Idyllebeauftragter mit Vorgeschichte
Wo einst Generalfeldmarschall von Roon wandelte, führt im Krobnitzer Friedenstal heute der Dichter Steeven Fabian Bonig das Zepter und hütet amtlich die Idylle. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Vor genau fünf Jahren musste Steeven Fabian Bonig sein legendäres „Bone-Haus“ am Görlitzer Obermarkt aufgeben. Dieser Tage feierte „Bone“ seinen 55. Geburtstag. Zeit für einen Rückblick mit dem Rückhalt eines neuen Wirkungskreises. Doch nicht Görlitz kommt nun in den Genuss seines Tuns, sondern das unscheinbare Reichenbach mit seinem Parkanlagen hinter dem Schlosspark zu Krobnitz.
Bei seinem Waldhäuschen hat der gelernte Tischler in einem Nebengebäude seine Werkstatt eingerichtet. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Krobnitz/Meuselwitz/Görlitz. Steeven Fabian Bonig wohnt heute in einem kleinen Waldhäuschen im Görlitzer Hinterland. In seiner Werkstatt und der guten Stube erkannt man vieles aus dem einstigen stets offenen „Bone-Haus“ wider, aus dem zahlreiche Schätze wegen der offenen Türen und infolge einer Ausplünderung verlorengingen.
Von dörflicher Ruhe hingegen ist sein neuer Arbeitsalltag geprägt: „Da ist eine Stadt Reichenbach mit einer pfiffigen Bürgermeisterin und einem Stadtrat, der offenbar ziemlich taff ist, und die haben sich gesagt: ’Wer Ruine kann, der kann auch Park’. Und so bin ich jetzt Parkwächter“, berichtet „Bone“ und führt durch sein neues Reich voller historischer Schätze – das ’Tal des Friedens’ hinter dem Schlosspark Krobnitz.
Am legendären Ruf des „Bone-Hauses“ in Görlitz war die Reportage „Görlitz – eine Liebeserklärung“ des in Görlitz gestrandeten Stern-Redakteurs Randy Braumann nicht ganz unschuldig, die am 26. Februar 2015 in der ’Super Illu’ erschien. Braumann erläuterte, man informiere sich in Görlitz unter der Hand, wann wo was los ist“ und verglich die Stadt in ihrer kreativen Subkultur mit London oder den Johannesburger Townships. Bone amüsiert dieser Vergleich stolz, der Görlitz in kürzester Zeit vom Geheimtipp zur angesagten Szenestadt katapultierte, lautete der zentrale Satz bei Braumann doch: „Zentrum dieser Szene ist ein Kaufmannshaus am Obermarkt“. „Durch den Artikel hat ’über der Hand’ erfahren, was unter der Hand los ist“, fasst Bonig die Wirkung des Textes zusammen und erklärt: „Da brauchst du keine Internetseite, da braucht nichts in der Zeitung zu stehen – real und authentisch – da reden die Menschen von alleine und das sollten sie ja auch.“
Der Stern eines achtjährigen Kulturprogramms ohne festes Drehbuch mit über 600 Mitwirkenden, davon 400 Musikern und über 40.000 Besuchern erreichte zudem mit einem oscarnominierten Kurzfilm einen vorläufigen und ebenso gefährlichen Höhepunkt, indem vom Glanz immer mehr profitieren wollten, ehe Ende 2017 alles zu Ende ging.
„Das Bonehaus ist in einem Zusammenprall von Genie und Wahnsinn ausgelöscht worden. Dies sagte ich, weil es ’Sinn’ und nicht ’Sinniger’ heißt. Hier werden nicht die Personen und ihr Tun betrachtet, sondern was sie im Sinn hatten. Was sie gesagt haben. Ich habe nichts gesagt, habe auch kein Internet, kein Facebook und habe allesamt ins Messer meines Schweigens laufen lassen. Letztlich redet so nun jeder von sich unter meinem Namen“, sagt Steeven Fabian Bonig. Er war immer der stille Möglichmacher, der Besuchern des Hauses oft sagte: „Ich mache hier sauber“. Professor oder Arbeiter – alle wurden hier in gleicher Weise auf ihren Status als Mensch geworfen, der sich stets seines Seins vergewissert.
