Horka ersparte Görlitz den Umweg über Kohlfurt
Reger Verkehr herrscht um 1914 auf dem Bahnhof Horka. Richtung Görlitz wartet ein Eilzug mit einer preußischen P8 auf Umsteiger, denn auf den oberen Bahnsteigen sind zwei Personenzüge in entgegengesetzter Richtung eingefahren. Foto: Sammlung WR
In der Ausgabe vom 19. März berichtete Eisenbahnexperte und Fachbuchautor Wilfried Rettig über die Geschichte der Oberlausitzer Eisenbahn (OE) und ihren Bahnhof in Niesky. In der heutigen Ausgabe widmet sich der einstige Diplomingenieur im EMK Schlauroth dem ungewöhnlichen Eisenbahnknotenpunkt von Horka.
1996 wartet die Regionalbahn mit Lok 202 843-9 nach Niesky auf dem oberen Bahnsteig auf Fahrgäste. Foto: Sammlung WR
Horka. Seit 148 Jahren ist Horka ein Drehkreuz zweier Schienenwege. Die ältere Strecke in Nord-Süd-Richtung ist die Berlin-Görlitzer Eisenbahn (BGE). Ihr Baubeginn war 1865. Der preußisch-österreichische Bruderkrieg von 1866 beschleunigte die Arbeiten, um den Truppenaufmarsch gegen Böhmen zu unterstützen, das damals zur Habsburgermonarchie gehörte. Am 10. Juni 1867 konnten die Anwohner erstmals eine Lokomotive unterwegs beobachten, und zu Silvester fand die Eröffnung statt. Die direkte Verbindung mit der Hauptstadt ersparte den Görlitzern den Umweg über Kohlfurt (Wegliniec).
Wer von Horka aus mit der Bahn fahren wollte, musste zum 2 km entfernten Bahnhof Uhsmannsdorf laufen, denn die Personenhaltestelle Horka gibt es erst mit der Inbetriebnahme der Oberlausitzer Eisenbahn (OE), die seit 1874 von Kohlfurt nach Falkenberg die BGE in Ost-West-Richtung kreuzt.
Mit der OE wurde der Bahnhof Horka am 1. Juni 1874 am Kreuzungspunkt der Schienenstränge eingeweiht und erhielt die Koordinaten km 187,65 BGE und 22,31 OE. Eine niveaugleiche Kreuzung war von vornherein ausgeschlossen, so dass die OE auf einem rund 6 m hohen Damm und einer eisernen Brücke die BGE überquerte. Zwischen beiden Bahnen gab es von Anfang an die nördliche, 1,8 km lange Verbindungskurve für die Übergabe von Güterwagen.
Beide Bahnverwaltungen partizipierten vertragsgemäß an den Bau- und Betriebskosten des Empfangsgebäudes. Im Parterre waren die Dienst- und Warteräume untergebracht. In den oberen Stockwerken wohnten der Dienstvorsteher und sein Stellvertreter. Weitere Eisenbahner lebten im Beamtenwohnhaus an der Niesky-Rothenburger Chaussee. Alle eisenbahnfiskalischen Gebäude erhielten ihr Wasser aus der Zisterne des 15 m hohen Wasserturms im südöstlichen Winkel der Streckenkreuzung.
