Geht Naturschutz nur ohne den Menschen?
Der Bürgermeister von Weißenberg, Jürgen Arlt und die Vereinsmitglieder von ProGröditz, Gudrun Hetzel und Norbert Piekarek vor dem Einstieg in die Gröditzer Skala. Foto: Benjamin Vogt
Bereits jetzt sind an zahlreichen Stellen die Wege nur noch unter Mühen begehbar. Foto: Benjamin Vogt
Seit Jahren rumort es in der eigentlich so friedlichen Landschaft um Gröditz. Jahrelang hoffte man auf einen Kompromiss zwischen Mensch und Natur. Doch jetzt läuft es auf eine Konfrontation hinaus.
Gröditz. „Wir sind inzwischen wirklich frustriert“ sagt der frisch wiedergewählte Bürgermeister von Weißenberg, Jürgen Arlt. Und das in einer Umgebung, die aus sich heraus gar keinen Grund für negative Emotionen liefert. Denn wenn man in Gröditz auf dem Schlossberg steht, zwischen alten Bäumen, dem restauriertem Herrschaftssitz und der einladenden Pilgerherberge, denkt man sich eigentlich nur eins: „Schön!“.
Aber der schöne Schein trügt, wie so oft. Denn auch wenn hier oben auf dem Berg alles so gediegen wirkt und unten im Tal das Löbauer Wasser friedlich durch das felsige Tal fließt: diese Idylle könnte in dieser Form bald der Vergangenheit angehören.
Aber der Reihe nach. Die Gröditzer Skala ist eine bewaldete Felsschlucht zwischen Gröditz und Weicha, nahe der Stadt Weißenberg. Im 19. Jahrhundert gestalteten die Rittergutsbesitzer der gleichnamigen Güter dieses Areal als Landschaftspark, was damals, beeinflusst durch den englischen Gartenbau, in Deutschland groß in Mode kam.
Die letzten 200 Jahre hatte Gröditz mit seiner Skala, wie auch das restliche Land, eine bewegte Geschichte. Nachdem im 20. Jahrhundert das Gelände von der Gemeinde, nach der Wende von Vereinen und ABM-Kräften gepflegt und erhalten wurde, gab es 2006 einen neuen Anlauf durch die Zusammenarbeit des Vereins ProGröditz e.V. mit dem neuen Schlossherrn, Beat von Zenker, das Schloss samt der Skala wieder umfassend auf Vordermann zu bringen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hätte es dieses, auch finanzielle, Engagement des neuen Besitzers nicht gegeben, würde Schloss Gröditz mit seiner Skala heute wahrscheinlich genauso vor sich hinrotten wie so viele andere ostdeutsche Schlösser und Rittergüter.
Während in Gröditz also Jahrzehntelang unbehelligt gearbeitet und gestaltet wurde, beschloss man bereits im Jahr 1992 im fernen Brüssel die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie. Jedes Mitgliedsland sollte nun Flächen zur Verfügung stellen, die besonders schützenswert sind.
Zahlreiche Objekte zeugen davon, wie die „Denkmalpflegerische Zielstellung“ von 2012 nicht umgesetzt wird. Foto: Benjamin Vogt
Und so wurde die Gröditzer Skala ein Fauna-Flora-Habitat. Später beschloss man in Dresden im Februar 2012, Flächen aus dem Nationalen Naturerbe dem Staatsbetrieb Sachsenforst zuzuweisen. Das Nationale Naturerbe wiederum ist eine Einrichtung des Bundes, die als Ziel hat, Flächen, die nach der Wende von der Treuhand oder anderen Verwaltungsgesellschaften kassiert wurden, nicht zu reprivatisieren, sondern im Staatseigentum zu belassen und mit einem eigenen Naturschutzstatus zu versehen. Das klingt jetzt alles sehr kompliziert und theoretisch, hat aber im kleinen Gröditz ganz konkrete Auswirkungen. Seit nämlich Sachsenforst die Flächen übernommen hat, gilt auch eine Rahmenvereinbarung, die 2012 zwischen der Bodenverwertungs GmbH, die bis dahin die Skala verwaltet hat, dem Freistaat und dem Bund geschlossen wurde. Diese legt fest, dass für alle Liegenschaften über 20 Hektar innerhalb von fünf Jahren Pflege- und Entwicklungskonzepte vorzulegen und umzusetzen sind. Schaut man in die Vereinbarung hinein, erfährt man, was das bedeutet: in den fünf Jahren soll das jeweilige Areal so hergerichtet werden, dass dann der Prozessschutz greift. Das heißt, dass in dieser Zeit dafür gesorgt werden soll, die Skala so vorzubereiten, dass die Natur sich danach ohne jegliches menschliches Eingreifen selber kümmern kann.
