Görlitzer Haushalt: Neues Vertrauen und Frust
Auf dem alten Schlachthofgelände an der Rauschwalder Straße soll der Bildungscampus entstehen. Foto: Mike Altmann
Ganz unterschiedliche Bewertungen zogen Beteiligte aus der Debatte und der Annahme des Görlitzer Haushalts 2021 und 2022 in der vergangenen Woche, der mit 20 zu 15 Stimmen mit der Mehrheit von CDU, den Bürgern für Görlitz, Grünen, Motor und SPD verabschiedet wurde.
Görlitz. „Das war eine schöne Überraschung: Nach monatelangem Ringen um den Neubau einer Oberschule auf dem ehemaligen Schlachthofgelände hat Oberbürgermeister Octavian Ursu in der gestrigen Stadtratssitzung einen Umsetzungsvorschlag eingebracht“, lobte Mike Altmann am 25. Juni für Motor Görlitz, den der Niederschlesische Kurier noch Anfang des Monats mit den Worten zitiert hatte, sein Vertrauen in den Oberbürgermeister sei „erschüttert“.
Ursus Vorschlag gehe sogar weit über die von der Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne geforderten drei Millionen Euro Eigenmittel für die Jahre 2023/24 hinaus. Der OB hatte mit seinem Team die Finanzplanung für den kompletten Bildungscampus inklusive Oberschule auf dem alten Schlachthofgelände erarbeitet. Von 2023 bis 2027 sind nun 30 Millionen Euro geplant. 60 Prozent sollen gefördert werden. Für die 40 Prozent Eigenmittel soll ein Kredit aufgenommen werden. Ursu begründete seine überraschende Entscheidung damit, dass die Oberschule nicht zum „politischen Spielball“ werden solle und nannte dies eine „vertrauensbildende Maßnahme“.
Der Vorschlag zur Aufnahme des Bildungscampus in die mittelfristige Finanzplanung wurde einstimmig angenommen. Damit endet ein monatelanges politisches Ringen um Lösungen. Im Februar hatte das Rathaus angekündigt, den Neubau der Oberschule auf Eis zu legen. Der Stadtrat sollte gar seinen Grundsatzbeschluss zum Bau aufheben. Zunächst wurde damit argumentiert, dass es gar keinen Bedarf mehr gebe, da die Schülerzahlen nicht so stark steigen, wie prognostiziert. Außerdem habe die Stadt kein Geld für dieses Vorhaben. In einer Sondersitzung des Stadtrates am 15. April wurde dennoch beschlossen, drei Millionen Euro für den Neubau in die Finanzplanung 2023/24 aufzunehmen. Diesen Beschluss setzte Octavian Ursu zunächst nicht um. Die Oberschule fehlte im Haushalt 2021/22, zu der auch eine mittelfristige Planung bis 2025 gehört. Diesen Vertrauensbruch hab das Stadtoberhaupt nun geheilt, so Altmann. „Es hat sich gezeigt, dass sich der Einsatz für eine neue Oberschule gelohnt hat“, so Jana Krauß (Grüne). „Wir werden nun den Oberbürgermeister tatkräftig unterstützen, damit der zunächst virtuelle Bildungscampus in einigen Jahren lebendig und zum neuen Kraftzentrum der westlichen Innenstadt wird.“
Für die AfD, blieb die Sicherung der Planung für die 5. Oberschule hingegen der einzige Erfolg, denn zahlreiche Vorschläge von ihr zur Kostenminimierung in Millionenhöhe wurden abgeschmettert. „Kein relevanter Betrag wird dem kulturellen Sektor abverlangt. Bunte Vereine werden weiter mit viel Geld gefördert, das wir eigentlich nicht haben. Kunst im öffentlichen Raum lässt sich die Stadtratsmehrheit einiges kosten“, kommentierte Sebastian Wippel, dessen Fraktion hier u.a. auf Gelder für das Via-thea, Werk 1 oder die Volkshochschule ihr Auge richtete. „Während jedes Kind in Krippe, Kindergarten und Hort für die Eltern teurer wird, werden die Nutzer von Theater, Museen und linke Soziokultur weitaus großzügiger subventioniert“, meint er. Die Haushaltsdebatte sieht Wippel gar als „Tiefpunkt der Demokratie“, wenn der Vorsitzende der Bürger für Görlitz, Karsten Günther-Töpert, sinngemäß meine, man habe gar nicht vor, sich mit mit den Vorschlägen der AfD überhaupt zu befassen.
„Man warf uns vor, im Verwaltungsausschuss die Anträge am Vortag nicht vorgestellt zu haben: Das ist faktisch richtig. Es lag jedoch nicht an der AfD-Fraktion. Die Anträge waren da, aber die Verwaltung hatte den Punkt ’Haushalt’ gar nicht auf der Tagesordnung, sodass keine Möglichkeit bestand, um darüber zu sprechen. Im Gegensatz zu den anderen Fraktionen, haben wir auf die von der Verwaltung im vorletzten Verwaltungsausschuss versprochenen Formvorlagen für die Anträge gewartet. Diese kamen nie! Anträge der CDU und BFG hatten übrigens gleichfalls keine Begründung, was nicht daran hinderte sich mit den Anträgen zu befassen. Weil irgendwie noch nicht alles Geld ausgegeben wurde, das man den Bürgern aus der Tasche zieht, wollte Danilo Kuscher gleich noch spontan 40.000-60.000 Euro für kleine Vereine, überwiegend der Soziokultur festlegen. Ich brauch nicht anmerken, dass diese spontane Idee nicht vorher schriftlich eingereicht war, was die linke Seite des Stadtrates plötzlich nicht daran hinderte, die Idee zu diskutieren und für äußerst gut zu halten“, so Wippel. Und so musste die größte Stadtratsfraktion an diesem Abend viel Lehrgeld dafür bezahlen, dass sie sich im politischen Geschäft nicht auf eine Kungelei zuvor eingestellt hatte. Denn in der Politik geht es – wie in allen anderen Lebensfeldern – ganz ohne strategische Partnerschaften eben dauerhaft nicht. Und da muss man auch mal im Vorfeld von Ausschusssitzungen Farbe bekennen und Angebote machen, die nicht der eigenen Überzeugung entsprechen.