzte inhaltliche Sitzung des Bürgerrats.