Bone spricht vom „Dankmal“ am Obermarkt. Er kam mit den Gästen, die keinen Eintritt zu zahlen hatten, über die Gammelbalken ins Gespräch und sagte: „So sah die ganze Stadt aus“. Das habe er vor allem dann gesagt, wenn Besucher nach Geld aussahen und oder meinten: „Oh, das wird aber viel Geld kosten“. Bone entgegnete dann: „Ne, das hier nicht, das ist dazu da, um mit Ihnen mal über Ihr Geld zu reden. Es geht um das, was draußen in den anderen Häusern steckt. Am Ende sind Sie sogar der anonyme Spender.“ Die Balken im Haus seien gerade dazu da gewesen, in Erinnerung zu halten, wie einmal die ganze Stadt ausgesehen habe. „Heute ist es so schön, nachdem tonnenweise Fördergelder ausgeschüttet worden sind. Und damit die Jugend weiß, dass die Schönheit Görlitz’ nicht von uns alleine ist, durften sie hier mal richtig Party machen“, während im Haus gleichzeitig eben auch ein Ballettstudio Platz fand wie im Hinterhaus ein Wandergesellenheim.
Dabei hatte Bone gleich nach der Wende bereits das erste Mal seinen Stempel weg. Die linken Jugendlichen der Stadt wurden ignoriert und landeten eher zufällig bei ihm. So entstand auch „Bone-Bude“. „Später hatten wir in der Mittelstraße ein Haus besetzt – das war eigentlich nur eine Wochenendnummer. Wir haben ein Wochenende Party gemacht nach dem Motto: Wir brauchen auch einen Jugendclub.“ In der Zeitung folgte ein Foto mit Bone mit seiner knallblonden Mähne, dessen Untertitel verkündete: „Oberbürgermeister Lechner verhandelt mit linken Jugendlichen von Görlitz.“ „Da habe ich dann die Baseballschläger abgekriegt, die eigentlich für Mirko Schultze bestimmt waren.“ Der heutige Görlitzer Landtagsabgeordnete der Linken war damals noch in Springerstiefeln und mit Irokesenschnitt unterwegs. „Jetzt weißt Du wie das ist, wenn jemand des anderen Last trägt“, habe Bone betont. Und beide seien sich immer freundschaftlich bewusst gewesen, dass ihre Vorfahren als Christen (Bonig) und Kommunisten (Schultze) im selben KZ hätten sitzen hätten.
Der Baseballschläger war doch für Mirko Schultze
Neu sei in der frühen Nachwendezeit jedenfalls gewesen, dass Eigentum nach dem Grundgesetz auch zum Wohle der Allgemeinheit verpflichte. „Du musst es erhalten, Eigentümer und Besitzer sollen es zugänglich machen. Das Sehen, das Erleben, die Geschichte, Spuren von Menschen zu finden. Kontraste zu heute spüren und zu erahnen, in was für einem Wert wir leben“, dies alles sei dabei Leitgedanke. Und dann kam das Jugendkulturzentrum Basta!
Ohne offiziellen Jugendsozialarbeiter, quasi als wahrgewordene Idee aus der Bone-Bude. Heerscharen von Besuchern aus dem Westen hätten sich damals angeschaut, was da in Görlitz funktioniere und seien dann perplex gewesen, dass die Selbstorganisation funktionierte. „Wie jetzt? Ihr habt keinen Jugendsozialarbeiter?“ Aber da seien die Lobgesänge schon ausgesendet gewesen und man konnte die Info nun nicht mehr zurückhalten, dass es ohne ging. Görlitz habe damit die gesamte Jugendkulturgeschichte Deutschlands beeinflusst und einen Weg gezeigt, den die Wissenschaft vorher nicht zu gehen bereit war.
