Hält die Görlitzer Lokalpolitik noch Balance?
Beim Görlitzer Altstadtfest jonglierte Weltrekord-Slackliner Ruben Langer bei seiner Hochseilshow über die Neiße von der Dreiradenmühle zur Peterskirche. Foto: Matthias Wehnert
Görlitz. Beim Görlitzer Altstadtfest jonglierte Weltrekord-Slackliner Ruben Langer bei seiner Hochseilshow am 27. August über die Neiße von der Dreiradenmühle zur Peterskirche. Soviel Balance hält die Görlitzer Stadtpolitik derzeit nicht. Das Personalkarussell schwankt gewaltig.
Am 11. Juni hatte der Niederschlesische Kurier unter der Überschrift „Benedikt M. Hummel geht mit Bürde ins Amt“ im Hinblick auf die Nachfolge Hummels als Bürgermeister, der Dr. Michael Wieler jüngst abgelöst hat, über Verstimmungen im Vorfeld der Wahl berichtet, nachdem Michael Wieler sich offen für Hummel positioniert hatte – der erste politische Geniestreich in einer Kaskade undurchsichtiger politischer Bündnisse.
Damals hatte die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne betont, sie habe Hummel aus drei verbliebenen Bewerbern unterstützt. „Über der Wahl liegt aber ein Schatten. Nur wenige Stunden vor der Sitzung erklärte Tom Lehnert (CDU) seinen Rückzug.’“ In einer neuerlichen Pressemitteilung wird Dr. Jana Krauß für ihre Motor-Grüne-Fraktion nun konkreter: „Nachfolgend möchten wir Sie darüber informieren, dass es im Vorfeld der Wahl zum Beigeordneten Bürgermeister der Stadt Görlitz zu Einflussnahmen auf einen Bewerber und eine Stadträtin kam. Wir halten es für unsere Pflicht, Sie über diese Vorkommnisse zu informieren, insbesondere da es mittlerweile personelle Verquick-ungen gibt, die wir nicht einordnen können.“ Im Telefonat mit dem Niederschlesischen Kurier betont sie, Vorwürfe würden erst im Kopf entstehen, es gehe einzig um die Darstellung des Ablaufes, der eben Fragen aufwerfe.
Dabei wirft schon die Kandidatur des zunächst von Motor/Bündnisgrünen favorisierten Tom Lehnert die Frage auf, wie es zu dieser Kandidatur kam, mit der CDU-Kandidat Benedikt M. Hummel Konkurrenz aus der eigenen Partei bekam. Immerhin reicht der Arm der Fraktion Motor/Grüne weit in die CDU. Jana Krauß führt unter dem Datum 21. Mai 2022 in ihrer Chronologie der Ereignisse letztlich auch aus: „Obwohl der Öffentlichkeit nicht bekannt sein dürfte, welche Kandidaten sich beworben haben und in den Stadtrat eingeladen werden, erhält Bewerber Tom Lehnert eine (uns vorliegende) Nachricht von Dr. Dorothea Seibel, Mitglied des CDU-Kreisvorstands. Darin wird seine Bewerbung kritisch hinterfragt. Bei einer Wahl werde er ’mit den Stimmen von AfD und Linken gewählt’. Lehnert stelle sich ’gegen seine Partei’. Denn: „Wir haben uns auf einen sehr guten Kandidaten geeinigt.“ (Über diese versuchte Einflussnahme wurden wir erst nach der Wahl informiert.)“
Der Niederschlesische Kurier bat Dorothea Seibel, die Kaufmännische Leiterin der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung GmbH ist, um eine Stellungnahme, ob Sie Zeit und Inhalt des dargestellten Sachverhaltes so bestätigen könne und wie Sie ggf. im Rückblick die Angelegenheit bewerte. Sie schrieb der Redaktion: „Ich habe mich mit Tom Lehnert persönlich ausgetauscht und bin überrascht, dass dies in die Öffentlichkeit getragen wurde. Ich bin als bürgerlich-konservative Person 2017 in die CDU eingetreten, um dem Rechtspopulismus etwas entgegenzuhalten. Aus dieser Haltung heraus scheint es mir konsequent, auf Parteifreunde zuzugehen, wenn sie im Begriff sind, sich von genau diesen Rechtspopulisten in ein Amt bringen zu lassen.“
Die AfD hatte seinerzeit auf Bewerber Peer Purschke gesetzt. Doch wie kam überhaupt eine suggerierte Nähe von Tom Lehnert und dem Rechtspopulismus in die Gerüchteküche, wo die AfD-Gegenpole Motor/Grüne und Linke gerade zu Lehnert neigten? Oder: Wieso wurde dieser Vorwurf weiter kolportiert, aber nicht wirklich begründet?
Jana Krauß beschäftigt sich in ihrem Papier auch mit weiteren personellen Entwicklungen vom August. Durch Hummels Wahl zum Beigeordneten sei es offenbar zu Umstrukturierungen bei der Städtischen Kulturservicegesellschaft mbH (GKSG) gekommen, deren Geschäftsführer er war. Sie führt aus: „Neu geschaffen wird die Stelle eines ’Leiters Spielstätten’. Wir erfahren durch Zufall, dass Frank Seibel diese Position übernehmen wird. Er ist der Ehemann von Dr. Dorothea Seibel, die bei der GKSG Mitglied der Gesellschafterversammlung ist. Die Stelle (...) war nach unserer Kenntnis nicht in einschlägigen Medien ausgeschrieben.“
Ebenfalls am 22. August sei zu vernehmen gewesen, dass Gerd Weise, bislang Art Director, zum Prokuristen der GKSG ernannt wird. Angesichts der Tatsache, dass Weise die GKSG über alle Jahre mit Hummel aufgebaut hat und sein Aufrücken wie im Falle Hummel lange nahe lag, ist eher zu vermerken, dass Weise – nun mit Prokura ausgestattet – aus dem Stadtrat ausscheiden muss. Das mag in der Sache logisch sein, doch im Nebeneffekt ist der vermutlich letzte konservative Görlitzer Vertreter der Union damit aus dem Stadtparlament gelotst.
Hingegen greift dieser Automatismus bei Motor-Stadtrat Andreas Kolley als neuem Wirtschaftsförderer der Stadt – angesiedelt bei der Europastadt GmbH – nicht. Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Eva Wittig wird er keine Prokura haben. Die Personalie Kolley findet sich freilich nicht im Krauß-Papier.
Der Niederschlesische Kurier fragte bei der Stadt unter Bezug auf Informationen von Stadträten an, wieso im Falle der Europastadt GmbH (Kolley) und der GKSG (Seibel) scheinbar nur interne Stellenausschreibungen liefen. Annegret Oberndorfer bemerkt für die Stadt, dass beide als GmbH eigenständig agieren und eine Ausschreibungspflicht nicht vorliege.
Kommentare zum Artikel "Hält die Görlitzer Lokalpolitik noch Balance?"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Die Stelle bei der Europastadt GmbH war bereits Anfang 2022 ausgeschrieben. Da hat Herr Scholtz-Knobloch wohl falsche Informationen erhalten.