1906 wurde die Strecke von Kohlfurt aus zweigleisig ertüchtigt. Die Bahnbrücke über die BGE von der Maschinenfabrik Christoph in Niesky erhielt sogar ein zusätzliches Widerlager – also einen massiven Unterbau, der den Übergang zwischen der Brückenkonstruktion und dem Erddamm herstellt – für ein eventuelles drittes Gleis. Die seit 1883 in Staatsbesitz befindliche BGE verlegte erst 1913 das zweite Streckengleis. Zugleich wurden die Bahnsteige überdacht, die durch zwei Treppen für die Umsteiger verbunden waren. In der Bevölkerung bürgerten sich die Begriffe oberer und unterer Bahnhof ein. 1913 entstanden auch die beiden Stellwerke an der BGE. Der frühere Hausbahnsteig blieb als Gepäckbahnsteig erhalten. Von dort führten zwei elektrische Lastenaufzüge zu den oberen Bahnsteigen. Einen dritten Bahnanschluss erhielt Horka 1907 mit der Inbetriebnahme der privaten Kleinbahn Horka-Rothenburg-Priebus (HRP). Der Bahnsteig Horka Klbf (Kleinbahnhof) befand sich auf dem Bahnhofsvorplatz. 1936 wurden Ort und Bahnhof in Wehrkirch umbenannt. Zum Kriegsende wurden alle Neißebrücken gesprengt, sodass der Verkehr in nordöstlicher Richtung auf der HRP (ab 1939 WRP) in Steinbach endete. Die Neißebrücke nach Kohlfurt konnte relativ schnell wiederhergestellt werden. Von dort wurden mehrere Züge mit vertriebenen Schlesiern nach Deutschland innerhalb der neuen Grenzen abgeschoben. Danach gab es bis 1950 keinen Verkehr mehr nach Polen. Die Züge in Richtung Falkenberg begannen in Horka.
Noch im Herbst 1945 demontierte man die zweiten Gleise auf beiden Hauptstrecken. Am 17. Mai 1953 wurde die Verbindungskurve vom Abzweig Mückenhain an der BGE zum Abzweig Särichen an der OE in Betrieb genommen. Somit konnten Züge von Görlitz aus direkt nach Falkenberg fahren. Die Kleinbahn WRP wurde 1949 verstaatlicht; der Bahnsteig nannte sich jetzt Horka Nord. Neun Jahre später (1958) mussten Fahrgäste in Richtung Rothenburg den Schienenersatzverkehr nehmen, bis die DR 1967 den Reiseverkehr endgültig einstellte. Auf der ehemaligen OE fand bis 2002 Pendelverkehr nach Niesky statt. Seitdem gibt es keinen „oberen Bahnhof“ mehr. Schallschutzwände gewähren jetzt kaum noch Sicht auf den Zugverkehr. Die Berliner Strecke ist weiterhin eingleisig.
Nach dem Grenzvertrag der DDR mit Polen 1950 kam langsam der Güterverkehr nach Osten wieder in Gang. Die frühere Güterladestelle wurde zum Grenzbahnhof Horka ausgebaut. Hier fand der Lokwechsel zwischen polnischen und deutschen Lokomotiven statt. In Ermangelung einer Drehscheibe konnten die Dampflokomotiven für die Rückfahrt auf einem Gleisdreck wenden. Von 2016 bis 2018 wurde die Strecke zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert. Die Systemtrennstelle zwischen der polnischen Fahrleitung mit 3.000 Volt Gleichspannung und dem deutschen Netz mit 15.000 Volt liegt am km 15,0. Deshalb sind die Züge mit Zweisystem-Elloks bespannt. Auch wenn heute wieder Triebwagen von Görlitz über die Verbindungskurve Horka nach Hoyerswerda fahren, ist die Niederschlesische Magistrale im Wesentlichen eine Güterstrecke, die Verkehrsplaner als Teil einer „Neuen Seidenstraße“ nach Fernost sehen.
Kommentare zum Artikel "Horka ersparte Görlitz den Umweg über Kohlfurt"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Spannendes Thema. Wenn auch das derzeitige Säbelrasseln eher zur endgültigen Demontage der Schienen Richtung Osten führen wird, wäre eine engagierte Teilnahme an der Initiative Neue Seidenstraße eine klug investierte Anstrengung und eine zukunftsweisende Vision.
Deutschland hätte so die Chance, Gleise zu verlegen für den Anschlußzug an die Entwicklung der Weltwirtschaft und nicht auf dem Abstellgleis der Geschichte zu verrosten.
(Eisenbahn-) Räder sollten für den Frieden rollen.