„Ich mach doch nicht kaputt, was ich aufgebaut habe“
Bones Gedanken beim Aufbau seines Hauses am Obermarkt, das übrigens immer andere und nie er „Bone-Haus“ genannt hatten, kreisten so zunächst auch um eine Jugendkunstschule. „Aber es gibt Eigendynamiken und der Eigentümer des Hauses dachte er sei durch den Nutzungsvertrag ein Schuldirektor geworden.“ Aber zum Ende seines Hauses Ende 2017 sei eigentlich alles gesagt, wenn er zusammenfasse: „Ich hab doch nicht so viel für den guten Ruf der Stadt getan, um am Ende zu sagen, wie scheiße die Stadt ist. Ich mach doch nicht kaputt, was ich aufgebaut habe. Da packe ich meine Sachen, schweige und renn weg.“
Diese Strategie fügt sich in Bones Gottvertrauen und das Wissen um die Wurzlen: „Einer meiner Großväter war Gärtner-meister, der andere Klempnermeister in Rauschwalde, der die Sanitäranlagen im Carolus gebaut habe und das Kupferdach auf der Peterskirche. Letzterer habe stets auf Ordnung gebaut, so auch in der Werkstatt. „’Halte Ordnung liebe sie, Ordnung spart dir Zeit und Müh’ musste ich 50 mal nach einer Ranzenkontrolle schreiben. Das hatte gesessen“, umschreibt Bonig seinen Weg, im scheinbaren kreativen Chaos doch immer strukturiert und geerdet durchs Leben zu gehen.
„Dass viele Worte bremsen die Welt...“
Ihn freue jedoch, dass an einem nie gerüttelt wurde. In der Rolle als „Dichter“ gesehen zu werden, fühle er sich geehrt. „Dichter werde ich genannt. Ich wusste das auch zunächst nicht“, blickt er zurück. Seine Gäste im Bone-Haus staunten jedoch nicht schlecht, dass der vermeintliche Putzmeister auf einmal reimend aus der Stadtgeschichte berichtete. Doch auch über den Dichter breitet die Zeit ihren Mantel des Vergessens aus. Bone hat seine Gedichte nie zu Papier gebracht und wieso dies so sei, beantwortet er beim Gang durch das Friedenstal des preußischen Militärreformers, Kriegs- und Marineministers sowie preußischen Ministerpräsidenten Albrecht Graf von Roon in Krobnitz in einem Sonett: „Wozu ist das Dichten da? / Um Altbekanntes zu ergänzen? / Betrachte man am Hochzeitsjahr / Ein einzeln Wort / Was für Konsequenzen /// Hingegen sei dazu betrachtet / Wie man im Parlamentsgehetze / Des Volkes Werk und Mühen schlachtet / Mit viel viel Worten als Gesetze /// Allein schon da sei festgestellt / Wie Freud und Leben geht und regt / Wie’s weisheitlich sich noch verhält / Und die Geschichte auch belegt / Dass viele Worte bremsen die Welt / Von wenigen wird sie bewegt.“
Albrecht von Roon und Steeven Fabian Bonig – da ist eine neue interessante Symbiose entstanden. Bone zeigt hier wieder die Demut im Strom der Zeit. „100 Jahre nach Roon hätte man ihn zu seiner Zeit Arbeiterkind genannt. Er ist ein Beispiel dafür, dass im frühen Kaiserreich Herkunft und Adel eigentlich nicht wichtig waren, sondern das, was ein Mensch leistet und welche Idee er hat.“ Ein Briefwechsel mit Bismarck zeige dies deutlich. Roons Tipp an Kurfürst Friedrich: „Ich kenn hier einen, mach den doch zum Kanzler“, wie Bonig sagt, zeige wie wenig Eitelkeit Deutschland einmal regiert hat. „Und das Allerschärfste, was die hingekriegt haben: Gleich nach der Schlacht von Sedan (AdR.: 1870 im Einigungskrieg gegen Frankreich) kam das jüdische Versöhnungsfest Jom Kippur. Im Heer gab es 1.600 jüdische Frontsoldaten. Im militärhistorischen Museum Potsdam habe ich ein Faksimile gesehen, das davon kündet, dass das Heer damals einseitig einen dreitägigen Waffenstillstand gemacht hat, damit sich alle jüdischen Soldaten zum Gottesdienst versammeln konnten. In der Gedichtumrandung dieses ’Posters’ bilden zwei Munitionskisten den Thoraschrein und es heißt: ’und draußen die ganze Nacht die christlichen Brüder hielten teure Liebeswacht’“.
