Hat der Görlitzer Mohr seine Schuldigkeit getan?
Der Mohr über dem Eingang an der ehemaligen Görlitzer Mohrenapotheke blickt erst einmal nicht mehr in die Landeskronstraße. Foto: Matthias Wehnert
Am 12. Januar wurde die historische Büste des Mohren über der ehemaligen Mohrenapotheke am Görlitzer Lutherplatz demontiert. Wieso eigentlich? Und gibt es die Chance auf eine Rückkehr?
Görlitz. Ende April letzten Jahres stellte der deutsch-libanesische Filmemacher Imad Karim seinen 27-minütigen Dokumentarfilm „Dekadenz – Jubelnd in den Untergang“ vor, der noch auf Youtube zu sehen ist, während Karims Facebook-Seite schon einmal eine Sperrung erlebt hatte. Karim würdigt in seinem Film u.a., dass sich die Europäer weltweit für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten und sich dennoch immer tiefer in eine historische Rechtfertigungsschleife begeben. „Dabei vergessen die Europäer, dass sie selbst – und zwar jahrhundertelang – Opfer von Sklavenhändlern waren“ und erst mit der französischen Unterwerfung Algeriens 1830 die Versklavung von bis dahin einer Million weißer Europäer im arabischen Nordafrika ein Ende fand. Eine vielfache Zahl verlor beim Angriff islamischer Korsaren zudem ihr Leben. Folge des schlechten Gewissens der Europäer sei heute jedenfalls ein kollektiver Freizeitpark Europa, in dem man Neuankömmlingen keine Verpflichtungen abverlange und in dem denen, die die Fahrgeschäfte am laufen halten, Verachtung geschenkt werde.
Heruntergebrochen auf die Stadt Görlitz spiegelt hier die historische Büste des Mohren über dem Eingang der Ende letzten Jahres geschlossenen Mohrenapotheke die selbstgewählte Unsicherheit von Europäern wider. In zahlreichen deutschen Städten hat es in den letzten Jahren die Umbenennung von Mohrenapotheken gegeben, weil heute damit oft eine Diskriminierung Schwarzer unterstellt wird. Mit Wirkung zum 1. Oktober 2021 verkündete das Bezirksamt Berlin-Mitte gar die Umbenennung der berühmten Mohrenstraße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße. Amo war der erste schwarze Wissenschaftler an einer deutschen Hochschule und veröffentlichte im 18. Jahrhundert auch eine Arbeit „Über die Rechtsstellung der Mohren in Europa.“ Durch Widersprüche ist die Straßenumbenennung in Berlin bislang jedoch noch nicht in Kraft getreten.
Das Ende der Görlitzer Mohrenapotheke kam hingegen quasi „elegant“. Altersbedingt schloss Gisela Steckel die Tür ihrer Apotheke, ohne dass sie einen Nachfolger gefunden hatte. Der aufkommenden Debatte wich sie auch gegenüber unserer Redaktion aus, auch nachdem Spaßbolde oder Gegner mit Farbe Ö-Striche über das O der Mohren-Apotheke geschmiert hatten.
In der letzten Stadtratsdebatte hörte der Niederschlesische Kurier jedoch genau hin, als Bürgermeister Dr. Michael Wieler verschwommen „eine Büste am Lutherplatz“ erwähnte und damit möglicherweise tieferen Nachfragen nach der am 12. Januar erfolgten Demontage ausweichen wollte.
Der Niederschlesische Kurier fragte wortgleich bei der Stadt Görlitz und dem Eigner des Eckhauses KommWohnen an, ob der Mohr dauerhaft oder eventuell nur für eine Renovierung demontiert wurde und: „ In welcher Weise begründet die Stadt und/oder KommWohnen eine eventuell dauerhafte Demontage in Abwägung der Bewahrung von Stadtbild und Tradition einerseits und gesellschaftlicher Diskussion um den Hintergrund der Figur andererseits?“
Medienreferentin Jenny Thümmler antwortete für Kommwohnen: „Um das nach dem Auszug der Apotheke leerstehende Gebäude gegen Diebstahl und Vandalismus zu schützen, wurde es entsprechend gesichert. Im Zuge dessen haben wir am 12. Januar 2022 die angesprochene Figur des Mohren demontiert und in den Räumen von KommWohnen eingelagert. Sobald wieder Leben in das Haus eingezogen ist, kommt die Skulptur zurück an ihren Platz und wird die traditionelle Gestaltung wiederherstellen. Einen Zeitpunkt dafür können wir gegenwärtig noch nicht nennen.“
Angesichts oft langen Leerstandes gewerblich nutzbarer Immobilien kann daraus schnell ein Sankt-Nimmerleins-Tag werden. Folglich hakte die Redaktion noch einmal nach, zumal die Antwort die Diskussion um den Hintergrund der Büste ausspart. „Sprich: Soll bei einer Rückkehr erläuternd z.B. eine Informationstafel am Haus angebracht werden?“ Und wie es mit schlafenden Hunden dann so oft ist, kam das Stichwort – das eigentlich nichts anders als betreutes Denken befürchtet – als vermeintlicher Vorschlag gut an: „Ihre Idee einer Informationstafel ist gut, das werden wir uns mal merken. Vielleicht ergibt sich dazu etwas.“
Nicht uninteressant ist ferner sicherlich der Umstand, dass die parallele Anfrage bei der Stadt gleich auf KommWohnen verwies. Ist dies so zu deuten, „dass der (städtische) Denkmalschutz bislang nicht wirklich Vorgaben gemacht hat, die KommWohnen einhalten muss?“, wollte die Redaktion wissen. Hierzu hieß es seitens KommWohnen: „Wie gesagt gibt es derzeit keinerlei Pläne zur Sanierung des Gebäudes bzw. dessen Zukunft. Daher sind bisher auch keine detaillierten Absprachen mit dem Denkmalschutz erfolgt.“ Übrigens: Der Vorsitzende des Aufsichtsrats von KommWohnen ist Dr. Michael Wieler, womit die Zuständigkeit sich im Grunde auch im Kreis dreht.