Immer wieder neue Entdeckungen am Schloss
Dass das Ober Neundorfer Schloss ein Schätzkästchen darstellt, zeigte sich zuerst an der Außenfassade, wo die Sgraffito mühsam freigelegt wurden.
Familie Kuhn saniert seit sechseinhalb Jahren das Schloss Ober Neundorf. Nach dem bereits berühmt gewordenen Sgraffito an der Außenfassade gibt es jetzt wieder neue Überraschungen zu bestaunen.
Ober Neundorf. Als Dietrich Kuhn Anfang der Neunzigerjahre begann, seine Firma in Ober Neundorf bei Görlitz aufzubauen, kam er auch oft an dem völlig verfallenen Schloss vorbei. Als ihn der damalige Ortsvorsteher fragte, ob er sich nicht dafür engagieren wolle, musste er zunächst ablehnen. Inzwischen hat sich an dem historischen Gemäuer vieles zum Positiven verändert. Das ist dem Umstand zu verdanken, dass Dietrich Kuhn vor sechseinhalb Jahren seine ursprüngliche Entscheidung revidiert hat: „Das Haus verfiel immer mehr, und dann haben wir uns in der Familie zusammengesetzt und gesagt: Gut, wir nehmen uns dieser Angelegenheit an“, blickt er zurück. Allerdings war auch klar: „Alleine können wir das nicht schaffen. Dafür sind unsere finanziellen Mittel zu begrenzt.“ Doch von der Denkmalschutzbehörde kam die klare Ansage, dass sie das Vorhaben nach Kräften unterstützen wolle – eine Zusage, die bislang eingelöst wurde. Schloss Ober Neundorf war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts errichtet worden und ist in seiner heutigen Form überwiegend von der Renaissance geprägt. 1945 wurde die letzte Besitzerin enteignet. Zu DDR-Zeiten diente es wie so viele Schlösser als Wohnhaus und Kindergarten, was umfangreiche Um- und Einbauten sowie einen Verfall der Bausubstanz mit sich brachte.
Wo also anfangen? „Wir haben erst einmal Basisarbeit an dem Haus gemacht“, berichtet Dietrich Kuhn. „Wir haben das Gebäude von oben nach unten trocken gelegt, die größten Schäden beseitigt und die zu DDR-Zeiten eingebauten Wände herausgenommen.“ Das Ziel bestand von Anfang an darin, den Urzustand aus der Zeit der Renaissance wieder herzustellen. Raum für Raum nahmen sich Dietrich Kuhn, seine Frau Simone und die vielen Helfer vor. Auf circa 70 Prozent schätzt Dietrich Kuhn den Anteil der Bausubstanz, der bereits eine Sanierung erfahren hat. Ein großes Stück des Weges wurde also schon zurückgelegt. Einiges liegt aber auch noch vor den Eigentümern. Bei der Sanierung offenbarte sich eine Besonderheit, die weit und breit ihresgleichen sucht: Die Außenwände sind überreich mit Sgraffito verziert, die zum Teil unter dicken Putzschichten verborgen lagen.
„Dabei handelt es sich um einen so genannten Holzkohlenputz, der im Frühjahr oder im Herbst aufgetragen werden muss, wenn es nicht zu warm ist. Danach kann man die entsprechenden Strukturen herausarbeiten“, erklärt Dietrich Kuhn. In Ober Neundorf bestehen diese Strukturen hauptsächlich aus quaderartigen Formen, den so genannten Diamanten. Aber auch figürliche Szenen entwarfen die kunstfertigen Handwerker, die das Verfahren aus Italien mitbrachten. Auf ursprüngliches Handwerk legen Dietrich und Simone Kuhn auch bei der heutigen Sanierung großen Wert, ebenso wie auf die Verwendung von natürlichen Baustoffen und den Verzicht auf alles, was künftigen Generationen einmal den Umgang mit dem Geschaffenen erschweren könnte: „Wir arbeiten nicht mit Bauschaum oder Folien, sondern nehmen das, was uns die Natur reichhaltig bietet“, betont der Schlossherr. Für die Isolation werden zum Beispiel Dämmstoffe aus Hanf oder Holzfasern verwendet. „Wir wollen unseren Kindern nichts hinterlassen, wovon sie nicht wissen, wie sie es entsorgen sollen“, fasst Dietrich Kuhn das Credo zusammen. Für diese Philosophie spielt auch der Verein Schloss Ober Neundorf e.V. eine wichtige Rolle, wie Simone Kuhn erläutert: „Wir haben über den Verein die Möglichkeit, die Restauration des Gebäudes durch alte Handwerkskunst zu unterstützen und die naturschutzgerechte Gestaltung des Schlossparkes zu fördern.“
In Ober Neundorf bestehen die Sgraffito hauptsächlich aus quaderartigen Formen, den so genannten Diamanten.
Für das Schloss selbst haben die Kuhns die folgende Vision: „Hier soll ein Begegnungsort entstehen wo sich Menschen in Achtung und Würde austauschen, sich gegenseitig begeistern und miteinander lachen und schaffen können. Dass sie vielleicht wieder ein Stück wegkommen von der extrem digitalen Welt und zu dem zurückfinden, was eigentlich unsere Wurzeln sind.“ Diesem Ziel ordnet sich die Nutzung der öffentlich zugänglichen Räume unter: Neben einem Café zählen dazu eine Naturheilpraxis und vielfältig nutzbare Seminarräume. Geplant sind auch Über-nachtungsmöglichkeiten für die Menschen, die sich hier zu naturheilkundlichen, handwerklichen und anderen Themen weiterbilden möchten. Im Nebenhaus Nr. 5 wurde bereits ein Seminarraum zur Anmietung fertig gestellt.
Zum Tag des offenen Denkmals öffnet Schloss Ober Neundorf am 11. September von 11 bis 16 Uhr seine Pforten. Dann können sich die Besucher die neuesten Baufortschritte und Entdeckungen anschauen. Zur Stärkung gibt es Kaffee und Kuchen, für das Ohr musikalische Umrahmung und druckfrisch den Schlosskalender für das Jahr 2023, den die Gäste erwerben können.