Bone atmet tief durch: „DAS war Deutschland. Und als ein verdrehtes ist es völlig untergegangen. In der Bibel heißt es: ’Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen’. Ein besseres Beispiel gibt es nicht für die ewige Wahrheit dieses Bibelwortes. Wie schön waren doch die ersten 20 Jahre des Kaiserreiches mit solchen Typen. (...) Der deutsche Geist war der, dass Afrikaner aus Deutsch-Ostafrika im Lehrbuch für Völkerkundeunterricht abgelichtet waren mit dem Untertitel „Deutsche in Ostafrika“. Bone seufzt noch einmal und sagt: „Ach, wir müssen einen Kaffee trinken…“
Die Symbiose von Roon und Bone: Das passt
Der Spaziergang mit „Bone“ endet dennoch weit abseits der Parkanlagen von Krobnitz in Meuselwitz, denn echte Außengrenzen seines Zuständigkeitsbereiches kann es für einen Bone nicht geben. Er bekennt: „Meuselwitz ist gar kein richtiges Dorf. Das ist eine bewohnte Parkanlage! Und ich der persönliche Idyllebeauftragte der Bürgermeisterin. Kurzum – ich bin die literarisch begabte Putze von Meuselwitz.“
Und er stellt fest: „Was früher 240 m Galerieweg durch ein riesiges Haus war, wo die Leute Museum zu gesagt haben, das sind jetzt eben 2,5 km Weg durch einen Park“, meint er nun als Mitarbeiter des Reichenbacher Bauhofes. Er sei jetzt „Parkwächter im Tal des Friedens“ – geliebt von Roon – und er genießt dabei die Betonung des Wortes „Frieden“.
Kommentare zum Artikel "Idyllebeauftragter mit Vorgeschichte"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Bone hat ganz genau gar nichts mit der Entstehung des Basta zu tun, weder inhaltlich noch physisch - bis auf eine spätere Auftragsarbeit zur Gestaltung der Bar mit Holz - das sage ich als Gründungsmitglied des Holzwurm e.V. Wir brauchten sicher keinen Ideengeber, diese Verknüpfung ist Unsinn, passt aber zur narzistischen Selbstdarstellung von Bone.
Die zwei Hausbesetzungen (Scharfrichterhaus und Bautzner Str.) in den frühen 90'ern waren eine Reaktion der linken Jugendlichen auf die einseitige Jugendarbeit der Stadt Görlitz, die den immer aggressiver auftretenden Neonazis das "Haus der Begegnung" zur Verfügung gestellt hatte, in dem später eine Decke rot mit weißem Kreis, aber noch ohne Hakenkreuz "gestaltet" wurde ...und wo niemand den Einwohnern begegnen wollte. Somit haben wir uns unser eigenes Haus erkämpft und als Jugendkulturzentrum aufgebaut. Bone war nie mehr als ein Gast. Wir haben einen selbstbestimmten Ort geschaffen, der durch intrinsische Motivation und Ehrenamt bis heute Bestand hat,auch nachdem die "Gründungsmenschen" zu Studium u.ä. in die Republik gezogen sind, worauf wir alle stolz sein können.
Ich kenne Bone aus seinen frühen Jahren als Blueser, seinen Weg zum Jesus-Jünger hat er erst durch einen persönlichen Schicksalschlag gefunden. Er war ein Freihdenker, mit dem ich mich gern mal unterhalten und mit ihm philosophiert habe, aber er hat sich auch äußerst gern mal selbstverliebt mit fremden Federn geschmückt, so wie hier.
Aber bloß gut, dass wir ihn hatten, der "so viel für den guten Ruf der Stadt getan hat, Görlitz wäre ansonsten in der Bedeutungslosigkeit versunken. ;-)