Grenzland oder „Wir machen manchmal dumme Sachen“
Dokumentarfilmer Andreas Voigt. Foto: Matthias Wehnert
Görlitz. „Was denkt eigentlich jemand, der in Hannover diesen Film schaut? Muss der nicht alle Vorurteile bestätigt sehen“, fragte ein Zuschauer den Dokumentarfilmer Andreas Voigt angesichts vieler Bilder an der Schnittstelle zwischen Melancholie und erzwungener Abkehr einer verlassenen Grenzregion beiderseits der Neiße. Immerhin hieß es in der Ankündigung zum Film „Grenzland“ im Görlitzer Filmtheater doch, es gehe um Begegnungen „vom Rand – doch aus der Mitte Europas“. Und so einigten sich viele Zuschauer in und nach der Diskussion, dass der künstlerische Anspruch sicher erfüllt sei, man sich als Kind der Region jedoch zugleich nicht wiederfinde, wenn der Aufbruch so gar nicht vorkomme.
Andreas Voigt bekennt gegenüber dem Niederschlesischen Kurier, dass er durch ein Studium in Krakau den Blick über die Grenze nie habe lassen können, sich die tiefen Momente an der Schnittstelle von Deutschen und Polen jedoch zwischen dem Stettiner Haff und dem hiesigen Niederschlesien abspielten. Bundespräsident Steinmeier habe sich bei der Premiere am Freitag zuvor im Berliner Kino Babylon bei ihm für die vielen Blickwinkel bedankt.
Ganz im Schatten der fast zeitgleichen Eröffnung der sanierten Görlitzer Synagoge flimmerten auf der Leinwand im Filmpalast schon drei Tage später die Bilder der Dokumentation, die thematisch an Voigts Arbeit „Grenzland – Eine Reise“ von 1992 anknüpfte und einzelne Akteure 30 Jahre später erneut zu Wort kommen ließ. Eine von einst über 8.000 Arbeitnehmern des VEB Chemiefaserwerk Guben ist so nun in Niedersachsen als Mitarbeiterin einer Spielhölle erneut zu sehen.
In der polnischen Oberlausitz scharrt der gleich hinter Görlitz in Nieder Schönbrunn (Studniska Dolne) ansässig gewordene australische Farmer Gary Rollans im Boden und findet viele Spuren des alten deutschen Gutshauses. Er kommentiert ohne den moralischen Reflex vieler Deutscher ganz neutral über das Wesen der Menschen und die Geschichte: „Wir machen manchmal dumme Sachen“, liebt jedoch den Aufbruch der im Gegensatz zu der deutschen optimistischen polnischen Bevölkerung. In Bärwalde in der Neumark (Mieszkowice) zieht eine Frau mittleren Alters „deutsche Bohnen“ immer wieder neu. Ihre Mutter habe die erste Bohnengeneration 1945 im Haus als Vertriebene aus dem heutigen Weißrussland vorgefunden und so gebe es Jahr für Jahr bis heute damit quasi „deutsche Bohnen“. Im nahen Trossin (Troszyn) bekundet ein Mann, er habe als Kind vor dem Faszinosum deutscher Inschriften auf Gräbern gestanden, sich diese mit dem Wörterbuch übersetzt und so einen Zugang gefunden, sich damit selbst Heimat zu erschließen. Über die Sprache ist auch Salman auf dem gleichen Weg. Der Kurde stammt aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet und sagt über sein Dasein in der deutschen Oberlausitz. „Ich habe Freiheit gesucht. Hier in Deutschland gibt es sie. In meiner Heimat gab es für uns keine Muttersprache.“ Nun schaue er fasziniert in seinem Dorf darauf, dass Sorbisch hier vom Staat in der Schule gepflegt werde. Nach der Vorführung verrät er dem Niederschlesischen Kurier, dass er neben Deutsch auch schon ein paar Brocken Sorbisch spreche. Er baut sich ein altes Bauernhaus um und zeigt im Film die Fortschritte: „Hier entsteht das Kinderzimmer“, aber eine Frau habe er noch nicht gefunden. Die Botschaft ist jedoch klar – dies hier, sein neues Dorf, ist seine Zukunft. Einen sentimentalen Blick findet aber auch er im Film. Er schlendert über einen Polenmarkt und sagt angesichts der Basaratmosphäre: „Das ist wie in meiner Heimat“ und dabei glitzern ihm die Augen.