Seitdem 2016 die Skala an Sachsenforst ging, gilt, dass weder der Verein noch andere Engagierte die Skala pflegen oder gestalten dürfen. Sprich: keine Wege freihalten, keine Denkmäler erhalten, keine Wiesen mähen, keine umgestürzten Bäume wegräumen und so weiter.
Aus den Reihen von Sachsenforst wurde dabei vernommen, dass man selbst nicht glücklich darüber sei, die Gröditzer Skala übergestülpt bekommen zu haben. Denn als forstwirtschaftlicher Betrieb habe man für die Pflege und Erhaltung eines Landschaftsparkes voller Denkmäler weder den staatlichen Auftrag noch die personellen Kompetenzen. Als Staatsbetrieb muss man aber nun mal das machen, was der Chef, also der Staat sagt, und das bedeutet in Gröditz: die Skala so vorzubereiten, dass nach fünf Jahren der Mensch gar nichts mehr machen muss (und darf).
Denn die Skala gilt jetzt nicht mehr als Landschaftspark, der der Erholung und der Freude der Menschen dient, sondern als Biotop, in dem der Mensch nichts zu suchen hat.
Dieses Jahr nun kam der Bescheid, dass der Prozessschutz greift. Das bedeutet, dass quasi ab sofort prinzipiell jeglicher menschlicher Eingriff untersagt ist. Fragt man die Untere Naturschutzbehörde, was aus den ganzen Denkmälern jetzt werden soll, so ist die Antwort, dass dazu noch Anhörungen laufen und man sich nicht äußern kann. Die Folgen sind bereits sichtbar: ein durch private Mittel des Schlossherrn restaurierter Schriftzug nach Horaz am Mosesfelsen, ein Wahrzeichen der Skala, ist heute durch Vernachlässigung bereits kaum mehr zu erkennen.
Die einzige Handhabe vonseiten der Stadt besteht darin, die noch vorhandenen Wege öffentlich zu widmen, dass wenigstens noch ein eingeschränktes Betreten des Areals möglich bleibt. Grundsätzlich würde man sich freuen, wenn noch ein Kompromiss zwischen den verhärteten Fronten möglich wäre, wonach es gerade nicht aussieht.
Für den Betrachter, entsteht dabei das Gefühl, dass hier Naturschutz unter Ausschluss des Menschen gedacht und durchgeführt werden soll. Wie in Gröditz die Artenvielfalt eines Biotops, welches Jahrhundertelang vom Menschen beeinflusst und gestaltet wurde, durch das Aussperren des Menschen besonders geschützt werden soll, bleibt fragwürdig. Eine Untersuchung durch Prof. Hans Jürgen Hardtke stellte jedenfalls heraus, dass durch die Vernachlässigung der Pflege und der Hutungsbewirtschaftung über 150 Arten an Flora und Fauna bereits verloren gegangen sind, was konkret bedeutet, dass durch den Verzicht auf menschliches Eingreifen offensichtlich bereits eine Verarmung der biologischen Vielfalt eingetreten ist.
Abschließend kann man allen Interessierten nur empfehlen, sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Denn auch wenn es unten in der Skala rumort, oben am Schloss ist durch das Wirken von Beat von Zenker bereits großartiges geleistet worden. Besonders am Sonntagnachmittag, wenn es oben bei der Pilgerherberge Kaffee und Kuchen gibt, lohnt sich ein Ausflug nach Gröditz.
Kommentare zum Artikel "Geht Naturschutz nur ohne den Menschen?"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Ein sehr aufschlussreicher Artikel, der durch unsere gestrige Wanderung in der Skala bestätigt wird. Besonders auf der linken Seite in Fließrichtung des Löbauer Wassers muss man viele Hindernisse überwinden. Es sieht alles sehr "naturbelassen" aus. Wir hoffen, dass sich in diesem Biotop nicht noch Biber ansiedeln, die dann auch "aus Gründen des Naturschutzes" walten und gestalten dürfen, wie sie es wollen. Schade, so wird es nichts mit dem (sanften) Tourismus.