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Henning Bodenstein übergibt sein Lebenswerk

Henning Bodenstein übergibt sein Lebenswerk

Henning Bodenstein freut sich, sein Lebenswerk in die Hände von Tina Sommer, Standortleiterin der Orthopädische Werkstätten Görlitz Sanitätshaus Rosenkranz GmbH, übergeben zu können.

Mehr als 50 Jahre lang führte der Orthopädiemechaniker-Meister das Bautzener Unternehmen Adermann. Nun hat er eine gute Nachfolgelösung gefunden.

Bautzen. Es gibt wohl kaum einen Bautzener, der mit dem Namen „Adermann“ nichts anzufangen weiß. Bereits zu DDR-Zeiten führte der Weg zum damaligen Firmensitz an der Ecke Pchalek- / Tuchmacherstraße, wenn man zum Beispiel Schuheinlagen oder Gehhilfen benötigte. Der Geruch von Gips gehört für manchen alteingesessenen Bewohner der Stadt zu den frühesten Kindheitserinnerungen.

Namensgeber der Firma, die auch in der DDR stets privat geführt wurde, war Artur Adermann – er eröffnete am 20. Juni 1945 auf der Reichenstraße einen kleinen orthopädischen Handwerksbetrieb. Mit zunächst zwölf, später bis zu 33 Mitarbeitern stand er einem Heer von Kriegsversehrten gegenüber – viele Soldaten, aber auch Bürger der Stadt hatten Arme und Beine verloren. „Helfen zu wollen – das vermittelte mein Stiefvater Artur Adermann allen seinen Mitarbeitern. Doch diese Hilfe war nicht einfach – es fehlte fast an allem“, schrieb Henning Bodenstein im Manuskript für eine Rede, die er anlässlich des 70-jährigen Firmenjubiläums 2015 hielt. Bauern transportierten aus Demitz-Thumitz schwer verletzte deutsche Kriegsgefangene nach Bautzen, denen keine Überlebenschance mehr eingeräumt worden war. Artur Adermann suchte in Luftschutzkellern nach Verbandsmaterial, um die Verwundeten versorgen zu können, seine Gattin mobilisierte Frauen, um täglich für sie zu kochen. „In unserer Familie wurde nicht von Humanismus und Solidarität gesprochen, unsere Eltern haben es uns Kindern vorgelebt“, so Henning Bodenstein. Auch die sowjetische Militäradministration wurde auf Artur Adermann aufmerksam und nutzte seine Kontakte und Fähigkeiten.

Henning Bodenstein selbst half schon als kleiner Junge in der Werkstatt des Stiefvaters aus, und so war es folgerichtig, dass er 1955 eine Lehre zum Orthopädie-Mechaniker begann. „Ich wurde von meinen Eltern nie dazu gedrängt und bin sehr dankbar, dass sie mich so ungezwungen an diesen Beruf herangeführt haben“, schrieb er in seinem Manuskript. Auch in dieser Zeit gehörten noch viele Kriegsopfer zu den Kunden. 1966 legte Henning Bodenstein die Meisterprüfung ab, bereits drei Jahre später übernahm er nach dem Tode von Artur Adermann die Leitung des Unternehmens, das bis zuletzt den Namen seines Stiefvaters trug. „Ein privates Unternehmen in der DDR zu führen, war immer ein Drahtseilakt. Ob Material, Technik oder Fläche: Irgendetwas fehlte immer – nur nicht die fachliche Profession und das Vertrauen der Patienten“, schreibt Henning Bodenstein.

Mit der politischen Wende 1989/90 eröffneten sich auch für die Firma Adermann neue Möglichkeiten. Ein Sanitätshaus wurde auf der Goschwitzstraße eingerichtet, die Werkstatt auf der Pchalek-Straße ausgebaut und der Bereich Rehatechnik und Logistik im Gewerbepark Wilthener Straße angesiedelt. Auf Bitten seiner Kollegen kandidierte Henning Bodenstein als Landesinnungsmeister und wurde gewählt. Bereits zuvor hatte er diese Funktion für den Bezirk Dresden ausgeübt – was für den Parteilosen und Selbstständigen erst nach harten Kämpfen möglich war. 2008 traf ein schwerer Schicksalsschlag die Familie: Henning Bodensteins Sohn Jörg verstarb nur 41-jährig nach schwerer Krankheit. Zu der Trauer um den geliebten Sohn kam die Sorge um die Firma: Schließlich waren die Weichen für die Übernahme durch Jörg Bodenstein bereits gestellt. Für den damals 68-jährigen trauernden Vater stellte sich die Frage: Aufgeben oder weitermachen? „Da Aufgeben noch nie meine Sache war, entschied ich mich fürs Weitermachen“, so Henning Bodenstein. Und so führte er das Unternehmen noch weitere 15 Jahre, eröffnete einen neuen Standort an der Neusalzaer Straße, diskutierte mit dem damaligen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich über das Thema Ausbildung und erhielt 2018 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (übergeben durch Ministerpräsident Michael Kretschmer) das Bundesverdienstkreuz, eine der höchsten Auszeichnungen, die es überhaupt gibt. 

Doch auch für Henning Bodenstein stellte sich verstärkt die Frage: Wie soll es weitergehen? Und so freut er sich, dass er mit der Orthopädische Werkstätten Görlitz Sanitätshaus Rosenkranz GmbH einen Nachfolgebetrieb gefunden hat, der das Unternehmen in seinem Sinne und im Sinne von Artur Adermann weiterführt. „Genau wie die Firma Adermann ist das ein in Jahrzehnten gewachsenes, fest in der Region verankertes Unternehmen“, erklärt er. Die Übergabe erfolgte bereits im September 2023, seitdem ist hier Standortleiterin Tina Sommer mit einem 15-köpfigen Team, darunter viele vertraute Gesichter, tätig. „Wir haben seitdem schon umfangreich in Technik und Ausstattung investiert und den Verkaufsbereich umgestaltet“, erklärt sie. „Die Expansion nach Bautzen stand für uns schon seit längerem zur Debatte, und so freuen wir uns, hier das Lebenswerk von Herrn Bodenstein weiterzuführen.“ Der sieht nach wie vor gern einmal „nach dem Rechten“ und ist jederzeit ein gern gesehener Besucher auf der Neusalzaer Straße 37. Sicher wird er auch am Samstag, 21. September, dabei sein, wenn die Firma Rosenkranz zum Tag der offenen Tür in ihren Bautzener Standort einlädt. „Wir wollen den Besuchern den dann abgeschlossenen Umbau präsentieren und die vielen Fragen beantworten, die es rund um die Übernahme sicher noch immer gibt“, so Tina Sommer. 

Uwe Menschner / 11.08.2024

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